Cannes 09: Antichrist

Antichrist

So schön hat schon lange kein Film von Lars von Trier mehr ausgesehen. Und gleichzeitig liegt eine eigenartige Distanz in der Schönheit der Bilder, vor allem auch der Bilder des Schreckens. Denn Antichrist ist tatsächlich ein Horrorfilm. Allerdings nicht der, den der Trailer bei manchen Kollegen evoziert hat. Lars von Trier hat das Drehbuch am Ende seiner zweijährigen massiven Depression konzipiert, und was wir heute in Cannes gesehen haben, ist ein sehr kontrolliertes, kalkuliertes, doppelbödiges Stück Therapie-Therapie, ein Therapie-Exorzismus. Der Plot wird vom Presseheft treffend in zwei Sätzen zusammengefasst: Ein trauerndes Paar zieht sich zurück nach Eden, eine abgelegene Ferienhütte im Wald, in der Hoffnung, dort ihre gebrochenen Herzen und ihre gefährdete Ehe zu reparieren. Aber die Natur nimmt ihren Lauf und die Dinge entwickeln sich von schlimm zu schlimmer.

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Cannes 09: Taking Woodstock

Ang Lees 'Taking Woodstock' © Ascot-Elite Schweiz
Ang Lees 'Taking Woodstock' © Ascot-Elite Schweiz

Es gehört zu den vielen kleinen Klugheiten dieses Woodstock-Films, dass weder die Bühne noch die musikalischen Legenden je wirklich ins Bild kommen. Ein einziges Mal zeigt Ang Lee in Taking Woodstock einen Teil des legendären Open-Air-Konzertes: Ganz weit im Hintergrund, am Fuss des sanften Abhangs auf dem tausende von Zelten stehen, sieht man die erleuchtete Bühne, während die Hauptfigur, der junge Elliot Tiber auf dem Weg dorthin von einem Hippie-Paar im parkierten VW-Bus mit auf einen Acid-Trip genommen wird. Ang Lee und sein Screenwriter und Co-Produzent James Schamus haben die Memoiren von Elliot Tiber in einen dichten, fröhlichen, optimistischen Spielfilm geformt, der mit dokumentarischem Elan die Stimmung der ausgehenden 60er Jahre rekonstruiert.

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Cannes 09: Bright Star von Jane Campion

'Bright Star' von Jane Campion
‚Bright Star‘ von Jane Campion

Die kurze, heftige, vom nahen Tod des Dichters gezeichnete Liebesgeschichte zwischen dem 23jährigen Romantiker John Keats und seiner 18jährigen Nachbarin Fanny Brawne bezieht ihre unsterbliche Faszination – wie viele der Geschichten rund um die Romantiker – aus der Art, wie sie ihre schwärmerische Weltsicht in ihr tatsächliches Leben integrierten. So wie Jane Campion ihren Film angelegt hat, als vordergründig unsentimentalen, realistischen Vorstoss ins Jane-Austen-Territorium, verstärkt sie genau dieses erzromantische Element der lodernden Gefühle. Sie führt die junge Fanny als Fashion-bewusste Designerin und Näherin ein, zeigt die Schauspielerin Abbie Cornish zu Beginn des Films mit Nadel und Faden und dann bald darauf selbstbewusst, direkt und gnadenlos ehrlich in einem ländlichen Salon in Londons Vorort Hampstead, wo sie und ihre Familie den Dichter Charles Brown und seinen Freund Keats besuchen. Wirkt dieser erste Besuch noch ein wenig expositorisch, entfalten die nächsten Szenen bereits den leisen Sog, welcher diesen Film kennzeichnet: Die jungen Leute um Brown und Keats, um Brawne und die anderen reden über Dichtung und Gedichte mit der gleichen Leidenschaft, wie heutige Cinéphile über das Kino und die Filme und die Arbeit eines verehrten Könners.

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Cannes 09: Thirst

Thirst von Park Chan-Wook

Park Chan-Wook aus Südkorea hat hier in Cannes mit seiner Rachegroteske Old Boy 2003 verblüfft und zum Teil aufgeregt. Seine Rachetrilogie ist abgeschlossen, und mit Thirst hat er nun ein altes Lieblingsprojekt durchgezogen. Es handelt sich um eine weitere, raffinierte Dekonstruktion des Vampir-Mythos. Von der Anlage (und natürlich dem Titel) her erinnert der Film sehr an Tony Scotts The Hunger mit Catherine Deneuve und David Bowie von 1983, allerdings ist es hier ein Priester, der zum Vampir wird und urplötzlich gegen die Animalität in sich selber ankämpfen muss. Natürlich kann das gar nicht anders als grotesk und damit bisweilen auch urkomisch daherkommen. Aber Park Chan-Wook hält perfekt die Balance zwischen der Ernsthaftigkeit des Genrefilms und der Groteske.

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Cannes 09: Fish Tank

Im Wettebwerb: Fish Tank von Andrea Arnold
Im Wettbewerb: 'Fish Tank' von Andrea Arnold

Mit Red Road hat die Britin Andrea Arnold 2006 den Jury-Award in Cannes gewonnen. Das CCTV-Drama zeugte von grossem Talent und grosser Ambition. Das gleiche kann man nun auch von Fish Tank sagen, dem ersten der drei Beiträge von Frauen im diesjährigen Wettbewerb (die anderen sind Jane Campion und Isabelle Coixet). Talent wird in jeder Einstellung sichtbar, die Ambition zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Arnold den Problemen ihrs Films nicht ausweicht. Die Geschichte der 15jährigen Mia hätte auch einen Ken-Loach-Film abgegeben. Die aggressive junge Frau lebt mit ihrer eben so aggressiven Mutter und der kleinen Schwester in einer dieser ‚projects‘-Wohnungen, hat sich mit ihrer Freundin überworfen und ist verwirrt darüber, dass der neue Freund ihrer Mutter sie nicht nur ernst nimmt, sondern offensichtlich bemüht ist, auf sie einzugehen. „Cannes 09: Fish Tank“ weiterlesen

Cannes 09: Spring Fever

Spring Fever Lou Ye

Der chinesische Regisseur Lou Ye hat seine Festivalkarriere nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass er fast immer dissidente Filme gemacht hat, Filme, welche dem offiziellen China ein Dorn im Auge waren, und darum im Westen begehrte Festival-Events. Sein Weekend Lover (gefilmt 1994) fiel der chinesischen Zensur zum Opfer, Suzhou River bekam den grossen Preis von Rotterdam, und Summer Palace, ein Film rund um das Massaker an Platz des Himmlischen Friedens von 1989, brachte 2006 mit seiner Vorführung in Cannes nicht nur das Festival unter chinesischen Druck, sondern auch seinen Regisseur, der mit 5 Jahren Arbeitsverbot belegt wurde. Aber man täte Spring Fever (Chun feng chen zui de ye wan) Unrecht, wenn man in dem Film bloss ein weiteres oppositionelles Kunstprodukt sähe.

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Atomisierte Schweizer Filmproduzenten

producers

Vor nicht ganz acht Jahren haben sich die Schweizer Filmproduzenten im Streit getrennt. Unzufriedenheit mit dem Verteilmodus der Subventionsgelder, Streit über die Ausrichtung der Filmförderung (mehr Publikumsfilme vs. mehr Autorenfilm), Streit zwischen den Westschweizer und den Deutschschweizer Produzenten … fortan gab es die Swiss Film Producers‘ Association SFP und den GARP, die Gruppe Autoren, Regisseure, Produzenten. Und natürlich auch noch die eigentlichen Autorenfilmer, den Verband Filmregie und Drehbuch ARF/FDS. Aber der Streit um die knappen Filmgelder und die Ausrichtung der Filmförderung hat sich seither nicht verringert, und nachdem die SFP eintrittswillige Kandidaten abgelehnt hatte (mit der Begründung, die seien zu sehr auf die Kommerzialisierung der Schweizer Filmproduktion aus), und damit Austritte provoziert hat, haben die Ausgetretenen und ihre zugewandten Orte heute die Neugründung der Interessengemeinschaft unabhängige Schweizer Filmproduzenten IG bekanntgegeben, inklusive Charta und Absichtserklärung. Ist das sinnvoll, nützlich, nötig?

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Nyon 09: Wie dokumentiere ich das Unabbildbare?

The Sound of Insects by Peter Liechti
'The Sound of Insects - Record of a Mummy' von Peter Liechti

Heute Mittwochabend geht die diesjährige Ausgabe von «Visions du réel» in Nyon mit der Preisverleihung zu Ende. Es war die 40. Ausgabe des international renommierten Dokumentarfilmfestivals am Genfersee, und gleichzeitig die 15. unter der Leitung von Jean Perret. In Reflexe morgen blicken wir zurück auf die Jubiläumsausgabe und fragen drei Filmemacher nach der Art, wie sie das Unabbildbare in ihren Filmen dokumentiert haben: Peter Liechti das Sterben eines Selbstmörders in The Sound of Insects, Jos de Putter die virtuelle World of Warcraft in Beyond the Game und Richard Brouillette den Neoliberalismus in L’encerclement.

Donnerstag, 30. April 2009, 11.00-11.30, DRS2
Donnerstag, 30. April 2009, 22.00-22.30, DRS2

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Mit Keira Knightley gegen häusliche Gewalt

Für die britische Hilfsorganisation Women’s Aid hat Keira Knightley einen knapp zweiminütigen TV-Spot gedreht, der gestern veröffentlicht wurde. Sie spielt eine Schauspielerin, welche nach Drehschluss nach Hause kommt und von ihrem eifersüchtigen Partner zusammengeschlagen wird. Dass ein Star sich für eine Awareness-Kampagne einsetzt ist nicht neu. Interessant an dem kurzen Film ist allerdings die komplexe Dramaturgie. Regie führte Knightleys Atonement-Regisseur Joe Wright, und die Geschichte wird als Film-im-Film erzählt, mit einem denkwürdigen Twist in der Dramaturgie. Abgesehen vom klaren Aufruf zu mehr Zivilcourage und Aufmerksamkeit im Alltag, ist das auch ein überaus cleverer Kürzestfilm. Chapeau!

Filmpodcast Nr. 123: Lass den Richtigen rein, The Duchess, Sennentuntschi-Pleite, Volker Schlöndorff 70, Ilija Trojanow.

lass den richtigen rein ascot elite

Herzlich Willkommen zu Kino im Kopf mit Michael Sennhauser und heute, als Gast, Amélie Ritter. Brigitte Häring stellt heute den schwedischen Vampirfilm Låt den rätte komma in vor, und Michael Sennhauser The Duchess mit Keira Knightley. Dazu eine kurze Einschätzung des Finanzdebakels bei der Schweizer Produktion Sennentuntschi, Volker Schlöndorff zu seinem 70. Geburtstag, und ein ausführliches Gespräch mit Ilija Trojanow zur Verfilmung seines Romans: The World is Big and Salvation Lurks around the Corner. Dazu, wie gewohnt, die Tonspur und die Filmtipps.

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