Die Unverpassbaren, Woche 4

Religionsphilosophie mit Joel (2vl) und Ethan (4vl) Coen: 'A Serious Man' ©Ascot-Elite
Religionsphilosophie mit Joel (2vl) & Ethan (4vl) Coen: 'A Serious Man' ©Ascot-Elite

Wie jeden Donnerstag beim Rollenwechsel im Deutschschweizer Kino gilt: Erst diese fünf Filme sehen, dann alle anderen.

  1. A Serious Man von Joel und Ethan Coen. Die tiefgefühlte, todtraurige und sterbenslustige Tragikomödie der filmwütigen jüdischen Agnostiker aus Minnesota.
  2. Un prophète von Jacques Audiard. Das Gefängnis als Akademie des organisierten Verbrechens – jetzt hat auch Frankreichs Kino seinen Godfather. Und das Genrekino hat einen Weg in die Zukunft gefunden.
  3. Bright Star von Jane Campion. Die meisterhaft unromantisch erfasste Liebe einer modernen jungen Frau zum todgeweihten Romantiker John Keats. Jane Campion kann das.
  4. Cinco días sin Nora von Mariana Chenillo. Die Liebesgeschichte eines längst geschiedenen Paares, ein mexikanischer Erstling mit leiser, komischer Haftkraft.
  5. Avatar von James Cameron. Die Geschichte, die er erzählt, ist zwar ziemlich von gestern. Aber die Bilder, die sind von Übermorgen.

SUNNY HILL von Luzius Rüedi

Gemeinsam in den alpinen Freitod 'Sunny Hill' von Luzius Rüedi © Stamm Film
Gemeinsam in den alpinen Freitod: 'Sunny Hill' von Luzius Rüedi ©Stamm Film

Hier kommt ein kleiner, raffinierter und mutiger, vor allem aber ein mit einfachsten Mitteln und kleinem finanziellem Aufwand gedrehter Schweizer/deutscher Film. Sieben junge Schauspieler verkörpern sieben junge Menschen. Sechs von ihnen haben sich in einem Internetforum für Suizidwillige kennengelernt und zum gemeinsamen Selbstmord in den Schweizer Bergen verabredet. Der Film Sunny Hill setzt ein, als Gabriel (Karsten Mielke) die anderen in München mit dem Auto einsammelt und die bedrückte Gruppe zum Bergchalet seiner verstorbenen Grosseltern in der Schweiz fährt. Die Gruppenzusammensetzung erinnert zunächst an einschlägige Genrefilme aus der Horror-Ecke für Teenager. Da sind die üblichen drei Frauen: das verkorkste Nesthäkchen Maja (Uta Kargel), die zornige Jo (Araba Walton) und die türkischstämmige Anil (Maryam Zaree), und drei Männer: der souveräne und abgeklärte Initiator Gabriel, der nervös und nicht ganz entschlossen wirkende Raphael (Christian Samuel Weber) und schliesslich das Arschloch der Gruppe, der arrogante, selbstbezogene Partyveranstalter Michael (Patrick Rappold).

Im Genrekino würden diese Figuren nun in wechselnder Kombination einer dezimierenden Entität ausgesetzt, bis nur noch das ‚final girl übrig bleibt. Aber Sunny Hill ist kein Slasher Film, sondern ein klassisches Kammerdrama, eine huit-clos-Anlage mit besonderem Twist. Denn die jungen Leute richten sich in der Ferienwohnung erst einmal lagermässig ein, kochen, stossen an und reden.

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Donald Duck und der Führer

Bei Walt Disney bin ich bisher davon ausgegangen, dass seine angeblichen Sympathien für totalitäre Ideologien, bzw. seine Kommunisten-Paranoia ihn dazu bewegt hatten, sich zumindest mit seinen Produktionen aus der Politik raus zu halten. Ohne weitere Recherche nahm ich daher an, dass Disney seiner Maxime „no politics“ in der Produktion treu geblieben ist. Jedenfalls soll er sich Erich Kästner gegenüber so geäussert haben, als dieser ihm vorschlug, seine „Konferenz der Tiere“ zu animieren. Zumindest glaube ich mich an eine entsprechende Passage in Carl Zuckmayers Memoiren „Als wärs ein Stück von mir“ zu erinnern. Aber dieser Donald-Duck-Cartoon, den ich eben via BoingBoing entdeckt habe, belehrt mich eines besseren. Der Kurzfilm von Jack Kinney war ein Teil des war efforts der Disney Company und gewann offenbar 1942 einen Oscar. Ich wusste, dass der grösste Teil der Hollywood-Studios sich, ausgehend von Frank Capras Initiative und Beteiligung an der der Why We Fight-Serie in den Dienst der staatlichen Kriegspropaganda gestellt hat. Dass aber auch Disney und seine Leute schliesslich massiv involviert waren, ist mir neu. Mehr dazu findet sich hier in den Hollywood-Archiven der ASIFA, der internationalen Vereinigung für den Animationsfilm.

Filmpodcast Nr. 164: Un prophète, Cinco días sin Nora, Eric Rohmer, No More Smoke Signals, The Third Man.

Orson Welles in 'The Third Man' (Carol Reed, 1949)

Heute haben wir eine reich befrachtete Rolle mit Un prophète, Cinco días sin Nora, einem kleinen Nachruf auf Eric Rohmer, der DVD zu No More Smoke Signals und einem Ohr voll vom Dritten Mann. Und wir haben wieder die Tonspur und die Filme, die Sie nicht verpassen sollten.

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Die Unverpassbaren, Woche 3

Tahar Rahim in 'Un prophète' © filmcoopi
Tahar Rahim in 'Un prophète' © filmcoopi

Und wieder helfen wir bei der Qual der Wahl: Erst diese Filme sehen, dann die anderen.

  1. Un prophète von Jacques Audiard. Das Gefängnis als Akademie des organisierten Verbrechens – jetzt hat auch Frankreichs Kino seinen Godfather. Und das Genrekino hat einen Weg in die Zukunft gefunden.
  2. Bright Star von Jane Campion. Die meisterhaft unromantisch erfasste Liebe einer modernen jungen Frau zum todgeweihten Romantiker John Keats. Jane Campion kann das.
  3. Cinco días sin Nora von Mariana Chenillo. Die Liebesgeschichte eines längst geschiedenen Paares, ein mexikanischer Erstling mit leiser, komischer Haftkraft.
  4. Soul Kitchen von Fatih Akin. Der streitbare Deutschtürke widmet seiner nordischen Heimatstadt Hamburg eine Multikulti-Komödie, die einen Hauch Heimweh nach Überall auslöst.
  5. Avatar von James Cameron. Die Geschichte, die er erzählt, ist zwar ziemlich von gestern. Aber die Bilder, die sind von Übermorgen.
Robert De Niro in 'The Godfather Part II'
Robert De Niro in 'The Godfather Part II' © Paramount

Eric Rohmer ist gestorben

LE GENOU DE CLAIRE
'Le genou de Claire'

Als Maurice Henri Joseph Schérer wurde er geboren, aber als Eric Rohmer ist er heute mit 89 Jahren in Paris gestorben. Rohmer gehörte zu den grossen Namen der nouvelle vague, war aber der letzte, der vom Schreiben für die Cahiers zum Filmen selbst gefunden hat. Wohl auch darum hat er ausserhalb der cinéphilen Kreise nie den mythisch überhöhten Ruf eines Godard erreicht. Darum, aber auch aufgrund seiner soliden Konsistenz und stilistischen Konsequenz. Rohmers Filme, das sind „die, in denen endlos über nichts geredet wird“, das war wohl einer der häufigsten Sätze, die man zu ihm zu hören bekam, wenn man seinen Namen irgend wo ins Gespräch brachte. Und meistens folgte dann von jemandem der lächelnde Hinweis, dass es aber nie jemand charmanter und verspielter fertig gebracht hätte, solch permanentes Reden vor der Kamera natürlicher, unterhaltsamer und vor allem geistreicher zu inszenieren. Und wenn jemand das sagte, durfte man davon ausgehen, dass der oder diejenige recht gut Französisch verstand, französische Lebensart goutierte und überhaupt ganz grundsätzlich die Causerie liebte.

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DVD: IM SOG DER NACHT

Banküberfällig. 'Im Sog der Nacht' © praesens
Banküberfällig. 'Im Sog der Nacht' © praesens

Ganze 949 Leute haben sich Im Sog der Nacht im Kino ansehen mögen, als der Film letzten Oktober in der Deutschschweiz heraus kam (Quelle: ProCinema). Jetzt ist die DVD da, und das massive Desinteresse des Publikums wirkt im Rückblick doch etwas rätselhaft. Mit Stipe Erceg, Lena Dörrie und dem Schweizer Schon-nicht-mehr-Nachwuchsstar Nils Althaus hat der kleine Film drei frische, spannende Gesichter zu bieten, die Story ist dicht, konsequent und eindringlich, und die dramaturgische Umsetzung des Stoffes durch den Schweizer (Werbe-) Filmer Markus Welter hat Tempo und Rhythmus. Natürlich ist die Konstellation – zwei Männer, eine Frau, ein Bankraub – nicht die originellste. Aber wenn ausschliesslich Originalität Publikumsaufmarsch garantieren könnte, wären die die ersten zehn Plätze jeder Box-Office-Tabelle leer.

Tatsächlich reduziert Im Sog der Nacht seinen Plot zur Minimalmaschine, und das ziemlich gekonnt. Der Film beginnt mit dem Suizidversuch des von Nils Althaus gespielten Roger. In zittriger Verzweiflung schiesst er sich in seiner versifften Wohnung allerdings nur das halbe Ohr weg (was ihm später noch die beiläufige Anrede „van Gogh“ einbringt).

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Filmpodcast Nr. 163: Bright Star, The Imaginarium of Doctor Parnassus, Champions, Happy New Year.

Bright Star: Ben Whishaw (John Keats), Abbie Cornish (Fanny Brawne) © pathé
Bright Star: Ben Whishaw (John Keats), Abbie Cornish (Fanny Brawne) ©pathé

Das neue Kinojahr startet mit Volldampf. Wir haben Beiträge zu Bright Star von Jane Campion, zum Imaginarium of Doctor Parnassus von Terry Gilliam, zu Champions von Riccardo Signorell und zur neuen Happy New Year-DVD von Christoph Schaub. Und wir haben natürlich auch die Tonspur und die Unverpassbaren.

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Die Unverpassbaren, Woche 2

Cinco días sin Nora copy trigon
Cinco días sin Nora © trigon

Na also, das Jahr ist in die Gänge und auch schon wieder in die Tage gekommen, zu den Überfliegern von 2009 gesellen sich die ersten Neuentdeckungen. Hier die fünf Unverpassbaren im aktuellen Deutschschweizer Angebot:

  1. Bright Star von Jane Campion. Die meisterhaft unromantisch erfasste Liebe einer modernen jungen Frau zum todgeweihten Romantiker John Keats. Jane Campion kann das.
  2. Cinco días sin Nora von Mariana Chenillo. Die postume Liebesgeschichte eines längst geschiedenen Paares, ein mexikanischer Erstling mit leiser, komischer Haftkraft.
  3. Soul Kitchen von Fatih Akin. Der streitbare Deutschtürke widmet seiner nordischen Heimatstadt Hamburg eine Multikulti-Komödie, die einen Hauch Heimweh nach Überall auslöst.
  4. The Imaginarium of Doctor Parnassus von Terry Gilliam. Masslos und bildwild wie eh und je bei Gilliam. Zwar überzeugt mich die ‚reale‘ Ebene deutlich mehr als die (digital) imaginierte, aber Jahrmarktssensationalist Gilliam dampft nach wie vor.
  5. Avatar von James Cameron. Die Geschichte, die er erzählt, ist zwar ziemlich von gestern. Aber die Bilder, die sind von Übermorgen.

Im Filmpodcast von morgen Freitag findet sich übrigens zum ersten Mal die neue DVD-Rubrik: Wir stellen eine Scheiblette mit Durchblick und guter Halbwertszeit vor. Ab sofort jede Woche, am Donnerstag um 10.04 Uhr auf DRS2, ab Freitag im Film-Podcast.

James Bond on Hold

Bondage: Roger Moore, Richard Kiel © MGM/UA

Wie Variety eben meldet, haben die Bond-Produzenten Michael G. Wilson und Barbara Broccoli die Produktionsvorbereitungen für das 23. Abenteuer von Flemings Superagent vorerst suspendiert. Da die altehrwürdige Löwencompany MGM (wieder einmal) vor dem Verkauf steht, wollen die Briten ihre wertvolle Franchise nicht ins Leere laufen lassen. Die Rechte am Bond-Katalog sind ein substantieller Teil der MGM-Library und damit auch einer der wenigen Verkaufstrümpfe, die das hoch verschuldete einstige Studio im Moment noch zu bieten hat (neben dem pinken Panther). Da der nächste Bond aber ohnehin länger auf sich hätte warten lassen, spielt das im Moment keine grosse Rolle. Und den Bond-Machern bietet sich die Möglichkeit, in aller Ruhe den nächsten Bourne-Film abzuwarten, um herauszufinden, was überhaupt angesagt sein könnte…