Locarno 11: CRULIC – DRUMUL SPE DINCOLO von Anca Damian

crulic 2

Sei einigen Jahren sind Dokumentarfilme im Wettbewerb der internationalen Festivals keine Seltenheit mehr. und Animationsfilme sind auch regelmässig zu finden. Relativ neu ist aber die spannende Gattung des dokumentarischen Animationsfilms, und Drulic von der 49jährigen Rumänin Anca Damian ist ein gutes Beispiel für das, was damit erreicht werden kann. Der Film rekonstruiert die Biografie und den Tod eines 33jährigen Rumänen, der in einem polnischen Gefängnis in Hungerstreik getreten und daran gestorben ist.

Was im Standarddok zu einer Abfolge von Jugenfotos, Dokumenten, Ferienfilmausschnitten und vielen Talking Heads geführt hätte, wird unter Anca Damians Händen zur dichten Lebensreise eines jungen Mannes, der das auch noch alles aus dem Off selber rekapituliert – wie der tote Erzähler in Billy Wilders Sunset Boulevard. „Locarno 11: CRULIC – DRUMUL SPE DINCOLO von Anca Damian“ weiterlesen

Locarno 11: Angekündigte Opposition in der Filmpolitik

RTS kriegt den kleinen Saal, die IG hat den Blues ©sennhauser
RTS kriegt den kleinen Saal, die IG hat den Blues ©sennhauser

Am letzten Freitag hat Bundesrat Burkhalter auf dem Monte Verità erklärt, der Umbau der Filmförderung sei im Einvernehmen mit fast allen Branchenmitgliedern auf bestem Weg. Damit aber sind die Mitglieder der IG der unabhängigen Filmproduzenten offensichtlich nicht einverstanden. Sie haben heute zur Medienkonferenz und Diskussion geladen in Locarno.

Im vor einem Jahr angekündigten und von Marc Wehrlin, dem ehemaligen Chef der Sektion Film im Bundesamt für Kultur (dem Vorvorgänger von Ivo Kummer und Vorgänger von Nicolas Bideau) geleiteten Fazilitationsprozess seien sie marginalisiert worden, ihre Vorschläge für eine Reform der Filmförderung ignoriert. Offensichtlich sei dem Bundesrat oder dem Fazilitator mehr an einem Burgfrieden in der Filmbranche gelegen, als an echten Reformen. „Locarno 11: Angekündigte Opposition in der Filmpolitik“ weiterlesen

Locarno 11: LOW LIFE von Nicolas Klotz und Elisabeth Perceval

Camille Rutherford und Luc Chessel in 'Low Life'
Camille Rutherford und Luc Chessel in ‚Low Life‘

Low Life ist ein französischer Konzeptfilm, der im pubertär-poetischen Chaos beginnt und sich zu einem Immigranten-Drama verdichtet, das unter die Haut geht. Im Kern steckt eine Dreiecksgeschichte zwischen der Studentin Carmen, ihrem Freund Charles und ihrer neuen grossen Liebe Hussain. Hussain ist ein afghanischer Dichter, der in Frankreich Literatur studiert. Sein Asylantrag wird abgelehnt und nach drei Jahren an der Uni muss er jetzt abtauchen.

Der Film beginnt in der studentischen Hausbesetzerszene, gedreht wurde in Lyon und in Tours, und schon das hebt sich wohltuend von den pariszentrierten französischen Filmen ab. Allerdings dauert es eine Weile, bis man die Figuren kennenlernt, zunächst ist das eine nächtliche Odyssee vom Flamencolokal bis zur Polizeirazzia, dominiert vom poetisch-lyrisch schwadronierenden Charles, Sohn eines reichen Vaters, auf dem Bohème-Trip. „Locarno 11: LOW LIFE von Nicolas Klotz und Elisabeth Perceval“ weiterlesen

Locarno 11: TERRI von Azazel Jacobs

Jacob Wysocki und John C. Reilly in 'Terri'
Jacob Wysocki und John C. Reilly in 'Terri'

Filme über die Aussenseiter in der Highschool haben eine eigene Tradition in den USA. Der Klassiker ist John Hughes The Breakfast Club, am extremen Ende finden sich Satiren wie Heathers und im Mittelfeld all die Highschool-Filme wie Mean Girls. Im Wettbewerbsbeitrag vom New Yorker Azazel Jacobs ist Titelfigur Terri (Jacob Wysocki) der zentrale Aussenseiter. Ein grosser Kloss von einem Jungen, der bei seinem schon leicht alzheimerkranken Onkel James lebt und mittlwerweile nur noch im Pijama zur Schule geht, weil ihm andere Kleider kaum mehr passen.

Terri wird gehänselt und verspottet von seinen Mitschülern und daher beginnt er zu schwänzen und zu spät zu kommen. Bis der von John C. Reilly gespielte Vize-Rektor auf ihn aufmerksam wird und ihn regelmässig am Montagmorgen zu sich ins Büro einlädt für einen Austausch „unter Männern“. Das hilft Terri allerdings nur so lange, bis er merkt, dass er nicht der einzige Spezialklient von Mr. Fitzgerald ist, sondern einer einer ganzen Gruppe von „Monstern“, wie er selber meint. „Locarno 11: TERRI von Azazel Jacobs“ weiterlesen

Locarno 11: VOL SPÉCIAL von Fernand Melgar

Vol spécial 1

Dokumentarfilme im Wettbewerb sind oft eine besondere Knacknuss, auch, wenn sie sich eigentlich, genau wie die Spielfilme, durchaus an der Umsetzung ihrer Intention messen lassen. Der Lausanner Fernand Melgar hat 2008 der Schweiz mit La forteresse einen Spiegel vorgehalten und hier in locarno den Goldenen Leoparden in der Reihe Cineasti di presente gewonnen. Das war ein Dokumentarfilm über eine Asylbewerber-Internierungsstation, ein überaus sauber und fair gemachter Film über Hoffnungen, gescheiterte vor allem, aber auch ein paar erfüllte. Und gerade darum erschütternd, weil er uns das nahe brachte, was wir eigentlich alle wussten.

Vol spéciale ist nun eigentlich nichts weiter als die konsequente Fortführung der Dokumentation. Im Zentrum steht diesmal ein Ausschaffungsgefängnis für abgewiesene Asylbewerber. Jener Ort mithin, wo die Träume definitiv zu Ende sind und nur noch Trotz, Verzweiflung oder Resignation möglich.

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Locarno 11: HASHOTER von Nadav Lapid

Yaara Pelzig in Hashoter

Yaron ist ein Hashoter, ein Polizist. Allerdings kein gewöhnlicher, sondern Teil einer israelischen Antiterror-Einheit, die normalerweise im Einsatz ist gegen arabische Terroristen, Selbstmord-Attentäter, Staatsfeinde… Yaron und seine Kampfgenossen sind eine verschworene Macho-Truppe, lauter Freunde, welche auch Familienleben und Freizeit teilen. Eine ganze Weile führt Nadav Lapid mit seinem Wettbewerbsbeitrag in diese Machowelt ein, der Film erinnert in der ersten halben Stunde an James Mangolds Copland. Yarons Frau ist hochschwanger, einer der Freunde in der Truppe hat einen Hirntumor und wird darum zum „fall guy“ bestimmt, dafür, die juristische Verantwortung zu tragen in einem Prozess, der den Freunden droht wegen des Tods zweier arabischer Zivilisten bei einem ihrer Einsätze. Die Idee dahinter: Wegen seiner Operation wird er nicht gerichtsfähig sein und das Verfahren wird schubladisiert.

Erschreckend ist nicht nur die Gewissheit und Überzeugung, mit der diese Männer ihren Job machen, sondern auch ihre völlig unironische Macho-Attitüde. Und gerade, wenn man denkt, jetzt habe man das in etwa begriffen, kommt ein Szenenwechsel.

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Locarno 11: DIN DRAGOSTE CU CELE MAI BUNE INTENTII von Adrian Sitaru

Best Intentions 2

Wenn ich im letzten Blogbeitrag geschrieben habe, die meisten bisherigen Wettbewerbsbeiträge hätten ihre angepeilte Flughöhe noch nicht erreicht, dann stimmt das nur bedingt. Einer zumindest ist bereits über sein Ziel hinausgeschossen: Adrian Sitaru zeigt, dass auch das rumänische Filmwunder an gewissen Ecken und Enden schon zum mechanischen Muskelreflex zu verkommen droht. 2008 hat Sitaru mit Pescuit sportiv (Picnic)verblüfft und entzückt. Insbesondere seine virtuose Handhabung der subjektiven Kamera, die er von der einen Figur zur nächsten springen liess, sorgte für wache Blicke.

Nun hat Sitaru die Technik perfektioniert; er handhabt sie mit einer Virtuosität, die ihm so leicht keiner nach macht. Dafür aber vernachlässigt er die Abwechslung auf den restlichen Ebenen seines neuen Films.

Best Intentions ist der internationale Titel, und mit diesen besten Absichten nervt nicht nur Sitaru mich als Zuschauer, sondern auch seine Hauptfigur Alex seine ganze Umgebung.

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Locarno 11: ANOTHER EARTH von Mike Cahill

Another Earth 2

In einem Wettbewerb, der bisher noch nicht so richtig abheben wollte, ist Mike Cahills Another Earth der erste filmische Jungvogel, der zumindest schon mal den Weg vom Nest auf den nächsten Baum geschafft hat. Das ist einer jener Filme, denen man nicht nur das Potential anmerkt, sondern auch die Vision, die dahinter steht. Zwei philosophische Prinzipien, die dem Kino immer wieder Nährboden bieten, werden hier kombiniert: Die erdrückende Schuld die einen Menschen an einen anderen bindet, dem er oder sie Unrecht zugefügt hat, und die Idee einer parallelen Welt, in der sich die Dinge vielleicht genau gleich, aber vielleicht auch ganz anders abspielen.

Die Schülerin Rhoda Williams hat eben erfahren, dass sie ihren Traum verwirklichen kann und zugelassen wurde zum Astrophysik-Programm am MIT. Leicht angetrunken vom Feiern rammt sie auf der Strasse ein anderes Auto und tötet dabei die Frau und das Kind des Komponisten John Burroughs.

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Locarno 11: Hier spielt die Musik (auch)

d2blog

Die ersten Tage hier in Locarno waren noch hektischer als erwartet, ich bin bisher weniger zum bloggen gekommen, als geplant. Ich werde es kaum schaffen, wie geplant alle Wettbewerbsfilme und die meisten Piazza-Filme zu berücksichtigen. Aber die Arbeit unseres Locarno-Teams findet auch auf dem DRS2-Blog ihren Niederschlag, Thomas Hägler und Christian Gebhard sind fleissig dran. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall.

Locarno 11: Zehn Minuten mit Abel Ferrara

Abel Ferrara ©sennhauser
Abel Ferrara ©sennhauser

Der Mann aus New York, der seine Karriere mit urbanen Schockern wie The Driller Killer und Ms. 45 angefangen hat, wurde zum Kultregisseur mit Harvey Keitel in Bad Lieutenant. Zusammen mit Woody Allen und Martin Scorsese hat er das Bild der Stadt New York geprägt – bei Scorsese und Ferrara war das eine Stadt der Gewalt und der Spinner, zumindest bei ihren Anfängen. Nicht nur New York hat sich gewandelt, auch Ferrara, mit Jahrgang 1951, ist heute ein anderer. Ich konnte mich gestern kurz mit ihm unterhalten, die Zusammenfassung und ein paar Zitate in seinem unvergleichlichen Bronx-Dialekt sind hier zu finden, das ganze Gespräch ungeschnitten hier.