MONSIEUR AZNAVOUR von Mehdi Idir & Grand Corps Malade

Tahar Rahim als Aznavour © Pathé

Schauspieler Tahar Rahim bekam für diesen Film eine falsche Nase verpasst, damit sie sich die Figur, die er verkörpert, wegmachen lassen kann. Auf Anraten von Edith Piaf. Das Schöne daran? Der Umstand repräsentiert perfekt die Geschichte, die der Film erzählt.

Shahnourh Vaghinag Aznavourian, Sohn armenischstämmiger Einwanderer aus Georgien, verwandelte sich mit Beharrlichkeit und harter Arbeit in den Sänger (und Schauspieler) Charles Aznavour. Und der wiederum verkörperte schliesslich weltweit die «frenchness», wie vor ihm nur? Edith Piaf.

Marie-Julie Baup als Edith Piaf © Pathé

«Non, je ne regrette rien»

Das Chanson und seine Sängerinnen und Sänger sind in Frankreich nationales Kulturgut. Sie gehören in den literarischen und musikalischen Olymp, aber gleichzeitig sind sie integrale Teile der Volksseele, Helden des schöneren Alltags, Begleiterinnen in Seelenschmerz und Liebeskummer. Und das alles generationenübergreifend wie sonst in Frankreich wohl nur noch die Liebe zum guten Essen.

So, wie ihre Lieder im Kleinen stets eine ganze tragi-schöne Geschichte umfassen – «La Place Rouge était vide. Devant moi marchait Nathalie.» – , gehören auch ihre Biografien integral zum Kino im Kopf, das sie nicht nur evozieren, sondern ins kollektive Gedächtnis einschreiben.

Aznavour (Rahim) und sein erster musikalischer Partner Pierre Roche (Bastien Bouillon) © Pathé

Das kam den unzähligen französischen Künstler-Biopics der letzten Jahrzehnte entgegen. Die sind alle tragisch, in allen Künsten, von Camille Claudel oder Coco avant Chanel, über La môme (Edith Piaf), Cloclo (Claude François) bis zu Joan Sfars originellem Gainsbourg (Vie héroïque).

Monsieur Aznavour ist als Film allenfalls noch etwas prototypischer dafür, und zugleich auf eine gute Art distanzierter. Vom charmanten, lebenslustigen Jüngling über den Schützling und Freund der grossen Edith Piaf bis zum getriebenen Ehrgeizling, der seiner Karriere auch das Familienleben und die Beziehungen unterordnet wird in präzisen Ausschnitten erzählt.

Dabei wird sehr nachvollziehbar, was Aznavour im Film selbst die «formule Aznavour» nennt: Der Kern seiner Lieder, seiner Kunst ist das gefühlsmässige Nachvollziehen der jeweiligen Situation der verkörperten Figur, letztlich die pure Empathie-Übertragung.

Tahar Rahim als Aznavour © Pathé

Am schönsten zeigt sich dies in einem Lied, in dem sich Aznavour in die Lebens-Situation eines Transvestiten versetzt und damit für einmal nicht rationales Verständnis oder gar Toleranz einfordert, sondern schlicht und einfach menschliche Sympathie erzeugt.

Dass das Regie-Duo mit dem Musikgeschäft vertraut ist, sorgt dabei für einen Einblick in die Mechanik von Imagepflege und Öffentlichkeitsprojektion. Idir hat viele Musikvideos gedreht, darunter etliche mit und für Grand Corps Malade (eigentlich Fabien Marsaud), den einstigen Poetry Slammer. So interessieren sich beide entsprechend ausführlich für die Kindheit und Jugend ihres Helden, bis zu dem Punkt, an dem er eben die «formule» gefunden hat, die Essenz seiner Künstler-Persona.

Danach wird der Film, durchaus wohltuend, summarisch. Wichtige Stationen werden aufgeführt, etwa das Scheitern von Aznavours erster Ehe, der Suizid seines Sohnes auf der tragischen Seite, Aznavours ungewöhnliche Kooperationen, etwa mit Johnny Halliday, seine polyglotte Internationalisierung seiner Hits, der Aufwand der Tourneen und seine Rastlosigkeit jenseits der Bühne.

Tahar Rahim © Pathé

Der Tod von Edith Piaf, die offensichtlich einen grossen Teil des Lebens des jungen Aznavour bestimmte, findet hingegen nicht statt im Film. Zu dem Zeitpunkt interessieren sich die Filmemacher bereits mehr für die Energiebilanz zwischen Verzichtstragik und Empathie-Erzeugung, mithin für den zentralen Motor des Musikbusiness.

Mit zwei Stunden und dreizehn Minuten ist der Film länger, als er einem beim Sehen vorkommt. Das liegt daran, dass er rafft und beschleunigt, je näher er unserer Gegenwart kommt. Aber auch an Tahar Rahims Verkörperung Aznavours, die den gleichen Effekt hat wie dessen Gesang: ein emotionaler Transfer jenseits aller Rationalisierung.

Im Kino ab 22. Mai 2025


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