QING CHUN (KU) (Youth (Hard Times)) von Wang Bing

Der zweite Teil von Wang Bings epischer Dokumentation führt Youth (Spring) weiter, der 2023 in Cannes zu sehen war. Das dokumentarische Prinzip ist das gleiche, für weitere 240 Minuten, mit Beginn im Jahr 2015, in den gleichen Textil-Sweatshops in Xhili.

Und die erste Stunde wirkt auch weitgehend so, als ob es einfach weitergehen würde mit dem Alltag der vor allem sehr jungen Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern, die aus diversen Provinzen hergekommen sind, alle in den gleichen engen Nähmaschinenräumen arbeiten, gleich darüber in den verschmutzten, heruntergekommenen Betonblöcken wohnen, Zigaretten rauchen und samt und sonders brandmager aussehen. „QING CHUN (KU) (Youth (Hard Times)) von Wang Bing“ weiterlesen

FOGO DO VENTO (Fire of Wind) von Marta Mateus

‚Fogo do Vento‘ ©Clarão Companhia

Ein bukolisches, prärevolutionär gefärbtes portugiesisches Passionsspiel? Marta Mateus’ zwischen Weinreben und im Korkeichenhain angesiedeltes Laientableautheater evoziert jedenfalls den langen Atem der unterdrückten Landarbeiter, Mütter und Soldaten.

Es beginnt friedlich und zeitgenössisch mit der Weinlese. Männer und Frauen knipsen satte Trauben von den Stöcken, werfen sie in kleine Plastikkisten, ein moderater Traktor sammelt diese ein.

Dann schneidet sich Soraia mit der Rebschere in die Hand. Blut tropft auf Reben, auf Blätter, auf den Grund. „FOGO DO VENTO (Fire of Wind) von Marta Mateus“ weiterlesen

TRANSAMAZONIA von Pia Marais

‚Transamazonia‘ © cineworx

In diesem Film stecken fast so viele Ideen, wie er Koproduzenten aufweist. Diese kommen aus Frankreich, Deutschland, der Schweiz (ja, auch die SRG ist beteiligt), Taiwan und Brasilien. Und in Brasilien spielt er denn auch.

Mit Ameisen auf einer Kinderhand fängt es an. Die Hand gehört Rebecca, sie ist vom Himmel gefallen. Neun Jahre später wird sie in der gleichen Gegend von ihrem missionarischen Vater als Wunderheilerin vermarktet; die Indigenen nennen sie «Miss Aspirin». „TRANSAMAZONIA von Pia Marais“ weiterlesen

CENT MILLE MILLIARDS (100’000’000’000’000) von Virgil Vernier

«Tust Du immer noch nichts?» ist die Frage, welche Asife am häufigsten gestellt wird. Der junge Mann prostituiert sich in Monaco. Er lebt mit drei Freundinnen in einem Haus, die alle ebenfalls als Escort arbeiten. Eine von ihnen hat konkrete Pläne für alle vier.

Sie will einen richtigen High-End Service aufziehen, mit Lohn für die Angestellten, mit einem Buchhalter und vor allem: Mit einer Zukunftsperspektive. „CENT MILLE MILLIARDS (100’000’000’000’000) von Virgil Vernier“ weiterlesen

MOND (Moon) von Kurdwin Ayub

‚Mond‘ ©Ulrich Seidl Filmproduktion

«Es geht um Schwestern, egal woher sie kommen, und um Käfige, egal wo sie stehen. Käfige, die man verlassen möchte und solche, in die man sich zurückwünscht.»

So formuliert Regisseurin Kurdwin Ayub das Thema von Mond, ihrem zweiten langen Spielfilm nach Sonne von 2022.

Die erste Schwester, Sarah (Florentina Holzinger) sehen wir in der ersten Einstellung an einem Tiefpunkt. Die bisher erfolgreiche mixed Martial-Arts Kämpferin wird im Wettkampf-Käfig von ihrer jüngeren Gegnerin blutig vermöbelt. Sarahs Karriere ist erst mal gelaufen. „MOND (Moon) von Kurdwin Ayub“ weiterlesen

SULLA TERRA LEGGERI (Weightless) von Sara Fgaier

© Limen

Eine bewährte Locarno-Faustregel lautet seit Jahren: Schau Dir hier keine italienischen Uraufführungen an, schon gar nicht im Wettbewerb. Wenn die Filme was taugen, haben sie ihre Weltpremiere in zwei Wochen in Venedig.

Der erste Langspielfilm der Italo-Tunesierin Sara Fgaier ist allerdings kein misslungener Versuch, sondern gezielt gebaute grosse Kammer-Oper. Mit allen Vor- und Nachteilen. „SULLA TERRA LEGGERI (Weightless) von Sara Fgaier“ weiterlesen

SESES (Drowning Dry) von Laurynas Bareiša

Gelminė Glemžaitė (Ernesta) und Agnė Kaktaitė (Juste) ©afterschool

Leopard für die beste Regie: Laurynas Bareisa
Leopard für die beste schauspielerische Leistung: Gelmine Glemzaite, Agne Kaktaite, Giedrius Kiela, Paulius Markevicius

Die Schwestern Ernesta und Juste fahren mit ihren Männern und den Kindern ins Wochenendhaus am See, das sie von ihren Eltern geerbt haben. Dort wollen sie den Lukas’ Sieg in einem Kickbox-Tournier feiern und den Geburtstag von Tomas.

Es ist eine vertraute Gemeinschaft, Regisseur Bareiša führt seine Figuren effizient und minimalistisch ein. „SESES (Drowning Dry) von Laurynas Bareiša“ weiterlesen

DER SPATZ IM KAMIN von Ramon Zürcher

Ilja Bultmann, Andreas Döhler, Britta Hammelstein, Maren Eggert, Lea Zoe Voss, ‚Der Spatz im Kamin‘ © Zürcher Film

Die Berner Zwillingsbrüder Ramon und Silvan Zürcher haben ihre «Tier»-Trilogie abgeschlossen. Im Wettbewerb des Filmfestivals von Locarno wurde heute Der Spatz im Kamin uraufgeführt, der Nachfolger von Das merkwürdige Kätzchen und Das Mädchen und die Spinne.

Fertig lustig. Mit dem Spatz geht’s zur Sache, Familie ist nichts für Feiglinge. Bei Ingmar Bergman, dem schwedischen Meisterregisseur des Familien- und Ehedramas, war Schreie und Flüstern 1972 der internationale Durchbruch.

Ramon Zürcher beruft sich auf Ingmar Bergman als einen seiner frühen Einflüsse. Ein anderer sei David Lynch gewesen, mit Mullholland Drive. „DER SPATZ IM KAMIN von Ramon Zürcher“ weiterlesen

LUCE von Silvia Luzi und Luca Bellino

Marianna Fontana ‚Luce‘ © Bokeh Film, Stemal Entertainment

Marianna Fontana hat ein unglaublich schönes Gesicht. Sie sieht aus jedem Blickwinkel ein wenig anders aus, aber stets einnehmend. Und das ist gut so, denn dieser Film zeigt vor allem ihr Gesicht.

Luce ist ein konsequenter, strenger Film. Bisweilen fast schon eine Disziplinierung des Publikums. Das hat natürlich auch strenge, konsequente Gründe. Aber die machen die Vorenthaltungsstrategie des Kamerablicks nicht weniger frustrierend. „LUCE von Silvia Luzi und Luca Bellino“ weiterlesen

BOGANCLOCH von Ben Rivers

Jake Williams in ‚Bogancloch‘ © Ben Rivers

Das ist, je nach Perspektive, ein ziemlich abstrakter Kunstfilm, oder ein extrem konkreter Dokumentarfilm. Aber eigentlich ist Bogancloch ein Sequel.

Mit Two Years at Sea von 2011 hat Ben Rivers schon einmal den Alltag des schottischen Eremiten Jake Williams zum Sujet eines Filmes gemacht. „BOGANCLOCH von Ben Rivers“ weiterlesen