Ein harter Brocken zur Eröffnung:

Julianna Moore und Mark Ruffalo in "Blindness" (c) Ascot Elite SchweizEs ist lange her, seit Cannes mit einem derartigen Hammer eröffnet wurde. Keine Frage, Fernando Meirelles Umsetzung des Romans «Blindness» von Literaturnobelpreisträger José Samarago ist ein beeindruckendes Stück Kino. Es ist eine naturalistisch-allegorische Apokalypse, die das Buch vorgibt: In einer Stadt bricht eine unbekannte Epidemie aus, Menschen erblinden von einem Moment auf den anderen und die Regierung beschliesst, alle Betroffenen in ein Quarantäne-Lager zu stecken. In diesem Gefängnis werden die Blinden sich selber überlassen und bald zerbricht der letzte Rest Solidarität in dieser isolierten Gesellschaft. Machtkämpfe, Egoismus und reine, tierische Gewalt beherrschen die Szenerie. Stellvertredend für uns, das Publikum, findet sich die von Julianne Moore gespielte Arztgattin als einzige (heimlich) Sehende unter all den Blinden in diesem «huit clos». Jahrelang

hat José Samarago sich geweigert, sein Buch überhaupt für eine Verfilmung freizugeben. Kino zerstöre die Vorstellungskraft, war sein Argument, und sein Buch sei auf die Vorstellungskraft angwiesen. Fernando Meirelles hat ein paar wirklich einfallsreiche Methoden angewandt, um seinem Publikum die Vorstellungskraft nicht wegzunehmen. zunächst wir die Blindheit von den Betroffenen nicht als Dunkelheit, sondern als einförmiges milchiges Weiss beschrieben. Das erlaubt dem Filmemacher graduelle Übergänge. Manchmal wird das Bild einfach immer heller, bis man gar nichts mehr erkennen kann. Manchmal nutzt er unsichtbare Jump Cuts, das heisst, Menschen und vor allem Hindernisse, in die sie hineinstolpern, befinden sich plötzlich woanders im Bild. Aber es ist nicht nur die Vermittlung der Hilflosigkeit des Nicht- Sehen- Könnens, sondern ein konstantes Spiel mit der Hilflosigkeit und der Wut generell… Dass der Film wie das Buch die Vorstellung einer Gesellschaft ohne jede Solidarität so konsequent durchspielt, dass zuerst eine Gruppe im Lager die Nahrungsversorgung unter ihre Kontrolle bringt und schliesslich, als alle anderen keine Wertgegenstände mehr haben, darauf besteht, die Frauen müssten ihnen zu Diensten sein, führt allerdings dazu, dass der Film zwischendurch etwas Parabelhaftes bekommt. Die gleiche Wirkung erzielt Meirelles auch mit Danny Glover in der Rolle des Erzählers, der periodisch ein bisschen kommentiert. Vielleicht braucht es aber auch diese Brüche mit dem Realismus, um den Film überhaupt aushaltbar zu machen. So kurz nach dem ersten Ansehen will ich noch nicht beurteilen, wie «nachhaltig» «Blindness» sein dürfte. Aber eine Behauptung setze ich gerne jetzt schon in die Welt: Meirelles hat mit diesem Film geschafft, was der Österreicher Michael Haneke immer angestrebt hat (und mit «Wolfszeit» wenigstens annähernd erreicht hat): Eine Emotionalisierung des Publikums, die nicht über die eingespielten Gut-Böse-Muster funktioniert (oder wenigstens nur teilweise), und daher auch nicht befreidigend abgeschlossen werden kann. Dazu passt auch der doppelte utopische Schlenker am Ende, der möglichweise verstörender nachwirkt, als der ganze vorangegangene Horror. Ein Kollege hat den Film als «Lord of the Flies» mit Erwachsenen bezeichnet. Das trifft allenfalls die Struktur, ganz sicher aber nicht den Kern dieser Geschichte. Ach ja: Die Schauspieler sind beeindruckend, insbesondere Julianne Moore in ihrer überaus ambivalenten Rolle.

Julianne Moore in "Blindness" (c) Ascot Elite Schweiz

Indiana Jones 4 – Schweigen, um zu brüllen

Auf der darauf spezialisierten Movie-Hype-Seite Ain't it cool News ist eine erste Besprechung des neuen Indiana Jones Film aufgetaucht. Und schon macht auch die New York Times einen Rubriken-Aufmacher daraus. Und gleich darauf folgen wir in der Blogosphäre und hypen vergnügt ins gleiche Rohr. Schweigen, um zu brüllen – das ist eine gute Werbemethode, wenn man es sich leisten kann. Steven Spielberg beherrscht das Spiel perfekt. In einer Woche, am 18. Mai, wird Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull am Filmfestival Cannes etlichen tausend Journalisten zum ersten Mal gezeigt. Bis dahin sollte eigentlich niemand den Film gesehen haben – danach möglichst sofort möglichst alle: Am 22. Mai ist Globalstart … dass die mediale Rückstau-Strategie funktioniert, merken wir nur schon daran, dass es zur Zeit noch Redaktionskollegen gibt, die leicht verblüfft sind, wenn ich erkläre, in einer Woche sei «Indy» für ein paar Tage das Hype-Thema Nummer eins.

Zu viel Realität an den „visions du réel“ in Nyon

Jimmy Carter in Jonathan Demmes "Jimmy Carter, Man from Plains"
Jimmy Carter in Jonathan Demmes 'Jimmy Carter, Man from Plains'

In der Morgenvorstellung von Jonathan Demmes ziemlich beeindruckendem Dokfilm über Jimmy Carter, den 39. Präsidenten der USA und Friedensnobelpreisträger, hat sich hier am Festival Visions du réel in Nyon eine Realsatire abgespielt. Im Film Jimmy Carter, Man from Plains erinnert sich der einstige Vermittler von Camp David daran, wie hart es war,  Anwar as-Sadat und Menachem Begin zum Unterzeichnen des Friedensabkommens zu bewegen, da dreht sich zwei Stuhlreihen vor uns plötzlich ein Typ um und brüllt den hinter ihm Sitzenden auf Englisch an, er sollegefälligst aufhören, seine Stuhllehne mit den Füssen zu treten, er könne sich nicht auf den Film konzentrieren. Kurze Konsternation im Saal, kurze Ruhe, dann springt der Aufgebrachte auf Knien auf seinen Sessel und brüllt den Zuschauer hinter sich noch einmal an. Dessen Begleiterinnen rücken in der (sonst leeren) Stuhlreihe ein paar Sitze nach links, der Angebrüllte jedoch zeigt dem Anbrüller den Vogel und bleibt sitzen. Über den Köpfen beider sieht man die dunklen Wolken rechtschaffener Empörung, während auf der Leinwand Jimmy Carter für seine Parteinahme für die Palästinenser als Antisemit, Lügner, Plagiator und so weiter beschimpft wird. Der Film von Jonathan Demme ist beeindruckend, der Auftritt der beiden Streithähne war ernüchternd, und wir sind alles in allem ziemlich verdattert aus dem Kino gekommen. Aber das sind die „visions du réel“: An diesem Dokfilmfestival muss man mit Erschütterungen rechnen…

Reflexe: Das verfilmte Musical, ein ewiger Widergänger

Normalerweise verzichte ich im Blog auf Sendungshinweise, weil solche Einträge ja sehr schnell verfallen. Aber die folgende Sendung habe ich als Musical-Fan mit so vielen tönenden Beispielen angereichert, dass wir sie nicht als Podcast zur Verfügung stellen können. Daher also ausnahmsweise ein einfacher Hinweis auf eine einfache Radiosendung (mit immerhin zwei Ausstrahlungszeiten)

Donnerstag, 21. Februar 2008, 11.00-11.30, DRS 2

Zweitausstrahlung: Donnerstag, 22.05 Uhr, DRS 2

Achtung: Wegen der vielen Musikbeispiele KEIN Podcast!

Tim Burtons «Sweeney Todd» nach Stephen Sondheims Broadway-Klassiker ist die jüngste Leinwandadaption eines Bühnenmusicals, nach «Hairspray» oder «Chicago». Das Kinomusical ist offensichtlich nicht totzukriegen, auch wenn die Zeiten von «The Sound of Music» und «My Fair Lady» längst vorbei sind. Michael Sennhauser hört und schaut sich um in der Musical-Leinwand-Geschichte und stellt dabei das aktuelle Grusical «Sweeney Todd» ausführlich vor.

Ist die Rote Zora eine Albanerin?

Der aktuelle Kinofilm nach Kurt Helds Jugendroman ist ja leider ein ziemliches Machwerk. Verhotzenplotzt und infantilisiert, ein Verrat am Buch. Aber der Film hat Interesse geweckt, wo lange keines mehr war: In Senj, in Kroatien, jenem Ort, in dem Kurt Held die Geschichte angesiedelt hat. Der dortige Bürgermeister, so berichtet die NZZ, sei sehr an der „Marke“ Rote Zora interessiert. Dabei ist das mutige Mädchen, weist der Artikel nach, gar keine Kroatin. Zora stammt aus Albanien…

van der Kooijs „Fred und Film“

Eine faszinierende neue Mischung von Filmpromotion und Filmweiterbildung leistet sich der Zürcher Verleiher Frenetic Films. Auf ihrer Website hosten die ‚Freneten‘ eine neue Clip-Reihe vom Musiktheoretiker, Regisseur und Filmhistoriker Fred van der Kooij. Unter dem Titel „Fred und Film“ stellt der brillante Analytiker in lockerer Abfolge seine eigenen Beobachtungen zu neuen Filmen vor. Den Anfang macht derzeit Fred und Film #1 zu Wong Kar Wais „My Blueberry Nights“. Das kurze, simpel und originell gestaltete Video zeigt van der Kooij, der Dinge wie die Gestaltung des Raums bei Wong Kar Wai erläutert, und dazu entsprechende Filmausschnitte „ins Bild“ zieht. Witzig und erhellend, und vor allem: Tatsächlich eine neue Sicht auf aktuelle Filme, eine Sicht, die formale und künstlerische Aspekte in den Vordergrund stellt, wo wir uns in der traditionellen Filmkritik immer mehr auf inhaltliche Zusammenhänge abstützen.

Fred und Film #1

Max & Co in Solothurn

Ein eigenartiger Effekt war gestern Abend mal wieder in Solothurn auszumachen, einer, der man sonst – vielleicht leider – nicht vermisst, wenn es um Kinofilme geht: Der Respekt vor der Arbeit überlagert die nüchterne Beurteilung ihrer Wirkung. Max & Co. hat viel gekostet (über 30 Millionen Franken), hat viel Aufwand gebraucht und ist für die Schweiz überhaupt zu einem Jahrhundertprojekt geworden. Zudem sind die Brüder Guillaume, die ihn gemacht haben, unglaublich sympathisch. Was sagt man also, wenn einem der Film nicht so verzaubert, wie man das erhofft hat? Man schiebt es der eigenen Indisponiertheit zu, vermisst bei sich selber die kindliche Fähigkeit, sich überwältigen zu lassen und weiss doch eigentlich ganz genau, dass das nicht stimmt, dass andere Filme diesen Effekt durchaus noch haben. Max & Co. ist technisch grossartig, erzählerisch dürftig, in seinem Detailreichtum hinreissend und bei der Figurenzeichnung nachlässig. Die technisch perfekte Puppenanimation hat bei mir Nostalgiereflexe ausgelöst, Stunden vor der (TV-) Augsburger Puppenkiste sind in mir wieder auferstanden. Und gleichzeitig habe ich mich in den Bildern verloren, bin mit dem Blick den hunderten von Details gefolgt, weil die Geschichte, der grosse Bogen, mich nicht zu packen vermochte. Manchmal entstehen aus den trivialsten Plots die grossartigsten Filme, hier leider nicht. Max und Co. ist eher ein Bilderbuch, etwas, das man sich mit Gewinn und Vergnügen immer wieder neu vornehmen kann und dabei immer wieder etwas neues entdeckt. Aber der Film erzählt keine Geschichte, die man wie früher vor dem Einschlafen immer und immer wieder hören möchte. Aber hier noch ein wichtiger Hinweis: Ich habe auch die Geschichte der „Herbstzeitlosen“ dürftig gefunden, den Film als Echo von ähnlichen Filmen erlebt. Das hat niemandem die Freude an dem Film verdorben, hoffentlich.

Erste Besprechung von J.J. Abrams‘ Cloverfield

Todd McCarthy, Chefkritiker der amerikanischen Branchenzeitschrift Variety, hat eine erste Besprechung des seit Juli 2007 gehypten neuen Monsterfilms „Cloverfield“ von „Lost“-Erfinder J.J. Abrams veröffentlicht. Der Film sei, wie erwartet, eine Mischung von „The Blair Witch Project“ und „Godzilla“. Wie schon der Trailer klar machte, wird die ganze Geschichte über Camcorder-Aufnahmen der mehrheitlich jungen Protagonisten quasi-dokumentarisch erzählt, was offensichtlich viel zur Intensität beiträgt. Allerdings entpuppe sich der Angreifer dann eben doch als klassisches Monster, und das reduziere den Terror naturgemäss. Denn klassische Monster sind grundsätzlich zerstörbar. Faszinierendes Details für die Schweiz: So wie es aussieht, wird der Film vom Verleiher den Medien nicht wie sonst üblich vorgängig gezeigt. Normalerweise ist das Indiz dafür, dass sich der Verleih vor schlechten Kritiken fürchtet. In diesem Fall gehe ich davon aus, dass der Hype und die Spekulationen um den Film, wie sie von der Internetkampagne initiiert wurden, möglichst lange aufrecht erhalten werden soll.

Sonntags-Sermon von Klaus Maria Brandauer

Klaus Maria Brandauer, Klara Obermüller ©sennhauser
Klaus Maria Brandauer, Klara Obermüller ©sennhauser

Der Mann ist in Sachen PR auf jeden Fall sein Geld wert: Wenn Klaus Maria Brandauer redet, hört die Menge zu. So war es auch vor etwas mehr als einer Stunde im Basler Luxushotel „Les trois rois“ bei der Pressekonferenz zum Drehstart von „Das Verhör des Harry Wind“ nach dem Roman von Walter Matthias Diggelmann. Geladen hat die Basler Produktionsfirma Sunvision, und auf dem Podium sassen neben Hauptstar Brandauer auch Nebenstar Sebastian Koch, Regisseur Pascal Verdosci, Produzent und Drehbuch-Co-Autor Alex Martin und die unverwüstliche Klara Obermüller, Witwe und Nachlassverwalterin von Walter Matthias Diggelmann. Obermüller hat denn auch die substantiellsten Informationen zum Roman von 1962 und seiner Aktualität geliefert. Und erklärt, sie müsse sich immer noch hin und wieder kneifen, um zu glauben, dass das Buch nun tatsächlich verfilmt werde. Nach ihr gab Produzent Martin Sebastian Koch das Wort, weil der Schauspieler bereits in der Maske erwartet wurde.

Sebastian Koch an der PK ©sennhauser

Koch war gewohnt zurückhaltend, schliesslich gebe es vor dem Dreh für einen Schauspieler noch wenig zu sagen. Aber das hinderte natürlich den Hauptstar des Anlasses keinesfalls am ausgiebigen Reden. Klaus Maria Brandauer liess seine bühnentrainierte Stimme über die Köpfe hinweg dröhnen und lieferte eine fast 15minütige Sonntagspredigt. Er fing mit dem Geständnis an, dass sein Einfluss auf das Weltgeschehen leider begrenzt sei. Als Schauspieler sei er nur ein Interpret, aber, und das sei schliesslich auch der Kern des Romans von Diggelmann: Es gebe ja ohnehin keine Wahrheit, sondern nur Interpretationen davon. Und es gebe nichts Neues unter der Sonne. Alles, vom ersten Schrei eines Kleinkindes bis zu den Malereien von Picasso, so Brandauer, sei eine Reprise. Sogar er selbst sehe sich ausserstande, zu wiederholen, was er fünf Minuten früher gesagt habe. Er könne das nur interpretieren. Das alles hatte irgendwie mit dem Projekt und dem Drehbuch zu tun, war aber inhaltlich viel grösser, schwerer, weitreichender. Irgendwie. Aber ausschlaggebend war natürlich die Präsenz des Mannes. Der Star ist ein Star, weil er sich wie ein Star benimmt, der sich nicht wie ein Star benimmt. Das ist meine Interpretation der Wahrheit, natürlich. Oder etwas ähnliches. Unbestritten ist die magnetische Präsenz des Schauspielers Brandauer. Selbst wenn es sich leicht peinlich anfühlt, ihm zuzuhören, die Faszination ist da:

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Kombination Koch-Brandauer mit dem Stoff von Diggelmanns Roman bestens korrespondiert. Brandauer als akribischer Verhörer, als Wahrheitssucher im Dienste der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Und Koch als nebelkerzenverfeuernder PR-Spezialist, als Spin-Doctor, der auch seine eigene Geschichte vorzu neu erfindet und dreht und wendet. Denn das ist offenbar auch der Angelpunkt des Drehbuches von Alex Martin und Marion Reichert: Die Schauplätze des Buches werden auf einen Hauptschauplatz reduziert, das Verhör und damit das Kammerdrama mit zwei Schauspielern wird in einem improvisierten Studio in einem Einkaufszentrum in Lörrach gedreht, mit einem Minimum an Aussenschauplätzen. Damit wird der Film effektiv ein Zweipersonenstück. Und das ist auf jeden Fall reizvoll, gerade mit diesem Duo aus Brandauer und Koch. Mehr dazu mit Oton morgen Montag in DRS2aktuell und natürlich am Freitag im Filmpodcast.

Beowulfs Schniedelwutz in Imax 3D – Ach, so ist das gemeint!

Lilian Z. und Michael S. mit Imax 3D-Brille in Loews Cinema, San Francisco

Ein Passiv-Computergame auf Grossleinwand – das ist der Eindruck, den Robert Zemeckis Motion-Capture-Saga bei mir hinterlassen hat, bei der ersten Visionierung auf einer ganz normalen Leinwand in Basel. Gestern Abend haben wir den Film hier in San Franciscos Metreon-Center als Imax-3D-Projektion gesehen. Und plötzlich leuchtete mir einiges ein, das vorher völlig unverständlich wirkte. Die tiefen Einstellungen mit viel Boden im Vordergrund. Der Rückwärtsflug der Kamera durch Baumwipfel in die Berghöhle des Monsters Grendel, ja sogar all die lächerlichen Zufälligkeiten im Bildvordergrund bei Beowulfs Kampf mit Grendel, die einzig und allein dazu dienen, das Gemächte des nackt kämpfenden Helden nie einem unschuldigen Kinderblick auszusetzen.

Das 3D-Bild auf der Imax Leinwand ist nicht immer gleich eindrücklich. Häufig entsteht mit der polarisierenden Brille auf der Nase nur ein Eindruck von geschichteter Zweidimensionalität, viele Einstellungen sehen aus, wie aus diesen aufklappbaren Bilderbüchern mit Pop-Up-Elementen. Andere dagegen sind unglaublich packend. Insbesondere die grosse Endschlacht zwischen Beowulf und dem Flugdrachen gerät zu einer hyperrealistischen Achterbahnfahrt, bei der es kaum mehr einer Komplizenschaft mit der Technik bedarf, der Effekt wirkt sich oft direkt körperlich aus, der Magen sinkt mit dem stürzenden Helden und dreht sich wie von selbst, wenn er dem Drachen das dunkle Herz aus der Tiefe der Brust reisst, mit blossen Händen notabene.

Die Filmerzählung wirkt nicht wirklich subtiler in 3D, aber all die kruden Effekte, die auf der normalen Leinwand nur Kopfschütteln auslösen, bekommen plötzlich eine Motivation. Dass Angelina Jolie als dämonische Mutter des Monsters Grendel zwar in goldiger Nacktheit auftreten darf, aber ohne Brustwarzen, das ist dem Bedürfnis der Produzenten nach einem PG-13-Rating geschuldet, also der Alterskategorisierung, welche die US-Kids nicht aus dem Kreis der zahlenden Klienten ausschliesst. Aus dem gleichen Grund darf Beowulfs Schniedelwutz nie ins Bild hängen.

Was aber auf der 2D-Leinwand bemüht peinlich wirkt, löst bei Imax-3D plötzlich Dankbarkeit aus. Denn so wie einem die Schwerter und Streitäxte aus der Tiefe des Raumes ins Gesicht gestreckt werden, muss man sich zwangsläufig auch die Männlichkeit des CGI-Helden vorstellen. Und das möchte man nicht (Frau auch nicht wirklich, hat mir Lilian versichert).

Aber eines macht dieses 3D-Abenteuer klar: Das lange gehegte Vorurteil, dass 3D im Kino nur einen Schauwert liefere, aber keine dramaturgische Komponente sein könne, wird hier widerlegt. Die Kampfszenen in der grossen Trinkhalle des Königs Hrothgar nutzen den ganzen Raum bis unter die Dachbalken und die „Kamera“ bewegt sich entsprechend.

Noch hat die Technik Kinderkrankheiten. So werden die Augen der Figuren in „Nahaufnahmen“ mittlerweile perfekt gerendert, mit Spitzlichtern und einem lebendigen Glanz, der die Zombie-Blicke des kleinen Mädchens in Zemeckis „Polar Express“ vergessen macht. Aber auf Distanz scheinen alle Figuren zu schielen. Da haben die Computergrafiker noch ein Problem. Aber in 3D ist dieser Beowulf ein Erlebnis. Noch immer um wenigstens dreissig Minuten zu lang, aber eindrücklich und nicht ohne Humor (den bemerkt man in der 2D Version kaum).

Angelina Jolie ist Grendels nippellose Mutter in Beowulf