Nyon 10: Zum Abschied die Vorgänger

Moritz und Erika De Hadeln in Nyon

Saukalt war es gestern Abend in Nyon, kälter als in den meisten früheren Jahren (auch wenn ich mich sogar an Schneetreiben im April erinnern kann). Aber eine halbe Stunde vor der Festivaleröffnung brachen doch ein paar Sonnenstrahlen durch, und vor der Bar du Réel, der Komplimentierung des Festivalkinos in der salle communale, genoss das Vorgängerehepaar der scheidenden Festivalleitung den Vorfrühling: Moritz de Hadeln, der langjährige Leiter der Berlinale, der seine Karriere in Nyon begonnen hatte, und seine Frau Erika, welche das Festival bis 1994 geleitet hat.

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Duisburger Nachlese – Zwei Dokfilme, zwei Systeme

Lost Town Projekt © Anne Niemann, Johannes Ingrisch
Lost Town Projekt © Anne Niemann, Johannes Ingrisch

Immer im Spätherbst beleuchtet die Duisburger Filmwoche Zustand und Methoden des deutschsprachigen Dokumentarfilms. Ich war war dabei in der Stadt am Rhein und habe mit zwei Dokumentarfilmern über ihre gezeigten Arbeiten gesprochen. Stefan Landorf hat mit Besprechung einen fast schon abstrakten Film über die Sitzungskultur in Unternehmen gedreht, während Jörg Adolph mit Lost Town den Leidensweg eines jungen Architektenpaars und ihres Prestigeprojekts verfolgt – zwei Filme zur zeitgenössischen Berufs- und Arbeitskultur, zwei komplett unterschiedliche Ansätze. Eine Reflexe-Sendung auf Schweizer Radio DRS2:

Lost Town Besprechung

Ausstrahlung:
Donnerstag, 26. November 2009, 11 Uhr und 22 Uhr, DRS2

Download (MP3, 13.5 MB)

Hören:

Duisburg 09: SOUNDS AND SILENCE von Norbert Wiedmer und Peter Guyer

Manfred Eicher und Arvo Pärt in Sounds and Silence
Manfred Eicher und Arvo Pärt in 'Sounds and Silence'

Filme reagieren auf ihre Umgebung, das ist eine klassische Festivalerkenntnis. Am Filmfestival von Locarno, letzten Sommer im August, konnten sich die Schweizer Dokumentarfilmer Norbert Wiedmer und Peter Guyer anlässlich der Uraufführung von Sounds & Silence feiern lassen. An der Viennale vor einer Woche wurde die Vorführung zu einem kleinen Triumph – nicht zuletzt dank der der Anwesenheit etlicher Musiker aus dem Film rund um den renommierten Produzenten Manfred Eicher. Hier in Duisburg heute morgen gab es neben der Begeisterung aber auch kritische Stimmen – und gerade dies spricht paradoxerweise wieder für den Film: Die Duisburger Filmwoche, bekannt, beliebt und berüchtigt für ihre Diskussionskultur und die ideologischen Grabenkämpfe im Publikum ist in den letzten Jahren zahmer geworden. Das heisst: Das Publikum ist jünger und zahmer geworden, Ideologie, politische Grundsätze, theoretische Vorgaben sind ihm zunehmend fremd geworden, und insofern waren die Diskussionen in diesem Jahr (wie immer in den wunderbaren Protokollen nachzulesen) weitgehend einem Konsens verpflichtet. Anders bei Sounds and Silence:

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Duisburg 09: BESPRECHUNG von Stefan Landorf

Besprechung von Stefan Landorf

Es sind die abstrakten Arbeitswelten, mit denen sich die Künstler in aller Regel am wenigsten gerne auseinandersetzen. Filme über Handwerker und Arbeiter gibt es jede Menge, aber mit dem, was die Tage des grossen westlichen Mittelstandes ausfüllt, weiss mit Ausnahme von Harun Farocki kaum jemand etwas anzufangen. Warum nicht? Eine Antwort wäre: Weil da nichts passiert, weil da nur geredet wird, besprochen, geplant. Stefan Landorf ist damit nicht einverstanden. Der ehemalige Arzt, der, wie er selber sagt, seinem Fachgebiet und dessen Fachsprache nur knapp entronnen ist, isoliert mit Besprechung das menschliche Ritual, das institutionalisierte Drama der gewöhnlichen „Sitzung“. Er hat Sitzungen gefilmt, in grossen und kleinen Firmen, bei der Bundeswehr, der Kinderhilfe, in einem selbstverwalteten Internat, bei einer Bank. Von diesen Sitzungen zeigt er grosse Ausschnitte, einzelne Phrasen hat er herausgelöst und lässt sie von den Protagonisten isoliert noch einmal einsprechen. Und er lässt die gleichen Phrasen von jungen Schauspielern nachsprechen, während diese farbige Trennwände durch einen Raum schieben. So bekommen diese Formulierungen, Sprachhülsen, Wendungen plötzlich eine Gravitas, ein mitunter komisches, oft aber auch ein trauriges Gewicht.

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Duisburg 09: OCEANUL MARE von Katharina Copony

oceanul mare von Katharina Copony

Wenn ich gestern im Blogeintrag zu Lost Town von Jörg Adolph behauptet habe, dass die besten Dokumentarfilme jene seien, welche die Geschichte ihrer Entstehung miterzählen, so ist es nicht mehr als folgerichtig, wenn mich heute eine österreichische Filmemacherin mit ihrem Film daran erinnert hat, dass das gar nicht immer nötig ist: Oceanul mare von Katharina Copony braucht sie gar nicht, diese unterschwelligen Strukturen der Blicklenkung, weil der Film nie behauptet, eine gewonnene Erkenntnis weitergeben zu wollen. So wie Copony drei Protagonisten der chinesischstämmigen Einwandererschaft in Bukarest filmt, ermöglicht sie einen Erkenntnisprozess, der sich mit dem ihren nicht zu decken braucht. Natürlich hat sie mit Dolmetscherinnen gearbeitet (gleich mit zweien, eine für Mandarin und eine für Rumänisch) natürlich stellt sie uns Untertitel zur Verfügung und natürlich hat sie gezielt ausgewählt, welche Erzählungen der Einwanderer sie auf welche Weise montiert und mit ergänzenden Bildern unterlegt. Aber was es für mich dabei zu gewinnen gibt, muss ich schon selber entscheiden.

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Duisburg 09: LOST TOWN von Jörg Adolph

LOST TOWN von Jörg Adolph

Filme sind immer auch gefährdete Projekte, und insbesondere Dokumentarfilme sind risikobehaftet, weil die Filmenden oft nicht wissen, wie ihre Geschichte schliesslich enden wird. Darum erzählt jeder gute Dokumentarfilm auch die Geschichte seiner eigenen Entstehung mit. Jörg Adolph begleitete für Lost Town über etliche Jahre hinweg die jungen Münchner Architekten Anne Niemann und Johannes Ingrisch auf ihrem Feldzug für ein preisgekröntes Projekt. Die beiden hatten, gleich nach dem Studium, einen britischen Konzeptwettbewerb gewonnen, mit ihrem Plan, an der erodierenden englischen Ostküste eine oder mehrere im Meer verschwundene Kirchen als Silhouetten aus rostfreien Stahlsäulen wieder in Erinnerung zu rufen. Der Preis bestand in der Finanzierung einer konkreten Machbarkeitsstudie, welche erfolgreich abgeschlossen wurde. Bis auf den erbitterten Widerstand der Menschen in dem kleinen Ort, wo das Projekt geplant war.

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Duisburg 09: Scharf beobachtete Grossmütter

'Schneeränder' von Nele Wohlatz
'Schneeränder' von Nele Wohlatz

Auch wenn die Duisburger Filmwoche, wie ihr langjähriger Leiter Werner Ruzicka glaubhaft versichert, es normalerweise vermeidet, ähnlich gelagerte Filme am gleichen Tag zu programmieren, so hat sich heute doch eine überaus reizvolle Kombination ergeben. Schneeränder von Nele Wohlatz und Sämtliche Wunder von Juliane Henrich sind Enkelinnenfilme. Beide haben ihre in ihrer Beweglichkeit eingeschränkten greisen Grossmütter mit der Videokamera beobachtet, haben mit vergleichbarer Ausgangslage zwei komplett unterschiedliche Dokumentarfilme gemacht, völlig unabhängig voneinander. Und beide Filme haben neben einer ausgemachten Respektshaltung auch einen gruseligen Unterton: Schau, das ist das Alter. Während aber Wohlatz mit ihrer Kamera zu einem Teil des Gehirns ihrer Grossmutter wird, bleibt Henrich auf Distanz, wird von ihrer Grossmutter auf Distanz gehalten: Hol Dir etwas zu trinken, Mädchen! Aber erst mal einzeln:

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Duisburg 09: ‚Ruhr‘ radikal – James Benning

James Benning Ruhr Tunnel

Menschen kommen in James Bennings 120minütigen Monument vor allem indirekt vor. So wie der Amerikaner mit deutschen Wurzeln seinen Blick auf das Ruhrgebiet und dessen ihm noch unbekannte mögliche Essenz legt, hat sich wohl auch von den Einheimischen noch nie jemand gesehen. Als Eröffnungsfilm der aktuellen 33. Duisburger Filmwoche war Ruhr gestern Abend ein intensives, forderndes Erlebnis. Als TV-Erstaufführung auf 3sat heute Nacht um 23 Uhr wird der Film vor allem ein Experiment sein.

Im Kino sind wir gestern Abend drangeblieben, an den fixen Einstellungen Bennings. Wir haben unsere Blicke, manchmal auch leise stöhnend, über die grosse Leinwand geschickt, das Bild mit den Augen scannend, immer in der Hoffnung, es möge was passieren, es solle sich etwas erschliessen, und manchmal passierte etwas, und meistens erschloss sich etwas. Was also wollte der Amerikaner uns sehen machen? Was kam da auf die Leinwand?

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Locarno 09: Die Preise

Goldener Leopard für Xiaolu Guo für 'She A Chinese' © Fotofestival Pedrazzini
Goldener Leopard für Xiaolu Guo für 'She A Chinese' © Fotofestival Pedrazzini

Mit She, A Chinese von Xiaolu Guo hat die internationale Jury den Goldenen Leoparden an einen Film vergeben, der erst gegen Ende des Wettbewerbs gezeigt worden ist. Die chinesischstämmige Xiaolu Guo lebt in London, ihr Film spielt in China und in England. Und er ist in der Tat beeindruckend auf ganz verschiedenen Ebenen. Zunächst erzählt er von einer Chinesin, die eher perspektivenlos auf dem Land aufwächst, nach einer Vergewaltigung in die Stadt flüchtet, sich dort ausgerechnet mit einem Auftragsschläger zusammentut, und nach dessen gewaltsamem Tod aus einem Impuls heraus mit dem unter der Matratze gefundenen Geld nach London fliegt. Dort beginnt sie dann ein Immigrantenleben, das uns allenfalls aus der Aussenperspektive bekannt vorkommt, das uns der Film aber überaus packend und zurückhaltend zugleich aus einer neuen, nicht unbedingt subjektiven Sicht vermittelt.

Der Spezialpreis der Jury und der Preis für die beste Regie gingen an meinen persönlichen Favoriten Buben.Baraban des Russen Alexei Mizgirev.

Den Preis als Beste Darstellerin erhielt die Holländerin Lotte Verbeek für ihre Rolle gegenüber Stephen Rea in Nothing Personal von Urszula Antoniak. Und den Leoparden für den besten männlichen Darsteller schliesslich vergab die Jury an Antonis Kafetzopoulos, den Hauptdarsteller in der satirischen Komödie Akadimia Platonos.

Die übrigen Preise folgen detailliert nach dem Sprung.

Darsteller-Leoparden für Lotte Verbeek und Antonis Kafetzopoulos © Fotofestival Daulte
Leoparden für Lotte Verbeek und Antonis Kafetzopoulos © Fotofestival Daulte

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Locarno 09: Extra-Portion Film am Radio

locarno pardo microphone

Werktäglich 25 Minuten vom Filmfestival Locarno ab Donnerstag. Unser DRS-Locarno-Magazin ist zu hören am 6. und 7. August, sowie vom 10. bis 14. August auf DRS 2 jeweils um 12 und 17 Uhr, sowie auf DRS 4 News um 11 und um 14.30 Uhr. Und natürlich als Podcast.

Im Sommer, da zieht das Kino mit seinem Publikum in die Hinterhöfe, auf Münsterplätze, ans Seeufer … oder gleich ins Tessin, ans Filmfestival von Locarno, den grössten Schweizer Kulturanlass überhaupt. Und da pilgern in Ferienstimmung auch die Filmfreundinnen hin, die Journalisten, die Zürcherinnen (wenn sie nicht auf die Streetparade warten), Künstlerinnen, Galeristen – und jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die sich noch an die Öffentlichkeit trauen. Das Filmfestival von Locarno ist in der ersten Augusthälfte das Gravitationszentrum der Schweizer Kulturszene.

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