Berlinale 11: THE FUTURE von Miranda July

Miranda July lehnt sich aus dem Fenster in 'The Future'

Der Film beginnt mit schwarzer Leinwand und einer seltsam verstellten Stimme aus dem Off, die davon erzählt, wie es ist, echte Dunkelheit zu kennen, ohne Aussicht auf ein warmes Plätzchen. Bald wird klar, wer oder was da spricht: es ist eine streunende Katze. Miranda July, die schräge US-amerikanische Performance-Video-Filmkünstlerin hat im Berlinale-Wettbewerb ihren neuen Film The Future präsentiert. Der ist so leise und fein und subtil, dass er droht, in diesem zuweilen rauhen, zuweilen düster schweren Wettbewerb etwas unter zu gehen. Die skurrile Künstlerin und Filmemacherin gewann mit ihrem Erstling Me And You And Everyone We Know in Cannes gleich die Camera d’Or.
Ihr neuer Film ist das lakonische Porträt eines Paares Mitte 30, das in Langeweile und Routine feststeckt. „Berlinale 11: THE FUTURE von Miranda July“ weiterlesen

Berlinale 11: NADAR AND SIMIN, A SEPARATION

Leila Hatami in ‚Jodaeiye Nader az Simin‘ von Asghar Farhadi

Iranisches Kino ist hier in aller Munde – bis gestern vor allem wegen der Abwesenheit Jafar Panahis. Das hat sich seit gestern geändert: der iranische Wettbewerbsbeitrag von Asghar Farhadi, Nadar And Simin, A Separation war bis jetzt der mit Abstand stärkste Film. Farhadi zählt aktuell zu den wichtigsten Regisseuren des Lande und wurde hier an der Berlinale schon vor zwei Jahren für About Elly mit einem silbernen Bären ausgezeichnet. Dass er dieses Mal leer ausgehen könnte, ist fast nicht vorstellbar. Der Film beginnt vor dem Scheidungsrichter: Simin möchte die Scheidung von ihrem Mann, weil der sich weigert, das Land mit ihr zu verlassen. Sie möchte, dass ihre elfjährige Tochter nicht in diesem repressiven Land gross werden muss. Aber Nadar hat einen alzheimerkranken Vater, den er nicht alleine zurücklassen will – auch wenn der ihn nicht mehr erkennt.

Schon diese Konstellation einer modernen, gebildeten Familie in Teheran wäre Stoff für einen guten Film. Farhadi stellt dieser jungen modernen Familie aber eine ebenso junge, sehr traditionelle und religiöse Familie gegenüber und zeichnet so im Kleinen das Bild einer komplexen Gesellschaft im Iran. „Berlinale 11: NADAR AND SIMIN, A SEPARATION“ weiterlesen

Berlinale 11: EL PREMIO

Paula Galinelli Hertzog in 'El Premio' von Paula Markovitch
Paula Galinelli Hertzog in 'El Premio' von Paula Markovitch

Ebenfalls um Vergangenheitsbewältigung ging es im zweiten Wettbewerbsbeitrag. Und dieser hat ziemlich zu überzeugen vermocht. Es ist die mexikanisch/französisch/polnisch/deutsche Koproduktion El Premio von Paula Markovitch. Darin geht es um Argentinien während des faschistischen Regimes. Erzählt wird die (autobiographische) Geschichte eines siebenjährigen Mädchens, das nur weiss, dass es seine wahre Identität nicht preisgeben darf, weil der Vater verschwunden ist und die Mutter sich verstecken muss. Cecilia möchte aber ein normales Leben führen, zur Schule gehen, mit Freundinnen spielen – und vor allem auch ihrer Mutter gefallen, die in ihrer Verzweiflung und Angst das Mädchen ziemlich grob behandelt. Der Film nimmt konsequent die Perspektive des Kindes ein, das zwar weiss und zu spüren bekommt, dass etwas nicht so ist, wie es sein sollte, das aber nicht wirklich verstehen kann, was tatsächlich läuft.

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Berlinale 11: MARGIN CALL

Kevin Spacey in 'Margin Call' von JC Chandor
Kevin Spacey in 'Margin Call' von JC Chandor

Kann man nach drei Filmen (davon nur zwei im Wettbewerb) schon von einem Trend sprechen? Einem Minitrend vielleicht. Berlinale-Chef Dieter Kosslick ist bekannt dafür, dass er dem Wettbewerb jeweils eine thematische Färbung verleiht. Bis jetzt war diese Färbung „Vergangenheitsbewältigung“: Im Eröffnungsfilm True Grit sahen wir die Auseinandersetzung mit dem Wilden Westen und dessen Demontage bzw. Domestizierung durch Bürokratie und Buchhaltertum. Im ersten Wettbewerbsfilm, Margin Call von JC Chandor wird ein Stück jüngster Geschichte verarbeitet: die Finanzkrise von 2008. Oder es wird zumindest der zaghafte Versuch gemacht, wenigstens eine Ahnung zu vermitteln, was denn nun eigentlich geschah an der Wall Street in den Hypothekenbanken, das zu dieser historischen Krise geführt hat und viele „normale“ Menschen mit kleinen und mittleren Hypotheken in den Ruin getrieben hat. Von denen allerdings ist nicht die Rede im Film des jungen Regisseurs und Autors, der für sein Projekt eine illustre Schauspielerriege gewinnen konnte:

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Berlinale 11: TRUE GRIT

'True Grit' © Universal Pictures International (Schweiz) GmbH

Es sei nicht beabsichtigt gewesen, einen Western zu drehen, sagte Joel Coen anlässlich der Pressekonferenz zur Eröffnungsvorstellung des Films True Grit. Sie hätten lediglich ein Buch verfilmt, dessen Geschichte halt in Arkansas in den 1870er Jahren spiele, und das sei halt nun zwangsläufig im „Wilden Westen“. Aber ihr Film sei eigentlich ein „Western aus Zufall“. Absicht oder Zufall – der Film der Coen Brüder IST ein Western. Und was für einer. Zusammen mit ihrem Stamm-Kameramann Roger Deakins haben sie (wiedermal) ein Werk geschaffen, in dem jedes Bild episch ist, jede Textzeile sitzt und in dem die Figuren echte Charaktere sind. Und dass Jeff Bridges locker den übermächtigen Western-Helden John Wayne vergessen spielt, war zu erwarten – da hätte es nicht die mantragleichen Bemühungen der Coens gebraucht, sich vom gleichnamigen Film von 1969 zu distanzieren. Sie hätten den Film nie geschaut und kaum gekannt, betonten die Brüder – Vorlage sei lediglich der Roman (Charles Portis, 1968) gewesen. Man mag dies glauben oder nicht (einige Bilder und ganze Szenen sind verdächtig dem Vorgänger ähnlich);

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Die Unverpassbaren, Woche 5

'Goodnight Nobody' von Jacqueline Zünd ©columbus
'Goodnight Nobody' von Jacqueline Zünd ©columbus

Erst diese fünf Filme sehen. Dann alle anderen.

  1. Goodnight Nobody von Jacqueline Zünd. Vier schlaflose Menschen auf vier Kontinenten. Ein dokumentarisches Traumbild der Nacht, stark und schön.
  2. Rubber von Quentin Dupieux. Grossartig, absurd, clever und sehr, sehr Killerpneu.
  3. Black Swan von Darren Aronofksy. Der Mann hat offenbar ein Hühnchen zu rupfen mit der Leistungsgesellschaft. Diesmal spielt die grazile Natalie Portman The Wrestler im Tutu. Das ist schrecklich schön simpel grauslich.
  4. Les amours imaginaires von Xavier Dolan. Der knapp über zwanzigjährige Kanadier schafft den unverschämten, jungen Film über das Verliebtsein als Konzept und Grundhaltung ohne Zynismus und theoretischen Unterbau, wie ihn etwa Tom Tykwer bei Drei bemüht.
  5. Another Year von Mike Leigh. Der streitbare Brite fordert uns mit einer weiteren seiner schauspielergetriebenen Alltagsgeschichten unterhaltsam und hart aber herzlich heraus.

Im Filmpodcast morgen ein längeres Interview mit Klaus Maria Brandauer zu Manipulation, Fragen an Jacquelin Zünd zu Goodnight nobody und der DVD-Tipp zu Wätterschmöcker.

Die Unverpassbaren, Woche 4

Robert der Pneu und Roxane Mesquida in 'Rubber' ©xenix
Robert der Pneu und Roxane Mesquida in 'Rubber' ©xenix

Erst diese fünf Filme sehen. Dann alle anderen.

  1. Rubber von Quentin Dupieux. Grossartig, absurd, clever und sehr, sehr Killerpneu.
  2. Black Swan von Darren Aronofksy. Der Mann hat offenbar ein Hühnchen zu rupfen mit der Leistungsgesellschaft. Diesmal spielt die grazile Natalie Portman The Wrestler im Tutu. Das ist schrecklich schön simpel grauslich.
  3. Les amours imaginaires von Xavier Dolan. Der knapp über zwanzigjährige Kanadier schafft den unverschämten, jungen Film über das Verliebtsein als Konzept und Grundhaltung ohne Zynismus und theoretischen Unterbau, wie ihn etwa Tom Tyker bei Drei bemüht.
  4. Another Year von Mike Leigh. Der streitbare Brite fordert uns mit einer weiteren seiner schauspielergetriebenen Alltagsgeschichten unterhaltsam und hart aber herzlich heraus.
  5. Tournée von Mathieu Amalric. Das poetische europäische Gegengift zum verlogenen Schmu von Burlesque , bevor das Hauptgift überhaupt verabreicht wurde. Melancholisch und, ja, ergreifend.

Im Filmpodcast morgen gibts es mehr von allem und aus Solothurn.

SFT 11: Eine erste Gesprächsbilanz der aktuellen Filmtage

SFT Reithalle

Wie waren sie, die 46. Solothurner Filmtage? Was war besonders schön? Wo steuert die Filmpolitik hin? Und warum gibt es ausgerechnet jetzt, am Ende der umstrittenen Phase Bideau, so viele tolle Schweizer Filme? Ein Gespräch mit Kaspar Kasics, dem Präsidenten des ARF, Matthias Bürcher von artfilm.ch und CH-Film-Urgestein Clemens Klopfenstein.

Saugen MP3 12.1 MB (Rechtsklick) Hören:

Nachtrag vom 31. Januar 2010. Hier gibts noch eine Nachbilanz im Kulturstammtisch auf DRS4, mit Marcy Goldberg und mir, moderiert von Eric Facon:

Saugen (Rechtsklick und speichern unter…) / Hören:

Die Unverpassbaren, Woche 3

Natalie Portman in 'Black Swan' ©Fox
Natalie Portman in 'Black Swan' ©20th Century Fox

Erst diese fünf Filme sehen. Dann alle anderen.

  1. Black Swan von Darren Aronofksy. Der Mann hat offenbar ein Hühnchen zu rupfen mit der Leistungsgesellschaft. Diesmal spielt die grazile Natalie Portman The Wrestler im Tutu. Das ist schrecklich schön simpel grauslich.
  2. Les amours imaginaires von Xavier Dolan. Der knapp über zwanzigjährige Kanadier schafft den unverschämten, jungen Film über das Verliebtsein als Konzept und Grundhaltung ohne Zynismus und theoretischen Unterbau, wie ihn etwa Tom Tyker bei Drei bemüht.
  3. Another Year von Mike Leigh. Der streitbare Brite fordert uns mit einer weiteren seiner schauspielergetriebenen Alltagsgeschichten unterhaltsam und hart aber herzlich heraus.
  4. Tournée von Mathieu Amalric. Das poetische europäische Gegengift zum verlogenen Schmu von Burlesque , bevor das Hauptgift überhaupt verabreicht wurde. Melancholisch und, ja, ergreifend.
  5. Des hommes et des dieux von Xavier Beauvois. Ruhig, intensiv und gelassen erzählt Beauvois von Mönchen, die trotz Terror in ihrem Kloster ausharren – ohne sich als Märtyrer zu verstehen. Ein intelligenter Film über den eigenen Glauben und den der anderen.

Die Unverpassbaren, Woche 2

Xavier Dolan, Niels Schneider und Monia Chokri in 'Les amours imaginaires' von Xavier Dolan ©filmcoopi
Xavier Dolan, Niels Schneider und Monia Chokri in 'Les amours imaginaires' von Xavier Dolan ©filmcoopi

Erst diese fünf Filme sehen. Dann alle anderen.

  1. Les amours imaginaires von Xavier Dolan. Der knapp über zwanzigjährige Kanadier schafft den unverschämten, jungen Film über das Verliebtsein als Konzept und Grundhaltung ohne Zynismus und theoretischen Unterbau, wie ihn etwa Tom Tyker bei Drei bemüht.
  2. Another Year von Mike Leigh. Der streitbare Brite fordert uns mit einer weiteren seiner schauspielergetriebenen Alltagsgeschichten unterhaltsam und hart aber herzlich heraus.
  3. Tournée von Mathieu Amalric. Das poetische europäische Gegengift zum verlogenen Schmu von Burlesque , bevor das Hauptgift überhaupt verabreicht wurde. Melancholisch und, ja, ergreifend.
  4. Des hommes et des dieux von Xavier Beauvois. Ruhig, intensiv und gelassen erzählt Beauvois von Mönchen, die trotz Terror in ihrem Kloster ausharren – ohne sich als Märtyrer zu verstehen. Ein intelligenter Film über den eigenen Glauben und den der anderen.
  5. Beyond this Place von Kaleo La Belle. Ein Hippievater, ein Filmemachersohn, ein Field-Trip – ein Dokumentar-Roadmovie.

Und morgen im Filmpodcast: Mehr von XAvie Dolan zu Les amours imaginaires, von Senta Berger zu Satte Farben vor Schwarz und ein Geburtstagsgruss für Faye Dunaway.