Filmpodcast Nr. 178: Visions du réel Nyon, Gainsbourg, War Of The Roses, Reflexe Filmförderung, DVD Giulias Verschwinden.

Kathleen Turner und Michael Douglas in 'The War of the Roses' von 1989
Kathleen Turner und Michael Douglas in 'The War of the Roses' von 1989

Kino im Kopf mit Brigitt Häring. Zum Abschluss vom Dokfilmfestival Nyon Visions du réel zieht Michael Sennhauser Bilanz zum Abschiedsprogramm und dem Auftritt von Lou Reed. Frankreich-Korrespondent Andreas Klaeui hat den neuen Film über Serge Gainsbourg gesehen und ich blicke 20 Jahre zurück auf Danny De Vitos Film The War Of The Roses. Neu auf DVD gibt’s den Schweizer Film Giulias Verschwinden – Michael Sennhauser stellt die DVD vor. Und in Reflexe macht sich Michael Sennhauser Gedanken zu den Filmförderungsmodellen unserer Nachbarländer Deutschland und Österreich. Dazu auch diese Woche die fünf Kurztipps und eine Tonspur zum Miträtseln.

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Die Unverpassbaren, Woche 17

Laetitia Casta und Eric Elmosnino in 'Gainsbourg' ©pathefilms
Laetitia Casta und Eric Elmosnino in 'Gainsbourg' ©pathefilms

Erst diese fünf Filme sehen. Dann alle anderen.

  1. Gainsbourg – vie héroïque von Joann Sfar. Das Biopic vom Comicmacher ist anders, frecher, fiktiver und gerade darum auch echter – und grundsätzlich vergnüglich.
  2. Sin nombre von Cary Fukunaga. Formal zerreisst dieser mexikanisch-amerikanische Thriller keine Stränge. Aber der Mix aus Gang- und Emigranten-Drama geht unter die Haut. Und das war sicher auch der Wunsch des Produzenten Gael García Bernal.
  3. Pizza Bethlehem von Bruno Moll. Junge Fussballerinnen mit ganz unterschiedlichen Wurzeln lassen die Kinozuschauer an ihrem Leben teilhaben.
  4. Nothing Personal von Urszula Antoniak. Unglaublich poetisches Filmgedicht über die Begegnung zweier Menschen, die Einsamkeit als Lebensform gewählt haben.
  5. Air Doll – Kûki ningyô von Hirokazu Kore-eda. Der japanische Meister verwandelt die Geschichte einer Sexpuppe in pure Poesie.

Im Filmpodcast morgen gibts es mehr zu Filmen, zum Dokfilmfestival in Nyon und zur österreichischen Filmförderung.

Nyon 10: RED SHIRLEY – ein Abend mit Lou Reed

'Red Shirley' von Lou Reed

Er ist tatsächlich gekommen, der Rockstar mit seinem Erstlingsfilm. Lou Reed ist trotz Aschewolke und Flugverboten nach Nyon gefahren, im Zug aus London, um heute Abend seinen ersten (und nach seiner Aussage auch letzten) Dokumentarfilm vorzustellen: Red Shirley, ein 28 Minuten langes Porträt seiner mittlerweile 101 Jahre alten Cousine. Es müsste nicht sein letzter sein, Red Shirley ist nicht nur ein berührendes Portrait einer alten Jüdin, die mit 19 Jahren ganz alleine aus Polen nach Kanada emigriert ist, und von dort nach nur sechs Monaten weiter nach New York, sondern auch ein (von Ralph Gibson) ansprechend gefilmtes, sehr dicht geschnittenes und vertontes (da kommt Lou Reeds eigene Expertise ins Spiel) rundes Werk. Die in einzelnen Momentaufnahmen aus ihren Erzählungen evozierte Sicht auf das Leben einer als oppositionelle Gewerkschafterin, also als „rote“, gegen die korrupte Union kämpfende, unerschrockene Frau, die unter anderem auch am Million Man March gegen die Segregation nach Washington dabei war, fügt sich zu einem ansprechenden kurzen Film, der keineswegs abfällt unter den übrigen in Nyon gezeigten Werken.

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Nyon 10: GIALLO A MILANO – Made in Chinatown von Sergio Basso

'Giallo a milano'

Integration macht Spass. Nicht unbedingt im realen Leben und wahrscheinlich noch viel weniger in Italien. Aber dieser Dokumentarfilm zum Leben und Denken der Chinesen in Europas grösstem Chinatown, dem von Mailand, der ist ein Vergnügen. Ein kluges, witziges, charmantes, einnehmendes Plädoyer, ein Film, der seinen Schalk schon im Titel trägt. Der „giallo“, das ist der Krimi, der Schundroman, Pulp Fiction in Italien, abgeleitet vom gelben Umschlag einer einst extrem populären billigen Krimireihe eines italienischen Verlagshauses. Wörtlich heisst Giallo a Milano natürlich „gelb in Mailand“, aber auch Krimi in Mailand. Und wie einen Krimi hat der Sinologe und Dokumentarfilmer Sergio Basso seinen Film strukturiert. 15 Elemente brauche ein guter Thriller verkündet der Film am Anfang, und dekliniert die dann durch, vom „jungen Verräter“ bis zur „singenden Puppe“ oder der Verfolgungsjagd.

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Nyon 10: BEYOND THIS PLACE von Kaleo La Belle

'Beyond this place' von Kaleo La Belle

Die Zeit für die Aufarbeitung der Gurus ist definitiv gekommen. Der junge, in der Schweiz lebende Amerikaner Kaleo La Belle hat mit Beyond this Place gestern Abend eben den dritten Film zum Thema an diesem Festival geliefert – und den berührendsten. La Belle hat seine frühe Kindheit als Sohn eines amerikanischen Proto-Hippie-Paares auf Maui erlebt. Bald aber ist sein Vater zu dessen sterbender Mutter in die USA zurückgekehrt, und schliesslich ist auch La Belles Mutter mit dem Sohn zu ihren Eltern zurück gereist – ausgerechnet ins kalte Detroit. Siebzehn Jahre nach seiner letzten Begegnung mit dem Vater versucht der Sohn nun eine Annäherung an ihn, diesen „Hippie-General ohne Truppe“, diesen Extremindividualisten, der dem Sohn auf den Vorwurf, er hätte seine Verantwortung als Vater nicht wahrgenommen, grinsend erklärt, jedes Kind suche sich seiner Eltern selber aus, das sei Karma. Der Vater, der seit seiner Erleuchtung nicht mehr Gordon La Belle heisst, sondern Cloud Rock, liebt vor allem drei Dinge: Sich selber, seine Drogen und das Fahrradfahren. Und da versucht der Sohn einzuhängen, er schlägt einen ausführlichen Fahrradtrip zum Spirit Lake und dem Mount Saint Helen vor – und der Vater steigt darauf ein.

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Nyon 10: PLUG AND PRAY von Jens Schanze

'Plug and Pray' von Jens Schanze

Die Sektion tendances des Festivals hat tatsächlich die eine oder andere Überraschung zu Zeitfragen auf Lager. Jens Schanzes Plug & Pray setzt sich mit der Computertechnik, der Suche nach künstlicher Intelligenz und der Robotik auseinander. Aber nicht so, wie die meisten der atemlosen Technikmagazine am Fernsehen, sondern hauptsächlich über zwei Antagonisten. Einerseits den Zukunftsevangelisten Raymond Kurzweil, der den ersten Vorlese-Synthesizer für Blinde gebaut hat und seither unermüdlich die Zukunft beschwört, bis hin zu Nanocomputern, welche dereinst unsere roten Blutzellen ersetzen und als Maintenance-Systeme die ewige Jugend garantieren sollen. Auf der anderen Seite der 2008 verstorbene ehemalige MIT-Computerprofessor Joseph Weizenbaum, der im Alter zum unermüdlichen Advokaten für mehr Menschlichkeit und weniger technokratisches Zukunftsgebabbel geworden war.

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Nyon 10: Die Nachfolge Perret: Luciano Barisone

Luciano Barisone ©sennhauser
Luciano Barisone ©sennhauser

An einer Pressekonferenz in Nyon hat Claude Ruey, der Präsident des Vereins Visions du réel eben die Nachfolge für Jean Perret als Direktor des Festivals bekanntgegeben: Luciano Barisone vom Festival dei popoli von Florenz. Barisone wird die Hälfte des neuen Leitungsteams ausmachen, die Geschäftsführung wird erst noch gesucht. Über seine Pläne für das Festival konnte und wollte Barisone noch nicht reden, dafür wird es in einigen Monaten eine eigene Pressekonferenz geben. Und für die unglückliche Terminierung der Festivalausgabe nächstes Jahr unmittelbar vor dem Festival von Cannes, nämlich vom 5. – 11. Mai 2011 kann er nichts, das Datum wurde von der aktuellen Equipe festgelegt.

Nyon 10: SOMETHING ABOUT GEORGIA von Nino Kirtadze

Micheil Saakaschwili in 'Something about Georgia' von Nino Kirtadze
Micheil Saakaschwili in 'Something about Georgia' von Nino Kirtadze

Auch der politische Dokumentarfilm lebt in Nyon weiter. Allerdings ist das, was die in Paris lebende Georgierin Nino Kirtadze gestern Abend hier gezeigt hat nicht die klassische Dokumentation über die laufende Invasion eines Staates. Radikal subjektiv und ganz aus der Sicht der Bevölkerung gefilmt, erzählt sie von jenen verhängnisvollen Tagen im August 2008, als Russland die Invasion begann, im Zusammenhang mit den Unabhängigkeitsbestrebungen von Süd-Ossetien und Abchasien. Kirtadze beginnt den Film mit der Frage, ob Georgiens Traum von der Zugehörigkeit zu Europa, von einer freien demokratischen Gesellschaft nicht vielleicht Georgiens Fluch darstelle?

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Nyon 10: GURU – Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard

'Guru' von Sabine Gisiger und Beat Häner

Die Zeit ist offensichtlich reif für die Aufarbeitung der Gurus. Bhagwan Shree Rajnees, dem in den Siebziger Jahren auch viele blumenkindersehnsüchtige Schweizerinnen und Schweizer anhingen, den Ashram in Poona besuchten und seine Sex-Befreiungbücher lasen, hat seine Spuren hinterlassen. Heute lebt seine einstige Sekretärin und rechte Hand, Sheila Birnstiel, die Frau, welche die amerikanische Bhagwan-Kolonie aufgebaut hatte und schliesslich dafür im Gefängnis landete, in Maisprach in der Schweiz. Und Hugh Milne, der hünenhafte Schotte, der in Poona der Bodyguard des Bhagwans gewesen war, führt ein Zentrum für Craniosakral-Therapie in Big Sur in Kalifornien. Sehr offene und geschickt montierte Interviews mit den beiden fügen Sabine Gisiger und Beat Häner zusammen mit Unmengen von Archivmaterial zu einem schlüssigen Bild einer dieser Hippie-Bewegungen, bei denen sich der Traum von der alternativen Gesellschaft in einen Albtraum verwandelt hat.

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Nyon 10: Gesammelte Jahrgänge

Videothek Nyon

Seit 1995 sammeln sich im Büro der Visions du réel in Nyon die Videokassetten, ein paar Jahre später fing es dann mit den DVD an. Jean Perret und sein Team waren am Anfang ja strenge Verfechter der 35mm Kopie, in den ersten Jahren kam in Nyon nichts anderes auf die Leinwand. Was nicht heisst, dass Video für Visionierungszwecke nicht zugelassen war. Heute bilden die Spuren dieser Jahre eine eindrückliche Videowand in den Festivalbüros. Auf dem Bild sind die Videos ab ca. 2001 zu sehen, links davon wäre eine weitere Wand mit DVD. Die Atmosphäre, welche von den Dingern ausgeht hat etwas Magisches, anders als Bücher sind Filmdatenträger aber nicht beruhigend, sondern bestenfalls euphorisierend, im schlimmeren Fall machen sie mich kribbelig. Nur schon, weil der einzige Impuls da sein kann, sich hinzusetzen und oben links mit Visionieren anzufangen…