Diagonale 12: OUTING von Sebastian Meise und Thomas Reider

'Outing 'Sebastian Meise Thomas Reider ©FreibeuterFilm 2

Sven heisst nicht wirklich Sven. Und falls er tatsächlich Archäologie studiert hat, dann wohl nicht in Bamberg. Aber Sven ist pädophil, das weiss er seit seiner Pubertät. Und fast eben so lange ist ihm klar, dass es für seine Neigung keine Erfüllung geben darf. Während einem der vielen Interviews in Outing erklärt er sinngemäss, er habe ja noch Glück, er sei nicht nur pädosexuell, sondern auch schwul. Und da bestehe zumindest die Chance, dass er einmal jemanden finde, der im legalen Alter sei und ihm gewogen.

Nach all den dokumentarischen Spielfilmen und inszenierten Dokumentarfilmen, welche Österreich seit Seidl und Haneke auf die Welt los lässt, sind Outing und Stillleben von Sebastian Meise und Thomas Reider die konsequente und längst fällige Komplementierung. Ein Dokumentarfilm, der die Kernproblematik aufzeigt, und der ergänzende Spielfilm, der die aufgeworfenen Fragen durchspielt. Dabei ist der Dokumentarfilm Outing eigentlich das Nebenprodukt, entstanden aus den Recherchen für den Spielfilm heraus. „Diagonale 12: OUTING von Sebastian Meise und Thomas Reider“ weiterlesen

Diagonale 12: KUMA von Umut Dag

Kuma ©wegafilm

Es hat nach dem Film ein paar Stunden gedauert, bis es mir aufgefallen ist: In Kuma sind ausschliesslich Türken zu sehen. Türken in der Türkei, natürlich. Aber auch Türken in Österreich – denn da spielt sich das eigentlich Drama ab. Der Film setzt ein mit einer Hochzeit in einem anatolischen Dorf, die Braut ist eine schöne junge Frau, der Bräutigam ist aus Österreich angereist, mit seiner ganzen Familie. Die künftige Schwiegermutter kümmert sich aufmerksam und liebevoll um die junge Frau. Eigenartig ist nur die trotzige Haltung der Schwester des Bräutigams, der hin und wieder wütende Sätze auf Deutsch entfahren.

Am nächsten Morgen wird die Braut mitsamt der Familie an den Flughafen gefahren, und erst in der Wohnung in Österreich stellt sich heraus, wer da wen geheiratet hat. „Diagonale 12: KUMA von Umut Dag“ weiterlesen

Diagonale 12: TABU – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden von Christoph Stark

Peri Baumeister und Lars Eidinger als Geschwister Trakl in 'Tabu' ©Patrick Müller
Peri Baumeister und Lars Eidinger als Geschwister Trakl in 'Tabu' ©Patrick Müller

Vor fünfunddreissig Jahren hätte ich diesen Film geliebt. Ich wäre seiner todessehnsüchtigen Inzesterotik erlegen, ich hätte mitgefiebert mit dem jungen Georg Trakl, seine Gedichte auf meinen Lippen. Und ich hätte mich in die Schönheit der von Peri Baumeister gespielten Grete Trakl verliebt. Genau so hätte ich mir als Fünfzehnjähriger meinen Trakl gewünscht, nervös, mit tintenverschmierten Fingerspitzen, so verloren verstört genialisch, wie ihn Lars Eidinger spielt in diesem Film.

Warum also sollte mich heute stören, was mich damals entzückt hätte? Vielleicht, weil auch das Kino fünfunddreissig Jahre älter geworden ist, weil sich der Film weiterentwickelt hat, weil das genialische Künstlerbild zwischen Vincente Minellis Lust for Life und Romuald Karmakars Die Nacht singt ihre Lieder viel Zeit hatte, sich zu verändern. „Diagonale 12: TABU – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden von Christoph Stark“ weiterlesen

Diagonale 12: STILLLEBEN von Sebastian Meise

Stillleben ©freibeuterfilm

Ist ein Pädophiler schuldig, weil er ist? Gibt es auch ausserhalb des religiösen Kontextes verbotene Phantasien? Sebastian Meises gossartiger Film spielt diese Fragen überaus simpel und realistisch durch. Der erwachsene Bernhard beobachtet zufällig seinen Vater bei einem Dirnenbesuch, sieht, wie er ihr einen Zettel mit Instruktionen zusteckt, und nimmt diesen später der Frau ab. Dass der eigene Vater Phantasien haben könnte, ist für jeden Sohn, jede Tochter ein ungeliebter Gedanke. Wenn sich aber herausstellt, dass es sich um pädophile Phantasien handelt, und dass der Vater die Prostituierte im Rollenspiel beim Namen der Schwester nennt, dann beginnt unweigerlich auch die Gedankenmühle des Sohnes zu mahlen. Nun läuft das Familiendrama ab wie wie bei Vinterbergs Festen. Mit dem grossen Unterschied, dass nicht eine eindeutige heimliche Schuld ans Tageslicht gezerrt, eine Familienlüge aufgedeckt wird, sondern sich Abgründe auftun, wo vorher stabile Verhältnisse herrschten.

Wie bei Michael von Markus Schleinzer steht auch bei diesem Erstling Übervater Haneke im Hintergrund. Und wie Schleinzer beweist auch Meise, dass er einen absolut eigenständigen, extrem eindringlichen Blick entwickelt hat. „Diagonale 12: STILLLEBEN von Sebastian Meise“ weiterlesen

Diagonale 12: AUSGLEICH von Matthias Zuder

'Ausgleich' von Matthias Zuder ©HamburgMediaSchool

Kurzfilme sind – an Festivals – in erster Linie Talentproben. Sie leiden darunter, dass sie sich gegenseitig bedecken, sie werden gruppiert und zusammengepfercht. Dabei eignen sich die besten unter ihnen als Solotänzer, als Programmauftakt. So wäre Matthias Zuders zehnminütiger Ausgleich ideal für jede Diskussion um Gewalt, sei diese nun didaktisch ausgerichtet oder auch polemisch. Denn der Kurzfilm des Wieners, der an der Hamburger Filmwerkstatt Regie studiert, lässt sich nicht festlegen. Er hat diese ideale Offenheit, die einem den Haken ins Fleisch treibt.

Nach einem Drehbuch von Marie-Therese Thill nähert sich der Film in einfachen Einstellungen einer Deeskalation, einem arrangierten, begleiteten Treffen zwischen Opfer und Täter. Beide sind junge Männer, der eine wurde in einer U-Bahnstation massiv zusammengeschlagen, der andere war der Schläger. „Diagonale 12: AUSGLEICH von Matthias Zuder“ weiterlesen

Diagonale 12: SPANIEN von Anja Salomonowitz

'Spanien' ©Dor Film Petro Domenigg
‚Spanien‘ ©Dor Film Petro Domenigg

Das passiert mir selten, dass ich mich schon während der Vorstellung eines Films frage, was mir denn daran eigentlich nicht in den Kram passe. Spanien von Anja Salomonowitz ist ein sorgfältig gemachter, verschachtelter Episodenfilm – mit etlichen Pointen und etlichen grossartigen kleinen Einfällen. Aber genau daran mache ich auch mein leises Unbehagen fest. Die Geschichte involviert einen österreichischen Fremdenpolizisten, der obsessiv seine Exfrau stalkt, die Exfrau, welche Ikonen malt und Kirchen restauriert und dazu auch noch Magdalena heisst. Und einen Auswanderer, der nach Spanien wollte, aber eines Unfalls wegen in Österreich festsitzt und nun eben dem Dorfpfarrer zur Hand geht. Ach, und ein Spielsüchtiger Kranführer mit Frau und zwei Kindern ist auch dabei.

Das alles ist clever konstruiert und aufgebaut (und entpuppt sich zum Schluss als noch cleverer als gedacht). Aber mich hat der Film trotz smarter Musik und unheimlich schön ironischem Einsatz von sinnentleerten Religionssymbolen immer wieder ungeduldig gemacht.

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