Sommergast Christian Schocher, Kinobetreiber, Filmemacher, Pontresina

Schocher Christian Pontresina 22.06

Wie viele seiner Generation wollte der junge Bündner Christian Schocher (Jahrgang 1946) nach seiner Schul- und Lehrzeit so schnell wie möglich weg aus dem Bergdorf Pontresina. Aber dann ist er doch geblieben, hat von seinem Vater das Kino im Dorf übernommen und schliesslich mit Reisender Krieger einen der wichtigsten Schweizer Filme der Achtziger Jahre geschaffen. Ich habe Schocher in Pontresina besucht. Hier jetzt zu hören, oder als Download (Rechtsklick):

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Cannes 09: Les herbes folles

Les herbes folles Alain Resnais

Den neuen Film des 87jährigen Alain Resnais zu beschreiben, ist zwar möglich, aber kaum so, dass man ihm gerecht würde. In Les herbes folles spielt Resnais‘ Lebensgefährtin Sabine Azéma die Zahnärztin Marguerite Muir, ein überspanntes Wesen mit einem ständig unter Strom stehenden Haarschopf wie die Rote Zora. Sie fährt einen kanariengelben Smart Roadster, fliegt Kleinflugzeuge und restauriert mit fünf genialen Mechanikern zusammen eine alte Spitfire. Weil ihr beim Schuhekaufen in Paris ihre Tasche entrissen wird, findet der Frühpensionär George Palet (André Dussolier) ihre Brieftasche und ist fasziniert von den Fotos der Frau auf den Ausweisen. Der Film folgt einem Roman von Christian Gailly und er fühlt sich an wie ein munterer kleiner Fluss, der unaufhaltsam gluckernd seinen Lauf nimmt.

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Cannes 09: Taking Woodstock

Ang Lees 'Taking Woodstock' © Ascot-Elite Schweiz
Ang Lees 'Taking Woodstock' © Ascot-Elite Schweiz

Es gehört zu den vielen kleinen Klugheiten dieses Woodstock-Films, dass weder die Bühne noch die musikalischen Legenden je wirklich ins Bild kommen. Ein einziges Mal zeigt Ang Lee in Taking Woodstock einen Teil des legendären Open-Air-Konzertes: Ganz weit im Hintergrund, am Fuss des sanften Abhangs auf dem tausende von Zelten stehen, sieht man die erleuchtete Bühne, während die Hauptfigur, der junge Elliot Tiber auf dem Weg dorthin von einem Hippie-Paar im parkierten VW-Bus mit auf einen Acid-Trip genommen wird. Ang Lee und sein Screenwriter und Co-Produzent James Schamus haben die Memoiren von Elliot Tiber in einen dichten, fröhlichen, optimistischen Spielfilm geformt, der mit dokumentarischem Elan die Stimmung der ausgehenden 60er Jahre rekonstruiert.

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Nyon 09: Wie dokumentiere ich das Unabbildbare?

The Sound of Insects by Peter Liechti
'The Sound of Insects - Record of a Mummy' von Peter Liechti

Heute Mittwochabend geht die diesjährige Ausgabe von «Visions du réel» in Nyon mit der Preisverleihung zu Ende. Es war die 40. Ausgabe des international renommierten Dokumentarfilmfestivals am Genfersee, und gleichzeitig die 15. unter der Leitung von Jean Perret. In Reflexe morgen blicken wir zurück auf die Jubiläumsausgabe und fragen drei Filmemacher nach der Art, wie sie das Unabbildbare in ihren Filmen dokumentiert haben: Peter Liechti das Sterben eines Selbstmörders in The Sound of Insects, Jos de Putter die virtuelle World of Warcraft in Beyond the Game und Richard Brouillette den Neoliberalismus in L’encerclement.

Donnerstag, 30. April 2009, 11.00-11.30, DRS2
Donnerstag, 30. April 2009, 22.00-22.30, DRS2

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Nyon 09: Cooking History

cookinghistory

Wie man mit Frechheit, Einfallsreichtum und minimalsten Mitteln einen ebenso unterhaltsamen wie nachdenklichen Dokumentarfilm machen kann, hat hier an den Visions du réel in Nyon Peter Kerekes mit Cooking History gezeigt. Er folgt den grossen Konflikten des 20. Jahrhunderts über die Erinnerungen jener, die für die Armeen gekocht haben, den Feldköchen, ihren Gulaschkanonen und Erinnerungen an U-Boot-Kombüsen. Im Zentrum stehen auch bei Kerekes die Veteranen und ihre Erinnerungen, die klassischen Talking Heads eben. Aber er lässt sich nicht einfach in die Kamera reden, sondern er inszeniert sie. Entweder in einer Küche beim Kochen, oder – zum Beispiel – auf der Flucht durch ein Maisfeld, komplett mit verfolgendem Panzer. Er geht aber noch weiter. Wie auf dem Foto oben ersichtlich, hat er den einstigen U-Boot-Smutje mit einem Klapptisch und einem Gasbrenner an den Strand gestellt, kurz vor Eintreffen der Flut. Während der Mann seine panierten Koteletts brät, steigt der Meeresspiegel.

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Nyon 09: Die Frau mit den 5 Elefanten

Swetlana Geier und Enkelin

Die fünf Elefanten sind die fünf grossen Romane von Dostojewski, die Frau ist Swetlana Geier, die gefeierte Übersetzerin, welche dieses Riesenwerk für die deutsche Sprache komplett neu erschlossen hat. Der Basler Filmer Vadim Jendreyko (Bashkim) hat die 85jährige in ihrem Haus in Freiburg besucht und ist schliesslich mit ihr zurück an die Orte ihrer Kindheit gereist, in die Ukraine, nach Kiew. Mit 15 pflegte sie in der Familiendatscha ihren sterbenden Vater, der aus Stalins Gefängnissen als Folteropfer entlassen worden war. Sie lernte Deutsch auf Veranlassung ihrer Mutter, was den beiden Frauen zu Gute kam nach dem Einmarsch der Nazi in Kiew, und ihnen schliesslich half, in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen, nachdem Kiew von den Sowjets zurück erobert worden war. Denn „im Land der Mörder meines Mannes“ wollte Swetlanas Mutter nicht bleiben. Vadim Jendreykos Film, der gestern an den Visions du réel in Nyon seine Uraufführung hatte, ist vollständig um die charismatische alte Frau herum aufgebaut.

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Nyon 09: L’encerclement – la démocratie dans les rets du néoliberalisme

l'encerclement Plakat

Nachtrag vom 29. April 2009: Grand prix des Visions du Réel Nyon 2009

Die Umzingelung – Die Demokratie in den Fängen des Neoliberalismus. Was für ein Titel. Und was für ein Film! Visions du réel in Nyon hat das Publikum und die Tradition für solche filmische Parforcetouren. Und so haben wir uns heute 160 Minuten lang von analytischen Köpfen wie Ignacio Ramonet, Noam Chomsky oder Susan George anregen lassen, das moralische und ethische Chaos in unseren eigenen Köpfen eventuell ein wenig neu anzuordnen. In zwei Teilen und zehn Kapiteln lässt der junge Kanadier Richard Brouillette 13 Fachleute, Vor-, Nach und Durchdenker des Kapitalismus zu Wort kommen, eingebetten in die Musik Eric Morins, in einer Konstruktion, welche Jean Perret, der Direktor des Festivals als „théâtre de la parole articulée“ bezeichnet, als Theater des geprochenen Wortes.

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Nyon 09: The Sound of Insects – Record of a Mummy

TheSoundofInsects

Peter Liechti (Hans im Glück) gehört beharrlich zu den eigenwilligsten Schweizer Filmemachern. Seine stets sehr persönlich gehaltenen Filme sind zwar verankert im Dokumentarischen, entwickeln aber meist einen musikalischen Gedankenfluss. The Sound of Insects, der gestern am Dokumentarfilmfestival Visions du réel in Nyon seine Uraufführung hatte, gehört zu Liechti bisher perfektesten Filmen. Mit seinem Stab von zuverlässigen, eben so beharrlichen und im Tüfteln verankerten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat er um einen Text des Japaners Shamada Masahiko ein Gesamtkunstwerk errichtet. Im Kern steht das Tagebuch eines Selbstmörders, eines Mannes, der sich in den Wald zurückgezogen hat, um sich dort zu Tode zu hungern.

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Nyon 09: Geburt

Geburt von Haselbeck/Langjahr

Letztes Jahr lief hier in Nyon Constantin Wulffs In die Welt, der danach vielfach ausgezeichnet wurde, von Douglas Wolfsperger gab’s Der lange Weg ans Licht, und jetzt hat Silvia Haselbeck (mit Unterstützung ihres Lebenspartners Erich Langjahr) ebenfalls das Wunder der Geburt dokumentiert. Zunächst einmal ist das tatsächlich der Film einer Frau, während die beiden erwähnten Vorgänger ganz klar Werke von Männern waren, ist Geburt unverkennbar von der weiblichen Perspektive geprägt. Und nun muss ich aufpassen, wie ich weiter formuliere, denn ich bin schon mitten im Minenfeld …

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Nyon 09: Pizza in Auschwitz

pizzainauschwitz

Dokumentarfilme rund um den Holocaust haben meist ihren getragenen Ton und ihr ganz spezielles, unangreifbares Pathos. Pizza in Auschwitz von Moshe Zimerman ist anders. Der weit über 70jährige Danny aus Israel gehört zur zweiten Sorte dewr Holocaust-Überlebenden, zumindest nach der Einteilung der zweiten Generation, der auch seine Tochter und sein Sohn angehören. Die eine Sorte redet nie über die schreckliche Vergangenheit, die zweite hört nie mehr auf damit. Danny hat seine Kinder mit dem Holocaust aufgezogen, Birkenau und Auschwitz gehörten zu ihren Gute-Nacht-Geschichten. Jetzt erfüllt er sich einen Lebenstraum und reist mit seinen beiden Kindern und einem Filmteam zurück nach Polen, in die Vergangenheit, an die Orte seiner Kindheit, ins Ghetto, und schliesslich von Lager zu Lager.

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