Cannes 10: O ESTRANHO CASO DE ANGÉLICA von Manoel de Oliveira

Angelica de oliveira

An der Berlinale letztes Jahr dachten die meisten von uns, wir hätten wohl den letzten Film vom portugiesischen Altmeister gesehen. Aber jetzt ist der 102jährige tatsächlich nach Cannes gekommen und gestern Abend munter und spazierstockschwingend die Treppenstufen zur Bühne in der Salle Debussy hinauf- und später auch wieder hinunter gestiegen. Manoel de Oliveira wirkte wieder fast so unverwüstlich wie in jüngeren Jahren – sein jüngster Film dagegen trägt Spuren des Alters in sich und mit sich. Es ist die vom titel angekündigte seltsame Geschichte des jungen Mannes Isaak, der eines Nachts geholt wird, um eine tote junge Frau zu fotografieren. Und während die Familie trauernd dabei steht, öffnet die Tote im Kamerasucher die Augen und lächelt ihn an. Natürlich ist es damit um Isaak geschehen.

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Cannes 10: THE HOUSEMAID – HANYO von Sangsoo-Im

The Housemaid

Am NIFFF letzten Sommer war in der Retrospektive Kim Ki-youngs legendäres Original Hanyo von 1960 zu sehen (heute in voller Länge bei The Auteurs). Der Sozialthriller um einen verheirateten Lehrer, der sein Hausmädchen schwängert und damit sich und seine Familie ihrem zunehmend abstrusen Terrorregime ausliefert, ist ein atmosphärischer Schwarzweissfilm, der von ambivalenten Stimmungen und moralischer Mehrdeutigkeit lebt. Lange Zeit ist man auf der Seite der jungen Frau, die sich dann zwar genregerecht als Familienzerstörerin gebärdet, aber auch das ist nicht eindeutig gezeichnet. Hanyo war im Original eine Sensation in Süd-Korea. Das lange erwartete Remake von Sangsoo Im steht nun im Wettbewerb um die Goldene Palme. Es ist ein saftiger Film geworden, ein giftiges Melodrama, das alle Register zieht und dabei jeder Eindeutigkeit eindeutig den Vorzug gibt.

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Cannes 10: RIZHAO CHONGQING von Wang Xiaoshuai

Chongqing Blues boot

Wang Xiaoshuai ist kein Unbekannter, einer seiner bisherigen Filme hat sogar einen Schweizer Verleih gefunden: Beijing Bicycle von 2001. Und Zuo you (2007) brachte ihm den silbernen Berliner Bär für das beste Drehbuch. Sein neuer Film spielt nun allerdings in jener anderen chinesischen Stadt, welche ebenfalls seit Jahren die Fantasie der Filmemacher beflügelt, in Chungking (wie sie in Chungking Express von Wong-Kar Wei hiess) oder eben in Chongqing, wie der Name diesmal transkribiert worden ist. Übersetzt heisst der Titel Chongqing Blues und diesen Blues hat ein Vater, der, 14 Jahre nach dem er Frau und Kind verlassen hat, zurückkommt in die Stadt, um herauszufinden, wie es dazu kam, dass sein mittlerweile 25jähriger Sohn in einem Supermarkt als Geiselnehmer erschossen worden ist.

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Cannes 10: TOURNÉE von Mathieu Amalric

'Tournée' von Mathieu Amalric
'Tournée' von Mathieu Amalric

Er war der Blinzeldiktierer in Le scaphandre et le papillon und der Bösewicht im letzten Bond. Jetzt aber hat Mathieu Amalric als Regisseur und Hauptdarsteller den diesjährigen Wettbewerb von Cannes eröffnet. Da sind eine Figur und eine Geschichte, die ein wenig an Tom Waits und seine Songs erinnern, eine 110minütige Abfolge fast dokumentarisch wirkender Szenen, welche – böse betrachtet – ein Treatment für einen guten Film abgäben. Mit etwas mehr Milde oder gar einer Spur echter Begeisterung findet man aber ein paar sehr berührende Momente und zwei oder drei filmisch grosse Passagen in dieser Tournée. Amalric spielt Joachim, einen verkrachten, abgestürzten Fernsehproduzenten, welcher in die USA geflüchtet ist vor seinen Schulden und Beziehungsproblemen, und jetzt als Impresario mit einer Burlesk-Truppe eine Provinz- und Küstentour durch Frankreich absolviert. Die Frauen hoffen auf einen krönenden Auftritt in Paris, aber der kommt nicht zustande, weil Joachims alte Feindschaften noch immer leben und wirken.

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Cannes 10: No Big Business

Carlton 2010 No Ads just Salt

Jetzt, da einige Optimisten schon ihr Ende verkündet haben (ausser den Griechen), schlägt die Finanzkrise auf dem Filmmarkt und am Festival durch. Filmfinanzierung ist ein mittelfristiges Geschäft und darum waren in den letzten beiden Jahren kaum weniger Filme auf dem Markt als in den Jahren vor der Krise. Jetzt aber, da die ersten Krisenfilme hier im Programm laufen (Wall Street: Money Never Sleeps, Cleveland vs. Wallstreet) fehlt das Geld sichtbar. Deutlichstes Zeichen dafür ist die Fassade des Carlton Hotels. In früheren Jahren war sie zugepflastert mit Werbung für grosse Hollywood-Kisten (siehe Foto von 2008 nach dem Sprung), oder der Promozirkus nahm gleich die ganze Hotelfront in Beschlag. Dieses Jahr ist Robin Hood die einzige grosse Kommerz-Kiste im Programm, und die Werbeausgaben für den Film halten sich in Grenzen. Man setzt offensichtlich auf die Präsenz der Stars Russell Crowe und Cate Blanchett, auf die sich die Weltmedien denn auch in diesen Minuten stürzen. Regisseur Ridley Scott ist nicht gekommen, eine doppelte Knieoperation hält ihn im Spitalbett fest. Und das Carlton ist ungewohnt nackt, wie auf obigem Bild zu sehen ist. Das einzige bisschen Salz in der Wunde ist da Angelina Jolie, verloren auf der Affiche zu Phillip Noyces kommendem Agententhriller Salt.

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Cannes 10: ROBIN HOOD von Ridley Scott

Russell Crowe und Ridley Scott auf dem Set von 'Robin Hood' ©Universal
Russell Crowe und Ridley Scott auf dem Set von 'Robin Hood' ©Universal

Mit den Eröffnungsfilmen und den Sperrfristen ist das so eine Sache. Und wenn die Aufmacherkiste nicht nur Cannes aufmacht, sondern global den Mittwoch oder Donnerstag, dann ist die Sache eh gelaufen. Auf diesen Robin Hood habe ich jedenfalls nicht gewartet. Das ist eine kompetente Kinomaschine aus der Scott-Manufaktur, Russell Crowe gibt eine Reprise seines heiseren Gladiators von vor zehn Jahren. Es wird viel gekämpft und schauplatzgewechselt. Fast wie in einem klassischen Bondfilm spielt jede zweite Szene an einem anderen Ort, vor einer Burg in Frankreich, in einem Wald in Frankreich, vor dem Tower in London, in einem Wald in Nottingham, in einem Wald in Südengland, an der Kanalküste – und weil das alles gleich aussieht, wird jede Szene brav mit einer Ortsangabeschrift eingeleitet. Das ist symptomatisch für dieses filmische Unterfangen, das sich in erster Linie vor Humor zu fürchten scheint, und gerade darum manchmal saukomisch wirkt. Aber was ist denn nun neu an diesem Robin (abgesehen davon, dass ihm der Batman zu fehlen scheint) ?

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Cannes 10: Karl Lagerfeld ist eine Flasche

Lagerfeld Coke Pano

Werbung und Promotion treiben im Umfeld des Filmfestivals ganz eigene Blüten. Leicht irr ist dieses Fassadenplakat einer von Modemacher Lagerfeld designten Cola-Flasche, die er nicht nur selber ziert, sondern die er auch noch eigenhändig fotografiert hat. Und dann nicht nur die Flasche signiert, sondern auch noch das Plakat. Am Boden zerstört liegt derweil das Vorgängerplakat. Das Aufhängen war eine Grossaktion, welche gleich zwei Ausleger-Kranwagen den ganzen Nachmittag beschäftigt hat. Nach dem Sprung noch Detailbilder.

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Cannes 10: Ken Loach in letzter Minute

Gestern wurde bekannt, dass die Briten ihren Einsatz im Wettbewerb von Cannes kurzfristig verdoppeln konnten. Neben Mike Leigh mit Another Year ist jetzt auch Ken Loach eingeladen, mit seinem neuen Film Route Irish. Angeblich wollte Loach den Film über zwei Iren im Irak gar nicht für den Wettbewerb einreichen, hat sich aber offenbar umbesonnen. Loach war schon letztes Jahr hier und für The Wind that Shakes the Barley hat er 2006 die goldene Palme gewonnen, er gehört zu den Stammgästen des Festivals.  Gerade rechtzeitig hat Loach (dem immer daran gelegen war, dass seine sozial engagierten Filme ein Publikum finden sollten, eher als Geld einspielen) einen eigenen YouTube-Kanal für seine Filme eingerichtet. Da ist (nicht in allen Ländern, leider) ein guter Teil seiner Filme in voller Länge zu sehen. (via Cargo)

Festival de Film de Cannes 2010

Cannes 10: Leuchtfeuer Juliette Binoche

Juliette Binoche auf dem offiziellen Plakat Filmfestival Cannes 2010
Juliette Binoche auf dem offiziellen Plakat Filmfestival Cannes 2010

Morgen Mittwoch sticht der Ozeandampfer unter den Filmfestivals wieder in See. Und damit niemand den kleinen ehemaligen Fischerhafen an der Côte d’Azur verfehlt, haben die Hüter des filmischen Grals in Paris (3, rue Amélie) einen weiteren trésor national verpflichtet. Juliette Binoche schwingt das Leuchtfeuer auf den offiziellen Plakaten des diesjährigen 63. Festivals. Vielleicht gelingt es ihr ja, uns alle heute und morgen sicher durch die Vulkanaschewolken zu lotsen. Sie tritt dann aber aber auch auf, in einem auf den ersten Blick typischen Cannes-Film im Wettbewerb: Copie conforme heisst der Film auf Französisch (Roonevesht barabar Asl As auf Persisch), den der Iraner Abbas Kiarostami mit der Französin in der Toskana gedreht hat. Eine universelle Liebesgeschichte zwischen einer Galeristin und einem Schriftsteller dürfen wir erwarten.  „Cannes 10: Leuchtfeuer Juliette Binoche“ weiterlesen

Nyon 10: RED SHIRLEY – ein Abend mit Lou Reed

'Red Shirley' von Lou Reed

Er ist tatsächlich gekommen, der Rockstar mit seinem Erstlingsfilm. Lou Reed ist trotz Aschewolke und Flugverboten nach Nyon gefahren, im Zug aus London, um heute Abend seinen ersten (und nach seiner Aussage auch letzten) Dokumentarfilm vorzustellen: Red Shirley, ein 28 Minuten langes Porträt seiner mittlerweile 101 Jahre alten Cousine. Es müsste nicht sein letzter sein, Red Shirley ist nicht nur ein berührendes Portrait einer alten Jüdin, die mit 19 Jahren ganz alleine aus Polen nach Kanada emigriert ist, und von dort nach nur sechs Monaten weiter nach New York, sondern auch ein (von Ralph Gibson) ansprechend gefilmtes, sehr dicht geschnittenes und vertontes (da kommt Lou Reeds eigene Expertise ins Spiel) rundes Werk. Die in einzelnen Momentaufnahmen aus ihren Erzählungen evozierte Sicht auf das Leben einer als oppositionelle Gewerkschafterin, also als „rote“, gegen die korrupte Union kämpfende, unerschrockene Frau, die unter anderem auch am Million Man March gegen die Segregation nach Washington dabei war, fügt sich zu einem ansprechenden kurzen Film, der keineswegs abfällt unter den übrigen in Nyon gezeigten Werken.

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