
Filmpodcasts gibt es viele. Einige sind unerträglich, andere grossartig und einige wurden allen Qualitäten zum Trotz abgeschafft. Aber die meisten setzen sich mit Filmen auseinander, die es tatsächlich gibt. Das Zürcher Drehbuch-Paar Plinio Bachmann und Barbara Sommer hat nun allerdings für Einfach Zürich ein Konzept umgesetzt rund um Filme, die es eigentlich geben sollte.
Filmstoffe mit globalem Appeal und Zürcher Lokalkolorit, Figuren, welche das Leben der Stadt geprägt haben oder von ihr geprägt wurden: Sommer und Bachmann tauchen tief ein in die Recherchen, sie haben Bücher gelesen und Akten, sie verknüpfen Biografien und Schicksale auf derart packende Weise, dass «Filmreif» tatsächlich das Konzept von «Kino im Kopf» auf eine neue Ebene hievt.

Was hat Gottfried Keller mit dem Zürcher «Mister Tchootchoo», dem Eisenbahnmogul Alfred Escher zu tun? Warum war Eschers Tochter Lydia eine tragische Frau ihrer Zeit? Und waren die ersten Zürcher Hippies tatsächlich die Gegenspieler von Huldrych Zwingli? Und was hat es mit dem angeblichen Terroristen aus dem Rennstall-Sauber-Team auf sich? Und verlief die Liebesgeschichte zwischen Thomas Manns Tochter Erika und der jung verstorbenen Annemarie Schwarzenbach entlang der Verwerfungen zwischen Nazimacht und Exilwiderstand, Pfeffermühle, Therese Giehse und Drogensucht auf Reisen?
Die Podcast-Reihe des Drehbuchpaares vermittelt hauptsächlich drei ziemlich einzigartige Vergnügen:
Das Panorama an tragischen historischen Figuren aus der Zürcher Geschichte bis in die Gegenwart wird dicht verwoben zu einem tragfähigen und vielfältigen Netzwerk; einzelne Figuren tauchen immer wieder auf, etwas Gottfried Keller, und alles wird gespiegelt in unseren gesellschaftsanalytischen Mechanismen, von der Psychoanalyse bis zur Geschichtsklitterung über Film und Fiktion.
Der Einblick in die Arbeit der Stoffentwicklung, die Neugier und Lust auf Zusammenhänge, die Anforderungen an Filmstoffe hinsichtlich Finanzierung, Ausstattung und Publikums-Appeal sind faszinierend beiläufig, eben so wie die routiniert gestellte und beantwortete Frage: Was geht uns das heute noch an, bzw. warum sind diese Geschichten gerade heute wieder so attraktiv?
Und schliesslich lässt sich von Podcast-Episode zu Podcast-Episode mitverfolgen, wie sich ein Format professionalisiert.

Die allererste Folge vom 4. März 2025 heisst «Der Skandal vom Belvoir» und erzählt die Romeo-und-Julia-Geschichte der mit einem Bundesratssohn verheirateten Industriellen-Tochter Lydia Escher-Welti mit dem Maler Karl Stauffer-Bern. Bachmann und Sommer können aus dem Vollen schöpfen, da steckt alles mit drin, Industrialisierung, Helvetik, Bohème-Romantik, Gesellschaftsskandale, und das alles weit über Zürich hinaus, nach Deutschland und Italien, zwischen Politik, Machtansprüchen und Familiendünkel.
Gleichzeitig hat gerade diese Folge noch den gschtabigen Charme eines Experiments. Barbara Sommer macht zuerst einmal in einem fast endlos wirkenden Monolog die Auslegeordnung über Epoche und Figuren. Das ist reichhaltig und verblüffend, wirkt aber trotzdem ein wenig, wie wenn man vor einem Weltklasseschachturnier zunächst in Grossaufnahme dem Aufstellen der Figuren auf dem Schachbrett zuschauen müsste. Dann aber stürzen sich die zwei auf das Fleisch am Knochen und dröseln historische und familiäre Verbindungen auf und zu, bis alle Ohren zu glühen beginnen und man sich tatsächlich im Kinosessel wähnt.

Schon in Folge 2: «Keine Zeit für Liebe» wird der Einstieg mit der Auslegeordnung verknappt und aufgeteilt, das lebendige Wechselspiel der beiden geübten Worttennis-Schläger nimmt fast sofort Fahrt auf, und wir finden uns wieder in der Welt zwischen Wille und Wahn, Frau und Mann (Thomas, Klaus und Erika), Naziverehrer auf der einen Seeseite, literarische Weltbürger auf der anderen und dazwischen die tragische Annemarie Schwarzenbach.
In weiteren Folgen räumt C.G. Jung seinen Konkurrenten über einen psychoanalytischen Brudermord aus dem Weg, ein Sauber-Spross geht in den Untergrund zwischen RAF und Brigate rosse, die Täufer-Hippies spiegeln sich in Gottfried Kellers «Ursula» und in einer bereits erfolgten DDR-Verfilmung.
Und schliesslich setzt Günther Tschanun in der letzten Episode dieser ersten Staffel an zu seinem Amoklauf im Hochbauamt.
Obwohl Plinio Bachmann und Barbara Sommer Folge für Folge ohne viel Sounddesign und ohne Einspieler einfach im Dialog ihre Stoffe auffalten, glätten, zerrupfen, auf- und einfädeln, ist diese Podcast-Serie (spätestens ab Folge 2) ein echter Hörgenuss. Ziemlich sicher auch darum, weil da zwei auf Augen- und Ohrenhöhe miteinander Gedanken spinnen, ohne moderative Melkmaschine.
Filmreif-Podcast mit Shownotes und Bildern auf der Website von Einfach Zürich. (Die Podcasts sind auch bei den üblichen Anbietern von Apple bis Spotify zu haben.)
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