Alexander J. Seiler zum 80. Geburtstag

Alexander J. Seiler (Foto von Swissfilms)Heute vor 80 Jahren, am 6. August 1928, wurde in Zürich einer der heimlichen Revolutionäre des Schweizer Films geboren. Alexander J. Seiler, Theaterwissenschaftler, Filmemacher, Publizist. Mit Dokumentarfilmen wie «Siamo Italiani» von 1964, mit kulturpolitischen Initiativen und mit unzähligen Aufsätzen und Publikationen hat sich Alexander Seiler unermüdlich eingemischt in die «eigenen Angelegenheiten» der Schweiz. Ein tönender Geburtstagsgruss:

Comrades in Dreams

Comrades in Dreams (c) trigon-film
Comrades in Dreams (c) trigon-film

Ein Dokumentarfilm über Kinobetreiber: Da sollte uns ja das Herz aufgehen. Der (Ost-) Deutsche Uli Gaulke hat sich allerdings nicht die industrialisierten Kinopaläste ausgesucht, sondern vier Verteidiger des traditionellen Kinoerlebnisses. Comrades in Dreams führt uns nach Burkina Faso, nach Indien, nach Nordkorea und in die Tiefe der amerikanischen Provinz. Das ist ein sorgfältig und klug gebauter Dokumentarfilm, Gaulke zeigt den indischen Zeltkinobetreiber, die drei cinéphilen Jungunternehmer in Burkina Faso, die linientreuen nordkoreanischen Filmvorführer und die über Familientragödien in ihr Provinzkinogeschäft geschlidderte Amerikanerin in erster Linie als Menschen, die den Traum vom Kino in harter Arbeit am Leben halten. Offenbar hat Gaulke

(gemäss einem Interview im aktuellen gedruckten filmbulletin) bei seinen Recherchen noch etliche andere Kinobetreiber besucht und sich dann schliesslich auf diese vier konzentriert: Asien, Indien, Afrika, Nordamerika. Und ein eigenartiger roter Faden führt durch den Film: Es ist James Camerons Titanic, der zeitgenössische Inbegriff des Hollywoodschen Überwältigungskinos. Die indischen Landbewohner können mit dem Film nichts anfangen, die Afrikaner lieben ihn wie die Amerikaner und die Koreaner haben keine Chance, ihn je zu sehen zu kriegen. Und für mich persönlich ist Titanic auch ein Berührungspunkt zu Gaulkes Film. Oder eben nicht. Denn mir geht es mit „Comrades in Dreams“ wie es mir seinerzeit mit Titanic erging: Ich sehe das Konzept, ich verstehe die Attraktion, die es auf sein potentielles Publikum ausübt, allein, ich bleibe draussen, bei mir fliegt der emotionale Funke nicht. Insofern ist „Comrades in Dreams“ für mich zur Knacknuss geworden. Schliesslich bin ich cinéphil, kinoverrückt, filmsüchtig und ich habe den gleichen Hang zur Nostalgie wie die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen, die das Kino noch in seiner Zeit als Traumpalast erlebt haben. Aber bei diesem Dokumentarfilm geht mir das alles nur im Kopf auf und nicht im Herzen. Liegt es am klaren Konzept? Liegt es daran, dass für die Protagonisten ihr Kino nicht nur Traum und Hobby ist, sondern auch Beruf und Lebensunterhalt, also Geschäft? Auch bei Titanic hat mir konzeptuell alles eingeleuchtet, die süssliche Liebesgeschichte, das überspitzte Klassendrama. Und doch fragte ich mich von Anfang an, wo das Drama liegt in einem Film der eine der bekanntesten Sensationsgeschichten der Welt erzählt.

„Comrades in Dreams“ ist ganz offensichtlich ein gut gemachter, gezielt auf den Punkt gebrachter Film. Und ich bin überzeugt, dass er für die meisten Leute auch funktionieren dürfte. Ich habe mein Herz einfach schon früher verloren an die Kinokinofilme The Last Picture Show von Peter Bogdanovich (und die eigenartige Fortsetzung Texasville), an Ettore Scolas Splendor (und nicht etwa an den schamlos süsslichen Nuovo Cinema Paradiso), oder Joe Dantes Matinée.

Comrades in Dreams läuft ab 7. August im Kino in der Deutschschweiz. Spielorte und Information: trigon-film.

Timetube: Rückwärts durch die Röhre gucken

Der riesige Video-(Mist-)Haufen YouTube ist längst zu einer unerschöpflichen Quelle für Filmausschnitte, Zitate, Szenen und grossen Kinomomenten im Winzformat geworden. Ein Problem des Videoportals ist allerdings seine nicht gerade raffinierte Suchfunktion. Nun hat das Mash-Up-Portal dipity.com eine neue Youtube-Mashup-Funktion, die aus einer beliebigen Reihe von Stichwörtern eine Videotimeline erzeugt. Da findet sich zwar immer noch viel Mist, aber die Clips sind (einigermassen) nach Entstehungsdatum über eine Zeitlinie verteilt. Für pophistorische Recherchen vielleicht nicht gerade das ultimative, aber doch ein unterhaltsames (und zeitfressendes) Tool.

Bei einer Suche nach «James Bond» bin ich zum Beispiel auf eine hübsche Zusammenstellung all der Bond-Vortitel-Sequenzen mit dem Blick durch den Pistolenlauf gestossen.

 

Nachtrag vom 28. Sept. 2019:  Jesse Davidson hat mich per Email darauf aufmerksam gemacht, dass dipity.com leider nicht mehr existiert. Dafür eine Reihe anderer Timeline-Generatoren. Hier seine Geschichte von dipity.com

Ben Hur ist gestorben

Charlton Heston als "Ben Hur"Good Bye, Chuck! Charlton Heston ist tot, der Mann, der als Ben Hur und als Moses zu Weltruhm und Unsterblichkeit gekommen ist, ist gestern in Beverly Hills mit 83 Jahren gestorben. Die letzten Jahre machte der an Alzheimer leidende Schauspieler nur noch als eiserner Verfechter des Rechtes auf Waffenbesitz auf sich aufmerksam, am traurigsten in Michael Moores schamloser Vorführung in Bowling for Columbine. Mit seinem stets trotzig vorgestreckten

Unterkiefer und einem eigentlichen Mahlwerk an blitzenden Zähnen machte Heston fast immer eine gute Figur als Über-Mann. Er war der Monumental-Mann schlechthin, auch wenn er ab Ende der sechziger Jahre noch eine zweite Karriere als Katastrophen überlebendes Alpha-Tier hinlegte, in The Omega Man, Soylent Green, oder Planet of the Apes, Earthquake oder Airport 75. Meine erste Kinobegegnung mit ihm hatte einen monumental komischen Einschlag. Ich wollte mir den Klassiker Ben Hur im Basler Küchlin ansehen, schliesslich hatte man mir immer vom Wagenrennen und der Seeschlacht erzählt. Worauf ich natürlich nicht mit dem christlich missionarischen Ton der Zeit rechnete und völlig baff den Titelvorspann des Films über mich ergehen liess … da taucht der Stern von Bethlehem auf und die Weisen aus dem Morgenland und überhaupt viel Anfangsgeraune. Und als die Sequenz zu ihrem Ende kommt brummt eine tiefe Bassstimme vom Balkon herunter laut vernehmlich "Amen!" ins Kino hinein. Ich schliesse mich dem Unbekannten Brummer von damals (ca. 1973) an und schicke Charlton Heston unbekannterweise ein ebenso resonantes "Amen!" nach in die ewigen Jagdgründe, wo das Tragen einer Waffe noch unkontrovers und seligmachend sein möge.

Einen ausführlichen Nachruf gibts zum Beispiel in der Süddeutschen, oder in der NYT.

Hollywoods neuer Wohlfühlschrecken

In einem lesenswerten Essay im Umblätterer-Blog macht Andreas Vogel eine kleine tour d’horizon zum aktuellen Hollywood-Kino mit seinen vielen Überraschungen – nach all den Jahren der toten Sequels hat Tinseltown das Spielen mit Formen und Erwartungen wieder entdeckt. Das liest sich nicht nur flüssig, es führt auch schön kompakt vor Augen, dass das amerikanische Kino zur Zeit sehr vital wirkt. Und gleichzeitig hat sich, zumindest bei mir, auch die Ahnung verdichtet, dass das noch nicht wirklich die grosse Erneuerung darstellt. Im Prinzip ist nämlich Hollywood mit diesem sanften gegen den Strich Bürsten gerade mal dort, wo sich die US-Fernsehproduzenten vor etwa fünf Jahren befanden: Im Aufbruch.

(via medienlese.com)

Kniffliges Filmeraten

In diversen Filmblogs grassieren die Filmstöckchen, Ratespiele anhand von Still-Serien. Meistens fliegen die „Stöckchen“ zwischen zwei oder drei Blogs hin- und her. Im besten Fall sieht das von aussen aus wie ein Pingpong-Spiel, im schlimmeren tatsächlich wie Lassie beim Spielen auf der Wiese. Auf der Fotoseite Flickr haben eine paar Enthusiasten jetzt aber einen Pool eingerichtet, wo jeder nach Lust und Laune mitraten kann, ohne zum Komplizen werden zu müssen. Crowdsourcing, einfach und simpel – d.h. hin und wieder nett knifflig auch.

Reflexe: Das verfilmte Musical, ein ewiger Widergänger

Normalerweise verzichte ich im Blog auf Sendungshinweise, weil solche Einträge ja sehr schnell verfallen. Aber die folgende Sendung habe ich als Musical-Fan mit so vielen tönenden Beispielen angereichert, dass wir sie nicht als Podcast zur Verfügung stellen können. Daher also ausnahmsweise ein einfacher Hinweis auf eine einfache Radiosendung (mit immerhin zwei Ausstrahlungszeiten)

Donnerstag, 21. Februar 2008, 11.00-11.30, DRS 2

Zweitausstrahlung: Donnerstag, 22.05 Uhr, DRS 2

Achtung: Wegen der vielen Musikbeispiele KEIN Podcast!

Tim Burtons «Sweeney Todd» nach Stephen Sondheims Broadway-Klassiker ist die jüngste Leinwandadaption eines Bühnenmusicals, nach «Hairspray» oder «Chicago». Das Kinomusical ist offensichtlich nicht totzukriegen, auch wenn die Zeiten von «The Sound of Music» und «My Fair Lady» längst vorbei sind. Michael Sennhauser hört und schaut sich um in der Musical-Leinwand-Geschichte und stellt dabei das aktuelle Grusical «Sweeney Todd» ausführlich vor.

Woody Allens Titel-Font

Woody Allen ist bekannt dafür, dass er seit vielen Jahren mit den gleichen Leuten arbeitet (so lange sie seine tiefen Honorare akzeptieren), und dass er fast immer die gleichen Titel verwendet: Windsor, weiss auf schwarzem Grund. Der Grafiker Cristian-Kit Paul ist in seinem Blog ein wenig dieser Vorliebe auf den Grund gegangen. Unter anderem hat er Allens Filmmografie auf Titelkonsistenz überprüft und eine hübsche Screenshot-Serie zusammengestellt. (via BoingBoing

Walo Lüönd ausführlich

Emil Lehmann mit Walo Lüönd (c) SennhauserDiesmal musste er nicht ruhig am Tisch sitzen (auch wenn er das in seiner Bescheidenheit klaglos getan hätte), diesmal konnte Walo Lüönd ausführlich reden, befragt vom Kollegen Emil Lehmann für das Tagesgespräch (Rendezvous am Mittag auf DRS1 morgen). Der Hausmeister vom Landhaus hat uns die hintere Tür im obersten Stock geöffnet, damit der hier retrospektierte Veteran mit dem Lift bis direkt an den Interviewtisch fahren konnte. Und das Gespräch? Ein wenig harzig am Anfang, wie so oft, und dann herzlich und angenehm und weiter ausholend, als es die Filmkarriere des Walo Lüönd alleine hätte vermuten lassen. Anhören morgen on air, oder danach als Podcast.

Vinzenz Hediger nimmt doch an …

Der Mann hat offenbar eine eigene Art, Entschlüsse zu fassen. Aufgrund der Reaktionen auf die Nachricht, dass er auf die Leitung der Cinémathèque suisse verzichte, die wir heute morgen noch weiterverbreitet haben (siehe unten), habe sich Filmwissenschaftler Vinzenz Hediger heute Nachmittag doch noch zu einem Stellenantritt entschlossen. Irgendwer wird in den nächsten Tagen diesem Mysterium auf den Grunde gehen. Ich nicht. Jedenfalls nicht heut. Ich bin zu müde von der Eröffnung der Solothurner Filmtage … meine Entschlusskraft ist geschwächt. Ich gehe ins Bett.