Locarno: Was tun, wenn die Partynacht im Regen verschwindet?

Marcy Goldberg und Cathy Flaviano (c) sennhauserNa was denn? Zum Beispiel das hier: Marcy Goldberg (die charmanteste Filmwissenschafterin der Schweiz) und Cathy Flaviano (strahlende Powerfrau bei DRS4News) nutzen die neuste Errungenschaft der Lifestyletechnik, das iPhone, als zeitgemässen Leporello, und gehen den einschlägigen Teil von Cathys Fotoalbum minutiös kommentierend durch. Das vertreibt die Wolken (vorübergehend) und hebt die Stimmung (permanent). Ganz abgesehen davon, dass es den anwesenden Männern am Tisch die Stimme verschlägt (vorübergehend).

Locarno: Heulender Himmel und gastfreundliche Oekumene

Swissfilms bringt die Plakate ins Trockene (c) sennhauserEs war ein nasskalter Tag des Schweizer Films heute. Und gegen Abend haben die Helfer von Swissfilms auch die Plakatständer wieder abgeräumt (auf dem hinteren Plakat das Lachen von Bideau père) und durch die Pfützen geschoben. Irgendwie haben sich alle durch den Tag gerettet. Die Filme waren gut, die grosse Paneldiskussion zur Notwendigkeit von Glamour und Rotem Teppich scheints nicht völlig überzeugend, aber immerhin unterhaltsam, dank einem kleinen Showdown zwischen Filmchef Nicolas Bideau und Festivalpräsident Marco Solari (ich war nicht dabei, also Vorsicht bei die Gerüchte …) Und warum war ich nicht dabei? Weil ich

Das oekumenische Buffet mit Venus (c) sennhauserwieder einmal zu den Glücklichen gehörte, die zum oekumenischen Mittagessen eingeladen wurden. Das ist immer noch einer der gediegensten und angenehmsten Anlässe hier in Locarno: Fast nur ernsthafte und nette Leute, ein grossartiges Buffet und Gastgeber, die zum Filmkuchen ein angenehm distanziertes Verhältnis haben, einfach aufgrund ihrer Interessenslage. Einzige Frage, die offen blieb: Was macht ausgerechnet die Venus am oekumenischen Empfang?

Locarno: Wetterpech für Schweizertag

Wolken über der Piazza Grande in Locarno (c) sennhauserNun hatten wir eine Woche fast durchgehend strahlendes Wetter, und kaum soll die journée du cinéma suisse den Festivalgängern zeigen, wie lebendig die hiesige Filmszene ist, fängt der Himmel an zu heulen. Um acht Uhr morgens war es noch drohend bewölkt, nach dem (himmeltraurigen) 135minütigen Russenfilm dann richtig nass gruusig. So hat sich das niemand gewünscht, und wenn es nicht auftut, wird auch Denis Rabaglias sonnige Romanze „Marcello Marcello“ heute Abend nur die Hälfte ihres italophil nostalgischen Charmes versprühen können.

Locarno: „Un autre homme“ von Lionel Baier

un autre homme de Lionel BaierEs kommt ja selten vor, dass einem als Filmkritiker das Herz aufgeht, wenn sich ein Filmemacher über die blöden Kritiker lustig macht. Aber Lionel Baier schafft mit seinem „Un autre homme“ sogar noch mehr als das: Der Film hat den meisten von uns nicht nur Spass gemacht, sondern uns richtig begeistert. Was der hyperintelligente Charmbolzen aus Lausanne da wieder aus dem Ärmel geschüttelt hat, ist nichts weniger, als eine Hommage an das Kino und alle seine Hochstapler, Gourmands und Gourmets. Das Ding hat reale Chancen für einen Preis im Wettbewerb von Locarno. Eine witzige, schön gefilmte und präzise Satire mit viel Herz, gedreht für 350’000 Franken,

aber hochprofessionell gemacht und randvoll mit Querverweisen, Spielereien und spannenden Momenten. Ein Film für und gegen die Kritiker auf jeden Fall, aber auch für alle, die sich nicht schämen, altmodisch cinephil zu sein und zu bleiben. Mehr dazu gibts hier für die Ohren:

Locarno: Sonntagsschlange für Max Bill

Anstehen für Max Bill in Locarno (c) sennhauserDie Semaine de la critique in Locano zieht immer viele Leute an, zumal jeder Film nur zweimal gezeigt wird. Aber wenn Schweizer Film Premieren auf dem Programm stehen, ist das Gedrängel in der Regel besonders gross, weil auch alle Medienvertreter unbedingt dabei sein müssen. So hat die Uraufführung von Erich Schmids Dokumentarfilm Max Bill – Das absolute Augenmass wieder zum Sturm des Kursaalkinos geführt.

Locarno: Nordwand, die Titanic des Bergfilms

Nordwand (c) Rialto FilmGestern kam auf der Piazza Grande ein Spektakel zur Uraufführung, das mich in seiner melodramatischen Dichte an Titanic erinnert hat, in seiner farbigen Zeitrekonstruktion an Das Wunder von Bern, und das darüber hinaus zu schweissnassen Händen im ewigen Eis der „Mordwand“ in der Augusthitze Locarnos geführt hat: Nordwand von Philipp Stölzl. Das Drama um die Eigernordwand Erstbesteigung ist gut gemacht, technisch ziemlich überzeugend, und, bis auf die letzten zwanzig Minuten, auch dramaturgisch absolut mitreissend. Der Film kommt im Oktober ins Kino, etwas mehr dazu gibts hier in meinem Beitrag für Echo der Zeit von gestern zu hören.

Locarno: Bideau lässt die Produzenten auf die Autoren los

BAK Chef Jauslin und Filmchef Nicolas Bideau an der PK In Locarno (c) sennhauser
BAK Chef Jauslin und Filmchef Nicolas Bideau an der PK In Locarno (c) sennhauser

Ich gebe es ja zu: Der Titel ist ein wenig zugespitzt. Aber in der Fortsetzung der Geschichte vom 24. Juli hat Nicolas Bideau heute in Locarno die Diskussion um die Autorenfilmer und ihre Produzenten eröffnet. Am Filmfestival in Locarno gab das Bundesamt für Kultur seine traditionelle Pressekonferenz. Dabei hat Nicolas Bideau, der Chef der Bundesfilmförderung, einen ziemlich radikalen Wechsel in der Autorenfilmförderung angekündigt: In Zukunft sollen Autorenspielfilme nur noch subventioniert werden, wenn ein professioneller Filmproduzent dahinter steht. Hier unser Echo der Zeit Beitrag zum Nachhören: [audio:
http://sennhausersfilmblog.ch/wp/wp-content/uploads/2008/08_08_aug/download/BideauPKLocarno.mp3]

Filmpodcast Nr. 89: Filmfestival Locarno beginnt, Alexander J. Seiler.

Hier ist die 89. Ausgabe von Kino im Kopf. Wir sind am Filmfestival Locarno, und entsprechend tönt auch unser heutiges Angebot. Zuerst stelle ich Festivaldirektor Fédéric Maire und seinem Chef, Festivalpräsident Marco Solari, die ewige Frage nach der Stellung ihres Festivals in der Schweiz und in der Welt. Langweilig? Warten Sie es ab! Dann folgt ein kurzer Austausch zwischen Eric Facon und mir, zum Eröffnungsfilm Brideshead Revisited und zum ersten Film im Wettbewerb, «Parque via» aus Mexico. Dann noch einmal Maire und Solari zur ewigen Medienforderung nach Stars und Glamour in Locarno, und zum Schluss noch ein Geburtstagsgruss an den Schweizer Filmer Alexander J. Seiler, der am Eröffnungstag von Locarno seinen 80 Geburtstag feiern konnte. Kurztipps und Soundtrackspiel haben wir auch, trotz Festival.

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Locarno: Unser Studiöli, ein heisser Arbeitsplatz

Radioeqipment in einer Hochsicherheitswanne (c) sennhauserEs ist jedes Jahr ein Nachhausekommen der besonderen Art: Das kleine Radiostudio, welches die Tessiner Kollegen für uns und alle ausländischen Radiokollegen jeweils in der kleinen Wohnung über dem Café Verbano in der Sopracenerina einrichten, ist einer jener Orte, wo die Zeit stehen bleibt. Noch immer lagert das zusätzliche Equipment im kleinen Badezimmer, wo auch die einzige Toilette versteckt ist. Das Bidet ist frei, weil es so klein ist. Aber die Badewanne ist ein sicherer Hafen für alles, von der alten Revox bis zum Ersatzrouter für die Netzwerke. Und die Arbeit macht

Spass, dank der freundlichen Technikkollegen und dank all den bekannten Gesichtern, die auch jedes Jahr wieder hier auftauchen, schwitzend und gehetzt, und dann doch immer zufrieden wieder rausgehen, weil sie eben einen Beitrag abgeliefert haben. Oh ja: Es ist warm, wie man unschwer an Kollege Eric Facons Gesichtsausdruck erkennen kann (siehe unten). Aber der Ort ist aller Emsigkeit zum Trotz unser Hafen im Festivalrummel. hier gibts nur Radioleute (und ihre Gesprächsgäste gelegentlich). Und Radioleute sind wie Hells Angels: Sie mögen gefährlich aussehen und mit schweren Maschinen umgehen, aber im Grunde ihres Herzens sind sie alle herzensgut und liebenswert. Wenn jemand etwas anderes behaupten möchte, kriegt er kein Mikrofon. So einfach ist das.

Eric Facon macht den Bideau sendefertig (c) sennhauser

Locarno: Regenkapriolen zur Eröffnung

Unerschütterliche Filmfans auf der Piazza Grande (c) sennhauser
Unerschütterliche Filmfans auf der Piazza Grande (c) sennhauser

Hartnäckigkeit zahlt sich aus. All jene, die wegen der Gewitterstimmung um 20 Uhr schon mal das Turnhallenkino bezogen, hatten das Nachsehen auch jenen Unentwegten gegenüber, welche mit Schirm und Pelerine die Piazza Grande eroberten und trotzig ausharrten: Das Gewitter war ein kurzer Schrecksprutz und ab 21 Uhr war es schon wieder trocken (ausser auf den Stühlen natürlich). Die Eröffnungszeremonie verlieft kurz und würdig und schon bald donnerte die legendäre Stimme von „la voce“ über die Piazza Grande und kündete Julian Arnolds Brideshead revisited an, ein Film im übrigen, der gefällt und funktioniert, auch wenn er die komplexe Vorlage ganz Rosamunde-Pilcher-mässig plättet, wie ein spitzzüngiger Kollege behauptete. Mir hat es gefallen, dieses dekadente Laboratorium für menschliche Zwänge jenseits materieller Sorgen.

Die legendäre Stimme, genannt „la voce“, kündigt den Eröffnungsfilm an: