
Am stärksten ist dieser Film, wenn seine Protagonistin bei sich ist, mit ihrer Mutter in der Küche, in der Badewanne, oder mit ihren Freundinnen, in der Ukraine. Dann fliessen Energie und Überschwang, Empörung und Lachen.
Diese Rückblenden in die Jugend einer jener Frauen, welche entblösste Brüste als soziale und politische Waffe medialisierten, schaffen die Nähe und das Verständnis, beschwören das nachvollziehbare Gefühl für gemeinsames Aufbegehren.
Aber Charlène Favier beginnt ihre filmische Rekonstruktion am Morgen des 23. Juli 2018, dem Tag, an dem die Femen-Mitgründerin Oksana Schatschko ihrem Leben ein Ende setzt, im Exil, in Montrouge bei Paris.

Dieser letzte Tag der 31jährigen Künstlerin und Aktivistin bildet den Erzählrahmen für den Spielfilm, mit dem die Filmemacherin ihre Heldin zu ergründen sucht.
Eingeschoben in die Ereignisse dieses Tages, der unter anderem einen Schwimmbadbesuch umfasst, Sex mit einem schönen Unbekannten in der Garderobe, ein trotziges Gespräch mit der Asylbeamtin und die Vernissage am Abend, an der Oksana zum ersten Mal in Paris ihre verfremdeten Ikonen ausstellen wird, sind die Rückblenden auf ihre Geschichte und die Geschichte von Femen.

Das ist ein legitimer dramaturgischer Kunstgriff, schliesslich will Charlène Favier nicht einfach die Stationen des Dokumentarfilms Je suis Femen von 2014 nachstellen. Wie sie sagt, spürt sie auch ihrer eigenen Seelenverwandtschaft mit ihrer tragischen Heldin nach:
« Je crois que mes films seront toujours hantés par des personnages de femmes ambivalentes en proie à l’adversité du monde. Mes héroïnes sont des combattantes, des survivantes. Fragiles et fortes à la fois, leurs parcours mènent toujours vers la résilience. C’est aussi une façon pour moi de questionner ma propre intimité, mon propre parcours de vie. Mon adolescence a été mouvementée, oscillant entre des phases d’autodestruction et des découvertes initiatiques exaltantes. Je crois qu’Oxana a vécu une période similaire où plusieurs proches se sont suicidés. Les traumatismes, la survie, l’idéalisme, ces thématiques ont fait partie de ma vie, de celle d’Oxana et de mon film aussi. Je me suis instantanément retrouvée dans sa révolte, sa fougue et sa liberté. »
«Ich glaube, dass meine Filme immer von ambivalenten Frauenfiguren heimgesucht werden, die den Widrigkeiten der Welt ausgesetzt sind. Meine Heldinnen sind Kämpferinnen, Überlebenskünstlerinnen. Zerbrechlich und stark zugleich, führen ihre Wege immer zur Widerstandsfähigkeit. Es ist auch eine Möglichkeit für mich, meine eigene Intimität, meinen eigenen Lebensweg zu hinterfragen. Meine Jugend war turbulent, geprägt von Phasen der Selbstzerstörung und aufregenden Initiationserlebnissen. Ich glaube, Oxana hat eine ähnliche Zeit durchlebt, in der mehrere ihrer Angehörigen Selbstmord begangen haben. Traumata, Überleben, Idealismus – diese Themen waren Teil meines Lebens, von Oxanas und auch meines Films. Ich habe mich sofort in ihrer Auflehnung, ihrem Elan und ihrer Freiheit wiedergefunden.»

Vielleicht liegt es gerade an diesem Gefühl der Seelenverwandtschaft, dass Faviers Film immer dann überzeugend und mitreissend wirkt, wenn Oksanas Lebensfreude, Begeisterung, Hoffnung oder auch Wut und Kampfgeist aufscheinen. Und seltsam mechanisch, wenn Hoffnungslosigkeit und Widrigkeiten erzählt werden müssen.

Da hilft es auch nicht wirklich, dass Inna Schewtschenko, die sich Femen erst 2009 anschloss, ein Jahr nach der Gründung in Kiew, vom Film zur singulären Verräterin des ursprünglichen Kollektivs stilisiert wird.
Sie ist die erste, die sich ins Pariser Exil absetzt, nachdem sie und Oksana und eine weitere Frau 2011 in Belarus von Lukaschenkos Geheimdienst nach einer Protestaktion entführt, gefoltert und bedroht worden waren. Als Oksana und ihre Mitstreiterinnen schliesslich auch in Paris eintreffen, hat Inna Schewtschenko aus Femen bereits so etwas wie eine Lifestyle-Bewegung gemacht, samt Schulungszentrum für Hobby-Aktivistinnen.

Das mag durchaus zutreffen, rund um Femen gibt es diverse Geschichten, diese dienten nicht zuletzt den von den Frauen angeprangerten Mächten als Diskreditierungsnarrativ.
Dass Charlène Favrier, die ihren Film schliesslich schon mit dem Titel Oxana ihrer Heldin widmet, nach Erklärungen für ihren Freitod und ihre Verzweiflung sucht, ist verständlich und nachvollziehbar.
Aber das Feuer, die Seele, der Funken und das Leben des Films, sie alle stecken in den Rückblenden, in der biografischen Semifiktion. Wohl auch darum hat die Filmemacherin noch eine weitere Klammer um die ganze dramaturgische Konstruktion gelegt:
Die nächtlichen Tänze ums Feuer der Kupala, dem Mittsommernachtsfest sind die ersten und letzten Bilder von Oxana. Mütter und Töchter am Anfang, Frauen und Mädchen am Ende.
Im Kino ab 1. Mai 2025
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