
Zwei Filme für den Preis von einem? Das stille Drama einer Familie, in der Vater, Mutter und Sohn nur über die unwichtigen Dinge miteinander reden können. Erst recht, seit die Tochter beim Kanufahren tödlich verunglückt ist. Und das kinetische Bilder-Ballet mit tanzenden Baggern, selbstparkierendem Auto, Robosauger, Pultlift und irrwitzigen Bildausschnitten, direkt aus dem Kamera-Kamasutra.
Das Bagger-Ballett, mit dem Piet Baumgartners Langspielfilmerstling beginnt, das hat er vor Jahren, 2015, schon einmal inszeniert, für das Musikvideo zu «Through My Street» von Rio Wolta. Überhaupt bleibt Baumgartner konsistent nicht nur seinen Obsessionen und seinen guten Einfällen treu, sondern auch den Menschen, mit denen zusammen er seine filmischen oder theatralischen Inszenierungen und Installationen umsetzt.
Von Rio Wolta stammen die Musik und die zentralen Songs in Bagger Drama. Mit dem Performer, Musiker und Künstler Phil Hayes arbeitet Baumgartner auch nicht zum ersten Mal zusammen; der aus England stammende Wahlschweizer entpuppt sich in der Rolle des emotional verpuppten KMU-Vaters als glänzender Schauspieler.

Bettina Stucky spielt die Mutter Conny, die seit dem Unfalltod ihrer Tochter nicht mehr aus ihren Depressionen herauskommt, Vincent Furrer den Sohn Daniel, der die Tatsache, dass er schwul ist, seinen Eltern gegenüber nun erst recht nicht mehr offenzulegen getraut, noch weniger als seine Sehnsucht, endlich weit weg gehen zu können, statt in der Bagger-Firma der Eltern den Stammhalter spielen zu müssen.
Eine Familie, welche nicht über die wirklich entscheidenden Dinge miteinander reden kann, das ist eine filmische Herausforderung.

Gerade weil die meisten der sattsam durchgespielten Fernseh- und Kinobeziehungsdramen seit Jahrzehnten wie illustrierte Hörspiele daherkommen, und zugleich jeder Fernsehkrimi mit Farbdramaturgie, Ausstattung, aufdringlich symbolträchtiger Montage und der obligaten ominösen Gottesauge-Drohnenaufsicht die sogenannte «Bildsprache» auf Emoji-Niveau hat versanden lassen, sind Baumgartners Einstellungen und Bildkompositionen in Bagger Drama echte Augen- und Seelenöffner.
Klar, die tanzenden Bagger sind zunächst einmal einfach spektakulär. Bald aber bringt Baumgartner eben auch andere mechanisch-elektronische Bewegungsapparate ins Spiel. Wenn Sohn Daniel etwas ratlos auf seinem elektrisch verstellbaren Pult sitzt und damit hoch- und runterfährt. Wenn Mutter Conny nach einer Überdosis Aspirin ihr Spitalbett in die Liegeposition fährt und von den Familienmännern gleich wieder auf Knopfdruck aufgerichtet wird. Wenn der Vater dem Sohn freihändig das automatische Einparken seines neuen Autos demonstriert, während der Sohn eigentlich ganz andere Anliegen hätte…

Kinetisch-absurde Alltagsmechaniken haben schon andere filmisch zum Blühen gebracht, von Buster Keaton über Chaplin bis zu Jacques Tati. Selbst Lars von Trier, der Meister der Verzweiflung, hat in seiner pseudocomputergenerierten Komödie The Boss of it All (Direktøren for det hele, 2006) eine Sexszene mit Liftpult und einen Cameo-Auftritt im Fensterputzlift inszeniert.
Aber Piet Baumgartner gelingt mit Bagger Drama ein erfrischendes Paradox: Die inszenatorischen Gimmicks schaffen zwar Zuschauerdistanz zum unterdrückten Familiendrama. Aber sie werfen einen nicht aus dem Film raus, sondern sie verstärken das Mitgefühl, das Mitleiden, schaffen Nähe über jede Peinlichkeit hinweg.

Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür ist die Autofahrt von Vater Paul mit der neuen Chorleiterin Claudia (Karin Pfammatter), während der er ihr erstaunlich klarsichtig die familiären Konstellationen erläutert, für die er zuhause keine Worte findet. Die Kamera ist dabei fix über dem offenen Schiebedach des Autos montiert, wir blicken also in einer Art Parodie der Gottesauge-Drohnenaufsicht direkt und aus nächster Nähe auf die Zwei im Auto hinunter. Die Aufsicht ist starr, leinwandfüllend, der Ton klar, das könnte eine fixe Studioaufnahme sein. Wären da nicht die zwei kleinen Dreiecke links und rechts oben im Bild, die zeigen, wie die Strasse unter dem Auto durchzieht. Die Einstellung ist dermassen absurd und selbsterklärend einfach, dass sie eine perfekte Parallele zum Dialog bildet.
Und damit wird auch klar, dass Bagger Drama nicht zwei Filme zum Preis von einem liefert, wie eingangs behauptet. Der Film ist eine raffiniert austarierte Menschlichkeitsmaschine, ein einziges, eingängiges, packendes Kunst-Stück.
Im Kino ab 1. Mai 2025
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