Locarno 10: Die Einsamkeit des abtretenden Filmchefs

Nicolas Bideau auf dem Monte Verità ©sennhauser
Nicolas Bideau auf dem Monte Verità ©sennhauser

So hat man Nicolas Bideau in den letzten Jahren nur selten gesehen. Als Chef der Sektion Film im Bundesamt für Kultur hat er sich von Anfang an stets klar sichtbar positioniert und war dementsprechend auch stets belagert, vor allem an offiziellen Anlässen. Doch nun tritt er ab, früher sogar als ursprünglich angekündigt. Sein Vorgänger Marc Wehrlin übernimmt interimistisch als ‚Fascilitator‘ (hat nichts mit Schwarzeneggereien zu tun), und die heutige Show auf dem Monte Verità bei Ascona gehörte Bideaus Gerade-Noch-Chef Didier Burkhalter. Das Bild allerdings täuscht, denn Nicolas Bideau kontempliert hier nicht seine Zukunft als Chef der Präsenz Schweiz, sondern er konsultiert sein Mobiltelefon. Wie auch der Herr in seinem Rücken und ein halbes Dutzend weiterer Figuren in der Landschaft hinter dem Verpflegungszelt auf dem Berg der Wahrheit…

Locarno 10: IM ALTER VON ELLEN von Pia Marais

Jeanne Balibar 'Im Alter von Ellen'
Jeanne Balibar 'Im Alter von Ellen'

Dass die wunderbare französische Darstellerin Jeanne Balibar hier auf Deutsch zu spielen hat, das funktioniert ganz gut. Sie ist Ellen, eine Stewardess, die ans Ende geraten ist. Eine Krise mit ihrem Freund löst einen Panikschub aus, der sie kurz vor dem Start aus einem Flugzeug flüchten lässt. Und das wiederum bedeutet ihre fristlose Kündigung. Nun irrt sie zunächst einmal wie George Clooney in Up in the Air als (allerdings gestrandete) professionelle Reisende durch die Hotel- und Taxiwelt. Dann allerdings wird ihre urbane Odyssee immer bizarrer. Sie gerät an ein militantes Tierbefreiungs-Kollektiv, kommt in dessen Gemeinschaftswohnung unter und heiratet schliesslich einen der Aktivisten, um ihm die Bundeswehr zu ersparen.

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Locarno 10: Bundesrat Burkhalter und der Neubeginn bei der Filmförderung

Didier Burkhalter auf dem Monte Verità ©sennhauser
Didier Burkhalter auf dem Monte Verità ©sennhauser

Auf dem Berg der Wahrheit, dem Monte Verita bei Ascona, hat Bundesrat Didier Burkhalter heute seine Vision von einem Neubeginn bei der Filmförderung vorgestellt. Nicht überaus konkret, aber doch als Schritt in die Richtung, die sich ein Teil der Branche schon lange wünscht. Er könne sich für die Filmförderung ein Modell nach dem Vorbild des Nationalfonds vorstellen, also eine unabhängigere Institution, als sie derzeit die Sektion Film im Bundesamt für Kultur darstellt. Das wäre noch immer ein Expertensystem, aber eines, das mit der Branche erarbeitet werden müsste. Burkhalter meint, der Nationalfonds sei für den Forschungsplatz Schweiz ein Erfolgsmodell und das lasse sich vielleicht auch auf die Filmförderung anwenden. Ich habe ihn gefragt, ob das nun auf einen Kompromiss hinaus laufe:

Nach dem Sprung folgt seine Rede (die publizierte Version, die aber ziemlich vollständig der gesprochenen entspricht.

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Locarno 10: BELI BELI SVET von Oleg Novkovic

Beli Beli Svet

Und noch eine Variation auf das Rotkäppchenthema. Aber was für eine! In diesem serbischen Film bekommt die Geschichte des verlorenen Teenagers die Dimension einer griechischen Tragödie und das ganz wörtlich. Denn einerseits singen alle Hauptfiguren im Verlauf der Geschichte ein Lied, fast wie in einem Musical, andererseits endet der Film mit einem wahrhaft griechischen Chor aus über hundert Leuten, die am Rande eines grossen Steinbruchs ihr trauriges schicksal besingen. Dazwischen liegt ein Liebesdrama über vier Ecken und eine Inzestgeschichte.

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Filmpodcast Nr. 193: Locarno 2010 – Père, McBride und Lubitsch

Eric Facon und Joseph McBride © Häring
Eric Facon und Joseph McBride © Häring

Festivaldirektor Olivier Père spricht über die Veränderung des Kinos: Das klassische Kino ist am Verschwinden. Kino heute ist nicht mehr nur Massenunterhaltungskunst, sondern bedient viele kleine Nischen. Père ist weiter überzeugt, dass Festivals nicht mehr nur dazu da sind, um Filme zeigen. Sie sind zu Orten geworden, die Publikum, Industrie und die Filmemacher zusammenbringen. Weitere Themen: Von wegen brave Eröffnungsfilme: Au fond des bois von Benoît Jacquot schockiert das Publikum mit schwierigen Gewaltszenen. Die Meinungen dazu sind geteilt. Die diesjährige Retrospektive ist Ernst Lubitsch gewidmet, einem der prägendsten Filmregisseure aus den Anfängen des Kinos. Lubitsch war ein Meister der Komödie und neben Chaplin einer der ersten und einzigen, die während dem Krieg eine Komödie über das Dritte Reich gedreht hat. Der US-amerikanische Filmhistoriker Joseph McBride erklärt die Faszination des deutschen Regisseurs und sein Markenzeichen, den so genannten «Lubitsch Touch».

Saugen: Filmpodcast Nr. 193

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Locarno 10: L.A. ZOMBIE von Bruce LaBruce

LA Zombie

Ein Fall von viel Lärm um wenig. Warum diese poetisch-trashige invertierte Zombie-Geschichte dem Festival von Melbourne verboten wurde, ist nicht so recht nachvollziehbar. Es ist klar ein Nischenfilm für ein schwules Publikum, mit viel Muskeln, Schminke und Eindeutigkeit. Der Grundeinfall ist durchaus originell: Ein grünlicher Superzombie steigt wie weiland Ursi Andress aus dem Meer bei L.A. und zieht als ‚homeless‘ durch die Strassen der Stadt. Dabei trifft er immer wieder auf Tote, meist Gewaltopfer. Die vögelt er mit seinem sehr speziell ausgebildeten Organ, vorzugsweise direkt in die Eintrittswunde, worauf sie wieder zum Leben erwachen. Und dies, wie es scheint, wirklich, nicht als Zombies.

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Locarno 10: Lubitsch et Lumière

Lubitsch by Hofstetter

Die disejährige Retrospektieve von locarno ist Lubitsch gewidmet (mehr zu ihm morgen im Filmpodcast). Und Lubitsch wird in Locarno prominent an die Wand geworfen, in dieser Lichinstallation von Gerry Hofstetter. (Die Fotos hat Thomas Gutersohn gemacht).

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Locarno 10: SONGS OF LOVE AND HATE von Katalin Gödrös

Sarah Horvath in 'Songs of Love and Hate' von Katalin Gödrös
Sarah Horvath in 'Songs of Love and Hate' von Katalin Gödrös

Festivaldirektor Olivier Père programmiert porgrammatisch: Nach dem Rotkäppchendrama Au fond des bois von gestern hat er heute den Wettbewerb mit einem weiteren Adolseszenz-Drama eröffnet. Die sechzehn oder siebzehnjährige Lilli im Fiml der Schweizerin Katalin Gödrös ist eben richtig erblüht. Sie spielt mit dem verliebten Nachbarsjungen, flirtet mit dem Werkmeister der Kunsteisbahn – und sie verwirrt ihren Vater mindestens so sehr wie sich selbst. Ob sie nun nackt im Bad steht und Papi um Hilfe ruft, weil der Hund nicht aufhört zu bellen, oder ob sie mit leiser Eifersucht zusieht, wie der Vater mit der jüngeren Schwester auf dem Sofa herumbalgt, während er bei ihr merklich zurückhaltender geworden ist mit körperlichen Berührungen: Lilli ist konfus.

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Locarno 10: AU FOND DES BOIS von Benoit Jacquot

Isild le Besco in 'Au fond des bois' von Benoit Jacquot
Isild le Besco in 'Au fond des bois' von Benoit Jacquot

Da mokiert sich unsereins immer mal wieder über die braven Eröffnungsfilme der Festivals, jene massengängigen Vehikel, die auch den Sponsoren und den anwesenden Politikern zu gefallen haben, und dann dies! Olivier Père, der neue künstlerische Leiter des Festivals von Locarno, hat schon mal die Krallen ausgefahren und einen Eröffnungsfilm programmiert, der manche ratlos, viele verägert und einige wohl auch empört haben dürfte. Dabei ist Benoit Jacquots Au fond des bois ein Film in einer langen Tradition. Es ist eine Adoleszenz-Fantasie, eine männliche Projektion auf das Erwachen weiblicher Sexualität, eine Rotkäppchengeschichte. Das Rotkäppchen in diesem Film trägt allerdings vorzugsweise unschuldiges Weiss, wird gespielt von der aparten Isild le Besco, und sie wird von ihrem Ver- oder Entführer immer wieder vergewaltigt, ohne dass die Kamera sich zurückziehen würde. Aber fassen wir doch zuerst einmal die Geschichte zusammen:

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Locarno 10: Die Katzen kommen

pardo in treno ©Gutersohn
pardo in treno ©Gutersohn

Das Filmfestival von Locarno beginnt heute Abend, und Kollege Thomas Gutersohn hat im Zug durch den Gotthard bereits die ersten Leoparden in freier Wildbahn gesichtet.