LA FRACTURE von Catherine Corsini

Valeria Bruni-Tedeschi und Marina Foïs in ‚La fracture‘ © Chaz Productions

«Das Private ist politisch» — diese mehrdeutige feministische Parole aus den 1970er-Jahren ist programmatisch für La fracture. Denn der Bruch des Titels läuft nicht nur durch die Beziehung von Raf (Valeria Bruni-Tedeschi) und Julie (Marina Foïs), sondern durch die ganze französische Gesellschaft.

Am Morgen vor einer der eskalierenden Gilets-jaunes-Demonstrationen in Paris tippt Raf frenetisch wütende SMS an ihre neben ihr schlafende langjährige Partnerin Julie, denn die hat ihr am Vorabend eröffnet, dass sie ausziehen und sich eine eigene Wohnung suchen werde. „LA FRACTURE von Catherine Corsini“ weiterlesen

BENEDETTA von Paul Verhoeven

Bartolomea (Daphné Patakia) und Benedetta (Virginie Efira) © Pathé

Eine lesbische Nonne bewirkt Wunder und Skandal im 17. Jahrhundert. Der 83jährige Basic Instinct-Regisseur Paul Verhoeven mischt mit Benedetta in Cannes einmal mehr seine Lieblingsthemen Macht, Gewalt, Sex und Religion zu einem ernsthaft ironischen Spektakel.

Lesbische Nonnen! Sex, Brüste und Folterkeller! Man könnte meinen, der «Nunsploitation»-Film der 1970er-Jahre sei wieder da. Und das im Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes? „BENEDETTA von Paul Verhoeven“ weiterlesen

VERDENS VERSTE MENNESKE (The World’s Worst Person) von Joachim Trier

Julie (Renate Reinsve) Aksel (Anders Danielsen Lie) © Oslo Pictures

Während sich der englischsprachige Louder than Bombs des Drehbuchduos Joachim Trier/Eskil Vogt 2015 multiperspektivisch um eine ge- oder zerstörte Familie drehte, konzentriert sich dieser jüngste, in Oslo spielende Effort um eine einzige junge Frau.

Julie (Renate Reinsve) in zwölf Kapiteln, einem Pro- und einem Epilog kündet der Titel an und suggeriert, dass diese Julie allenfalls dieser schlechteste Mensch der Welt sein könnte. „VERDENS VERSTE MENNESKE (The World’s Worst Person) von Joachim Trier“ weiterlesen

LINGUI von Mahamat-Saleh Haroun

Maria (Rihane Khalil Alio) und Amina (Achouackh Abakar Souleymane) © Films Boutique

Das afrikanische Kino – soweit es noch existiert – hat sich längst aufgesplittert in unzählige Varianten, die in Europa kaum mehr ankommen. Was sichtbar bleibt, dank der europäischen Festivals und der europäischen Förderszene, ist die Art Autorenkino, welche den Vorstellungen der 1980er Jahre entspricht. Dazu gehören leider auch etliche Filme von Mahamat-Saleh Haroun, wie etwa Grisgris, der vor acht Jahren hier in Cannes zu sehen war.

Festivals, gerade auch das von Cannes, mit seinem Anspruch, das globale Autorenkino zu fördern und sichtbar zu machen, kommen leicht in ein Dilemma: Der «afrikanische» Markt verlangt nach anderen Produkten und Distributionen als klassische Kinofilme, darum gibt es die auch kaum mehr. Es sei denn als europäische Kopropduktionen, mehr oder weniger für den Festival-Bedarf. „LINGUI von Mahamat-Saleh Haroun“ weiterlesen

TOUT S’EST BIEN PASSÉ von François Ozon

Die Schwestern: Sophie Marceau und Géraldine Pailhas und der Vater: André Dussollier © filmcoopi

Emmanuèle Bernheim hat jahrelang mit François Ozon an seinen Drehbüchern gearbeitet. Nach ihrem Tod mit nur einundsechzig im Jahr 2017 hat sich Ozon an ihr Buch über das Sterben ihres Vaters gewagt, das sie ihm offenbar schon viel früher zur Verfilmung angeboten hatte.

Sophie Marceau spielt nun Emmanuèle, die Tochter, deren Vater nach einem Schlaganfall von ihr fordert, sie solle ihm dabei helfen, ein Ende zu machen. „TOUT S’EST BIEN PASSÉ von François Ozon“ weiterlesen

ANNETTE von Léos Carax

Adam Driver ist Henry McHenry – Der Affe Gottes © filmcoopi

Der Eröffnungsfilm des Filmfestivals von Cannes trägt dick auf. Ein Standup-Comedian mit dunkler Seele verliebt sich in eine betörend begabte Operndiva. Beauty and the Beast! Marion Cotillard und Adam Driver! Musik und Drehbuch von den legendären «Sparks».

Frankreichs ewiger Wildfilmer Léos Carax (Les amants du Pont Neuf) ist eine überraschende Wahl, um ein Libretto von Ron und Russell Mael zu verfilmen. Aber die beiden Brüder sind ja auch nicht einfach irgendwer, sondern die kreativen Köpfe der einstigen Glamrocker «Sparks» («This Town Ain’t Big Enough For Both Of Us»). Und darum geht es auch um Showbusiness, Musik und Abgründe in Annette. „ANNETTE von Léos Carax“ weiterlesen

Cannes 19: SIBYL von Justine Triet

Sibyl (Virginie Efira © MK2 Films

«Ich falle auseinander. Ich bin in gar keiner Realität mehr», heult Sibyl im letzten Drittel des Films. Bei Dreharbeiten auf Stromboli ist ihr alles aus dem Ruder gelaufen. Dabei hätte sie doch eigentlich die Kontrolle.

Sibyl ist nicht die Regisseurin des Films, der auf Stromboli gedreht wird. Das ist Mika, gespielt von Sandra Hüller. Sibyl ist bloss an den Drehort gekommen, weil sie ihre Patientin Margot (Adèle Exarchopoulos) psychiatrisch betreuen muss. „Cannes 19: SIBYL von Justine Triet“ weiterlesen

Cannes 19: IT MUST BE HEAVEN von Elia Suleiman

Elia Suleiman. Der Filmemacher spielt wieder sich selbst als schweigende Minderheit © filmcoopi

Palästina ist überall, murmelt Elia Suleimans neuer Film. Aber nicht etwa als das belagerte Land seiner Kindheit, wie es 2009 in The Time That Remains aussah. Oder doch ein wenig, klar.

Einmal mehr ist Suleimans stumme Kunstfigur zwischen Buster Keaton und Woody Allen die Verkörperung des staunenden Blicks auf all die Absurditäten des Alltags. „Cannes 19: IT MUST BE HEAVEN von Elia Suleiman“ weiterlesen

Cannes 19: IL TRADITORE von Marco Bellocchio

Pierfrancesco Favino als Tommaso Buscetta © Ad Vitam

Mit einem grossen (nutzlosen) Versöhnungsfest zwischen den verfeindeten Mafia-Familien von Tommaso Buscetta und den Corleones zu Beginn der 1980er Jahre setzt Marco Bellocchios Film ein.

Die Tanzszenen im grossen Saal erinnern an die entsprechende Szene aus Viscontis Il gattopardo. „Cannes 19: IL TRADITORE von Marco Bellocchio“ weiterlesen

Cannes 19: ROUBAIX, UNE LUMIÈRE von Arnaud Desplechin

Roschdy Zem, Léa Seydoux © Why Not Prod.

Mit fast all seinen Filmen sei er romantisch geworden, zu romantisch oft. Das behauptet Arnaud Desplechin in seinem Director’s Statement zu Roubaix, une Lumière. Es sei Zeit geworden für Realismus.

Da bleibt er paradox, schon im Titel dieses Versuches, Realismus walten zu lassen. Als ehemals blühende Industriestadt ist Roubaix nahe der belgischen Grenze heute offenbar eine der ärmeren und schwierigeren Städte Frankreichs.

„Cannes 19: ROUBAIX, UNE LUMIÈRE von Arnaud Desplechin“ weiterlesen