J’ai toujours rêvé d’être un gangster

Gestern Abend war auf der Piazza Grande die eigenartigste Nostalgie am Werk, die ich hier je erlebt habe. J’ai toujours rêvé d’être un gangster von Samuel Benchetrit ist ein mehr oder weniger stationäres Roadmovie, das in der Pariser Banlieu spielt.

Die wunderschöne Anna Mouglalis (mittlerweile Mme Benchetrit) und eine Reihe anbetungswürdiger Altstars der französischen A- und B-Schauspielergarde tummeln sich Donald-Duck-ähnlich in dieser Geschichte um Möchtegern- bzw. Warenmal-Gangster.

Weil der Film in wundervollem Schwarz-Weiss gedreht wurde, mit Stummfilm-Gags und vielen Referenzen an das italienische Kino der 60er Jahre, wirkt er ein wenig wie ein früher Jim Jarmusch auf Französisch. Paradox, weil Jarmusch auf die gleichen Quellen verweist.

Abgesehen davon, dass der Film unheimlich rührend und unheimlich lustig ist, hat diese „Jarmuschisierung“ zu einer neuen Erkenntnis für mich als Berufskinogänger geführt: Stilbeschreibungen sind nicht immer generationenübergreifend. Wer mit Jarmusch sozialisiert worden ist, sieht diese Bilder anders, als jemand, der mitten in der nouvelle vague das Kino entdeckte. Und Nostalgie kann auch vom Echo eines Echos ausgelöst werden.

Slipstream von Anthony Hopkins

Wenn Stars plötzlich Regie führen und dann gar noch eigene Drehbücher verfilmen, dann redet man in Hollywood gerne von einem „vanity project“, einem Eitelkeits-Vorhaben. Es gibt sogar eine Theorie, dass Studios und Produzenten Stars damit bestrafen, dass sie sie Regie führen lassen, weil sie danach, nach einem Flop, wieder viel leichter zu handhaben sind. Bei Sir Anthony Hopkins lag der Fall wohl ein wenig anders. Slipstream ist ganz sicher nicht Mainstream, und floppen kann der Film nicht, weil er schon gar nicht auf einen Kassenerfolg hin angelegt ist. Ein Vanity Project ist das trotzdem, aber ein sympathisches. Die Story, die Hopkins sich ausgedacht hat, ist kompliziert genug. Im Zentrum steht er, alsalternder Drehbuchautor Felix Bonhoeffer, dem seine Wirklichkeit und seine erfundenen Drehbuchwelten durcheinander geraten. Das ist sehr ambitioniert erzählt, mit unzähligen Ebenen- und Realitätswechseln, einer erstklassigen Kameraführung, in Breitwandformat und perfekt ausgeleuchtet, mit einer raffinierten Tonspur und einer ganzen Horde eindrücklicher Schauspielerinnen und Schauspieler. Hopkins selber verschwindet beinahe im ganzen Feuerwerk an inszenatorischen Verwirrmomenten, was einen sympathisch bescheidenen Zug verrät. Gleichzeitig ist das leider alles ein wenig beliebig, abgesehen von der permanenten Verwirrung, in die einen der Film stürzt, hat er aber eine ganze Menge witziger Hollywood-Aperçus zu bieten. Auf einem chaotischen Filmset werkelt zum Beispiel ein Weichei von Regisseur (inklusive Baby im Snugly vor der Brust), während auf einem Golfplatz oder sonst wo John Turturro einen berserkernden Produzenten namens Harvey gibt, der kein Auge trocken lässt. Alles in allem merkt man dem Film auf positive Weise an, dass keine kommerziellen Interessen dahinter stehen. Ob es dazu allerdings nötig ist, das Ganze so zu erzählen, dass man – vielleicht im Sinne Godards – Anfang Mitte und Schluss, sowie alles dazwischen und dahinter beliebig umstellen könnte, ohne den Gesamteindruck zu verändern? Eitelkeit findet immer einen Weg, und sei es die Kurve über die Bescheidenheit.

Umverteilte Festivalsubventionen: Gerüchte

Die Medienkonferenz des EDI, bzw. des Bundesamtes für Kultur und der Sektion Film ist zwar erst morgen Freitag um 10.45 Uhr in Locarno, aber die Gerüchteküche hat schon einiges ausgespuckt im Hinblick auf die künftigen Filmfestivalsubventionen des Bundes. Hier also die ersten unvollständigen Zahlen, ob sie stimmen, erfahren wir morgen: Solothurner Filmtage: 330'000 Fr.  (wie bisher), NIFFF in Neuenburg und Animationsfilmfestival Fantoche, Baden: je 75'000 Fr., Kurzfilmtage Winterthur: 50'000 Fr. Cinema tout écran in Genf bekommt gar nichts mehr, dafür wird das junge Zurich Film Festival neu mit 50'000 Fr. unterstützt. Ob neben tout écran wie erwartet auch das Festival de Fribourg über die Klinge springen muss für die Zürcher, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen.

Nachtrag vom 3. August nach dem Sprung: 

2007-08-03 12:16:15

Die Zahlen von gestern haben sich als korrekt erwiesen. Ergänzung jetzt nach der Pressekonferenz: Das Filmfestival Fribourg bekommt für 2008 100'000 Franken, für die Grossen Nyon und Locarno wurden die Subventionen leicht erhöht: Locarno: 1'350'000 Fr. Nyon: 400'000 Fr. Also keine grosse Überraschung mehr heute.

Filmpodcast Woche 31 2007: 1 to 1, Schwarzenegger, Bergmann, Bideau, Locarno

Herzlich Willkommen zum DRS Filmpodcast für die Woche 31. Direkt aus Locarno und rappelvoll. Nadja Fischer nimmt Abschied von Ingmar Bergmann, Pierre Lachat bespricht den dänischen Film 1 to 1, Max Akerman in San Francisco fasst zum 60. Geburtstag die politische Karriere von Arnold Schwarzenegger zusammen. Und dann steigen wir ein ins Filmfestival von Locarno, mit einem historischen Beitrag von Erich Facon, einem kurzen Gespräch mit Festivaldirektor Frédéric Maire und zwei filmpolitischen Beiträgen von mir zur Subventionspolitik von Bundesfilmchef Nicolas Bideau.

Ich wollte schon immer ein Gangster sein

J’ai toujours rêvé d’être un gangster – Ich habe schon immer davon geträumt, ein Gangster zu sein, so heisst die Komödie von Samuel Benchetrit, die morgen Abend auf der Piazza Grande in Locarno gezeigt wird. Für die akkreditierten Journalisten hier bleibt es nicht beim Traum. Dank der Kunst der Fotoverarbeitung im Akkreditierungsbüro, sehen wir hier alle wie Gangster aus – zumindest auf unseren Presseausweisen. Siehe Kollege Eric Facon hier: Er ist in Wirklichkeit sehr nett und beinahe gut aussehend!

Grossmama Dreifuss?

Jahrelang war Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss die Königin in Locarno. Als Chefin des EDI und damit oberste Subventionsverwalterin natürlich, aber auch als ausgewiesene Cinéphile. Seit sie pensioniert ist, sieht man sie soagr noch öfter an den Schweizer Festivals, und immer im Gespräch mit den Leuten. Aber so habe ich sie bisher noch nie gesehen: Mit Kinderwagen und, nehme ich an, Enkelkind, oder Grossneffe oder Freundeskind. Filmreif.

Vexille ist (auch) ein Geek-Fest

Ich habe ein Weilchen gebraucht, bis mir klar wurde, wie sehr Fumihiko Soris Anime-Epos Vexille (siehe auch den vorherigen Blogeintrag) die Geeks und die Nerds im Zielpublikum bedient. Da heisst zum Beispiel der Boss der US-Agenten, welche die japanischen Androiden bekämpfen, ausgerechnet Borg (ein Gag für Trekkies). Und warum mit dem Google-Schriftzug (die farbigen Buchstaben sagen „Barbara“ in einer Szene) Schindluder getrieben wird, macht der Abspann des Filmes klar: Zu den Sponsoren gehört auch Yahoo Japan. Für die vielen Sponsorengäste in Locarno war das wohl geschenkt, aber der Film bietet ja auch jenen einiges, die schon nach zwei Minuten den Faden verlieren. Und hier noch eine kurze Einordnung des Ganzen von Regisseur Fumihiko Sori:

Manga in High Definition

Mit Vexille von Fumihiko Sori aus Japan wird heute Abend das Filmfestival von Locarno eröffnet. Ob das nun Anime ist oder Manga oder Animationsfilm: „Vexille“ ist spektakulär. Der Film holt das Maximum aus der neuen High Definition-Digital-Projektion heraus, optisch ist das ein Fest. Inhaltlich ist die Sache zumindest faszinierend, wenn auch nur in der Story-Line originell und weniger in den einzelnen Sequenzen. Die Geschichte spielt in Japan im Jahr 2077, Japan hat vorzehn Jahren die UNO verlassen, um sich der geächteten Entwicklung von Androiden weiter widmen zu können. Nun weiss auf der Welt niemand, was in dem elektronisch abgeschirmten Land in diesen zehn Jahren passiert ist. Man vermutet allerdings, dass Japan zu einer Bedrohung für die Menschheit geworden ist, und darum schicken die Amerikaner ein Kampf-Team von SWORD, darunter die Heldin Vexille heimlich in die Zone. Was die (samt und sonders japanisch sprechenden) Amerikaner an High Tech und Überraschungen erwartet in Tokyo, ist tatsächlich spektakulär. Vom virtuellen Keyboard im Auto bis zu den irren Raketenwürmern aus Metall-Schrott wird optisch ein Dauerfeuerwerk geboten, das alles bisher gesehene in den Schatten stellt. Dass die Geschichte den aktuell in den Kinos laufenden „Transformer“-Schrott von Michael Bay vergessen macht, ist ein weiterer Pluspunkt. Im Pressekino waren die Bilder phantastisch, ich bin gespannt, wie das heute Abend auf der riesigen Piazza-Leinwand aussieht. In Japan startet der Film übrigens am 18. August, das ist also ein ziemlich exklusiver Eröffnungsfilm für Locarno.

Madame le maire: Die Bürgermeisterin

Das ist Carla Speziali, die filmstarwürdige Bürgermeisterin von Locarno. Die Verwalterin der Tessiner Festivalstadt hat gestern tapfer die Liste der bisher hier anwesenden Kino-Koriphäen vorgebetet. Einer Politikerin kann man es wohl verzeihen, wenn sie den einen oder anderen Regisseur nicht richtig aussprechen kann, Namen wie „Abbas Kiarostami“ oder „Alexander Sokurov“ sind ja auch elende Zungenbrecher. Dennoch muss es wieder einmal gesagt sein, einfach zur Sicherheit für die Daheimgebliebenen: Madame le Maire ist nicht die Frau des Festivaldirektors Frédéric Maire, auch wenn sie ihn liebevoll als „Friedrich“ begrüsst hat.

Alle Macher sind schon da…

Jauslin Solari Maire
Jauslin Solari Maire

Gestern Abend, 18 Uhr, Castello Visconteo, Locarno. Ein Empfang zur Einweihung der neuen digitalen Projektionskabine. Und wer diskutiert da schon die Zukunft des Festivals? Klar, Jean-Frédéric Jauslin, Chef Bundesamt für Kultur, Marco Solari, Präsident des Festivals und Frédéric Maire, der Festivaldirektor. Und worüber unterhalten sie sich wohl? Logisch: Solaris unkonventioneller Vorschlag, die Bundesfinanzierung des Festivals aus dem Bundesfestivalbudget herauszulösen, den die NZZ gestern veröffentlicht hat. Das wirdin den nächsten Tagen noch zu diskutieren geben. Zumal am Freitag das BAK bekannt gibt, welche Festivals überhaupt und wie hoch subventioniert werden sollen. Solaris Vorschlag, für Locarno einen Sonderzug einzurichten, ist nicht so absurd, wie das auf den ersten Blick aussieht: Es hat ihn schon, fast die Hälfte der Bundesfestivalgelder gingen schon bisher nach Locarno. Mit der „Lex Locarno“ müssten die anderen Festivals nicht mehr gemeinsam und heimlich gegen den grossen Bruder gifteln, sondern könnten sich endlich richtig auf den Konkurrenzkampf untereinander konzentrieren.