SOY NEVENKA von Icíar Bollaín

Ismael (Urko Olazabal), Nevenka (Mireia Oriol) © xenix

Wie kann frau nur so blöd sein, fragt man sich in den ersten zwanzig Minuten dieses Films. Denn das Drehbuch und die Inszenierung von Icíar Bollaín verteilen die «red flags» rund um die Figur des Lokalpolitikers Ismael (Urko Olazabal) hühnerhautdicht und gezielt auffällig. Zudem warnen Bekannte und Familie die junge Nevenka Fernández (Mireia Oriol) vor dem notorischen Frauenheld.

Und doch tritt die idealistische, brillante, attraktive Abgeordnete in jede Falle, welche von ihrem Chef für sie gelegt wird. Sie lässt sich in die Enge treiben, landet widerwillig mit ihm im Bett und schliesslich in einer toxischen Arbeits- und Beziehungs-Situation ohne Ausweg.

Unglaubwürdig? Absicht. Denn nicht nur Nevenka tritt in die Falle, sondern auch wir, die Kinozuschauerinnen. In die gezielt gelegte Falle der Inszenierung. Regisseurin Icíar Bollaín macht deutlich, welche Bewusstseinsprozesse in den letzten 25 Jahren wirksam wurden, was #MeToo seit 2017 in unseren Köpfen bewirkt hat. Und damit im Verlaufe des Films auch, was strukturell noch immer gleich geblieben ist. „SOY NEVENKA von Icíar Bollaín“ weiterlesen

SORRY, BABY von Eva Victor

Agnes (Eva Victor) … und die Katze © filmcoopi

In den stärksten Momenten dieses starken Filmes ist nur ein Haus zu sehen, von der gegenüberliegenden Strassenseite aus, am Abend. Es wird langsam dunkel, im Haus gehen Lichter an, zwei Schnitte raffen ruhig die Zeit. Wir ahnen, was im Haus passiert. Bis schliesslich Agnes herauskommt, ihre Schuhe in der Hand, ohne die Tür hinter sich zu schliessen.

Sie setzt sich auf die kurze Holztreppe der Veranda und zieht die Schuhe an.

Sorry, Baby von Eva Victor ist ein Film über Missbrauch, vor allem aber ein Film über das Leben danach, über Freundschaft, Verstörung und Überwindung. „SORRY, BABY von Eva Victor“ weiterlesen

LES FEMMES AU BALCON von Noémie Merlant

Sanda Codreau, Noémie Merlant © frenetic

La canicule, die Hitze der Hundstage, liegt über Marseille, und das Leben der Frauen-WG von Ruby (Souheila Yacoub) und Nicole (Sanda Codreanu) findet hauptsächlich auf dem Balkon statt. Als dann auch noch Freundin Elise (Noémie Merlant) aus Paris dazustösst, im engen roten Kleid und mit Marilyn-Monroe-Look, japsend vor Atemnot, ist der Rahmen gesetzt für eine fröhliche Sommerkomödie. Dabei müsste das Publikum eigentlich gewarnt sein, denn die ersten Einstellungen des Films erinnerten nicht nur an Hitchcocks Rear Window, sondern zeigten auch fast beiläufig einen möglicherweise mörderischen Ehedisput auf dem Nebenbalkon.

Die Verweise auf andere Filme und Figuren kommen nicht von ungefähr, genauso wenig wie die blonde Perücke, welche Regisseurin Noémie Merlant in ihren ersten Szenen trägt. Elise ist Schauspielerin und hat eben in Paris in der Titelrolle einen Fernsehfilm über die Affäre von Marilyn Monroe mit Yves Montand während der Dreharbeiten zu Let’s Make Love abgedreht. Der Moment, in dem Elise die blonde Perücke schliesslich vom Kopf zieht, ist einer von etlichen überraschenden Kippunkten in der wilden, metaphorisch explosiven und stilistisch hypereklektischen Achterbahnfahrt von Les femmes au balcon. „LES FEMMES AU BALCON von Noémie Merlant“ weiterlesen