Cannes 13: JIMMY P. von Arnaud Desplechin

Mathieu Amalric und Benicio del Toro
Mathieu Amalric und Benicio del Toro

‚Psychotherapy of a plains Indian‘ lautet der Untertitel dieser gepflegten Rekonstruktion eines realen Falles aus der Praxis des Pioniers der Ethnopsychoanalyse, Georges Devereux. Und damit ist der Film ein ganz entfernter Verwandter von David Cronenbergs A Dangerous Method.

Allerdings ist die Geschichte des Blackfoot-Indianers Jimmy Picard die eines therapeutischen Erfolges. Und die wirklich spannende Figur ist auch nicht der von Benicio del Toro gespielte Jimmy, sondern viel mehr Georges Devereux, so wie in Mathieu Amalric mit frettchenhafter Fröhlichkeit über die Leinwand wuseln lässt. „Cannes 13: JIMMY P. von Arnaud Desplechin“ weiterlesen

Cannes 13: SOSHITE CHICHI NI NARU – Like Father Like Son – von Hirokazu Kore-Eda

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Was passiert, wenn sich nach sechs Jahren herausstellt, dass der eigene Sohn tatsächlich der Sohn einer anderen Familie ist, dass die Babies seinerzeit im Spital vertauscht worden sind? Kann man die Kinder einfach zurück tauschen, oder sind die sechs Jahre mit einem Kind stärker als die genetische Verwandtschaft?

Mein japanischer Lieblingsregisseur spürt weiter den Familienbanden nach, insbesondere dem Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen, wie schon in Still Walking. Es sei die Geburt seiner eigenen Tochter gewesen, welche seine Frau quasi über Nacht in eine Mutter verwandelt habe, während er selber viel länger gebraucht habe, um sich über seine Vaterschaft klar zu werden, sagt Hirokazu Kor-eda. „Cannes 13: SOSHITE CHICHI NI NARU – Like Father Like Son – von Hirokazu Kore-Eda“ weiterlesen

Cannes 13: THE BLING RING von Sofia Coppola

Emma Watson (Mitte) und ihre Mitstreiterinnen
Emma Watson (Mitte) und ihre Mitstreiterinnen

Wohlstandsverwahrloste Teenager, welche in Beverly Hills die Villen ihrer Idole ausräumen … das hat doch seinen Reiz. Jedenfalls wurden die tatsächlichen Mitglieder des von den Medien so genannten „Bling“-Rings zu Facebook-Berühmtheiten. Ein Grund für Sofia Coppola, ihren Protagonistinnen erfundene Namen zu geben. Sie habe verhindern wollen, so die Regisseurin heute an der Pressekonferenz in Cannes, dass sie mit ihrem Film noch zum zweifelhaften Ruhm der Kids beitrage.

Die Sorge muss sie sich wohl nicht machen, die Jugendlichen dieses Films weisen – mit Ausnahme des Jungen im Bunde – wenig sympathische Züge auf. Es sind oberflächliche, labelversessene egoistische Hühner, und ihr Vokabular macht den Film in seinen ersten zwei Dritteln zur Tortur: Oh My God… amazing… totally. „Cannes 13: THE BLING RING von Sofia Coppola“ weiterlesen

Cannes 13: JEUNE ET JOLIE von François Ozon

Marine Vacth, Titelheldin
Marine Vacth, Titelheldin

Frankreichs Wunderkind François Ozon kommt in die Jahre. Fleissig wie Woody Allen produziert er jährlich einen Film, und jedes mal lässt er eine Familie anders taumeln. Nun ist es vielleicht ein wenig paradox, ausgerechnet Ozon Altmännerphantasien zu unterstellen – aber sein neuer Film lebt zu guten Teilen davon. Im Zentrum steht die etwas scheue, aber experimentierfreudige siebzehnjährige Isabelle, die sich nach ihrer Entjungferung durch einen jungen Deutschen in der Sommerfrische rasch zu einem heimlichen Callgirl mausert, mit eigenem Webauftritt. Sie studiert an der Sorbonne und besucht am Nachmittag Hotelzimmer.

Die erste Einstellung des Films ist der Blick eines Voyeurs durch einen Feldstecher auf Isabelle am Strand. Wie sich herausstellt, steht hinter dem Binokular Isabelles jüngerer Bruder Victor, von François Ozon als eine Art Selbstporträt des Künstlers als Knabe angelegt. Das ist alles mindestens so hübsch inszeniert wie das Gesicht und der Körper der schönen Marine Vacth, mit demonstrativem Gespür für die Sehnsüchte und Nöte einer erwachenden Frau … oder dem, was ich als Mann da allenfalls vermute.

„Cannes 13: JEUNE ET JOLIE von François Ozon“ weiterlesen

Cannes 13: Day Zero

Cannes Beach Buildup

Dienstag vor Festivalbeginn in Cannes. Überall wird aufgebaut, die Stadt sieht aus wie eine Messe kurz vor Eröffnung – aber die Touristen sind schon da, und die meisten der Profis auch.

Zur Vorfreude gesellt sich der Genuss der letzten Sonnenstrahlen, denn vom Mittwoch an soll das Wetter nicht nur nass werden, sondern stürmisch. Das passt zu Baz Luhrmans Neuinterpretation von The Great Gatsby, mit der das Festival eröffnet wird. Aber anders als in den letzten Jahren nimmt man die Sturmwarnungen offenbar ernst. Im Palais des festivals hängt ein Bauausschrieb, der ankündigt, dass das Pavillondörfchen Riviera zwischen Palais und Meer höher gelegt werden soll: Das Meer hat doch ein paar Mal ziemlich gewütet. Und auch die Betreiber der noblen Beach-Restaurants sind vorsichtiger geworden. Wo andere Jahre der Strand vom Tisch direkt in die Bucht abfiel, wurden heuer richtige kleine Dämme aus Sand aufgeschüttet: „Cannes 13: Day Zero“ weiterlesen

BOYS ARE US von Peter Luisi

Deleila Piasko und Joëlle Witschi
Deleila Piasko und Joëlle Witschi

Nie sind die Gefühle stärker und die Abgründe tiefer als während und kurz nach der Pubertät. In Peter Luisis Film Boys Are Us will sich die 16jährige Mia auf Anraten ihrer älteren Schwester an einem zufällig ausgesuchten Jungen für die Verletzungen rächen, die ihr ein anderer beigebracht hat. „BOYS ARE US von Peter Luisi“ weiterlesen

Ray Harryhausen ist tot

Ray Harryhausen, der Meister der Stop-Motion und Pionier der illusionären Animation im Realfilm ist gestorben. Das teilt seine Familie via Twitter und offizielle Facebook-Seite mit. Seine Animationen waren bahnbrechend und was ihnen aus heutiger Sicht an Realismus abgeht, machen sie in der Regel durch Dramaturgie und Charme mehr als wett.

Jacqueline Veuve (1930-2013), Animationsfilmschaffende

Willhelm Tell in 'Swiss Graffiti' von Jacqueline Veuve
Willhelm Tell in ‚Swiss Graffiti‘ von Jacqueline Veuve

von Rolf Bächler

Der unabhängige Schweizer Animationsfilm, beziehungsweise das, was wir heute darunter verstehen, nahm seinen Anfang in den späten 50er- und den 60er-Jahren des 20.Jahrhunderts, um die Zeit, als auch Annecy auf der internationalen Bildfläche erschien. Abgesehen von ein paar Damen in “gemischten Doppeln” – Gisèle Ansorge, Eva Haas, Janine Suba, Nicole Perrin, u.a. – war er jedoch lange Zeit eine rein männliche Angelegenheit. Erst 1975 zeichnete Jacqueline Veuve, die weitherum geachtete, kürzlich verstorbene filmende Ethnografin, als erste Schweizerin für einen unabhängigen (d.h. aus eigenem Antrieb, weder im Auftrag noch an einer Schule produzierten) persönlichen Animationskurzfilm, ohne die Autorenschaft mit einem Mann zu teilen: Swiss Graffiti. „Jacqueline Veuve (1930-2013), Animationsfilmschaffende“ weiterlesen

LE MAGASIN DES SUICIDES von Patrice Leconte

Le magasin des suicides copy frenetic

von Rolf Bächler

Le Magasin des suicides ist der erste Ausflug des renommierten französischen Realfilmregisseurs Patrice Leconte in die Gefilde der Animation. Leconte ist für seine Leichtigkeit im Umgang mit Humor jeder Schattierung bekannt, unabdingbares Erfordernis für das Gelingen einer Adaption von Jean Teulés gleichnamigem Roman. Eine Art verlorener Sohn, hat er ausserdem, bevor er den Sprung zum Film schaffte, für die legendäre Comic-Wochenzeitschrift Pilote gezeichnet, die damals unter der Leitung von René Goscinny („Asterix“, „Lucky Luke“, etc.) stand. Dennoch… „LE MAGASIN DES SUICIDES von Patrice Leconte“ weiterlesen

HIMMELFAHRTSKOMMANDO von Dennis Ledergerber

Walter Andreas Müller in 'Himmefahrtskommando' ©moviebizfilms
Walter Andreas Müller in ‚Himmefahrtskommando‘ ©moviebizfilms

Ein schlechter Film verschlingt, jedenfalls in der Schweiz, wo niemand absichtlich spekulativ und billig dreht, mindestens so viel Energie und Herzblut wie ein guter. Um so stärker schmerzt es dann, wenn das Resultat nicht hält, was sich alle Beteiligten davon versprochen haben.

Das Himmelfahrtskommando von Dennis Ledergerber ist tatsächlich eines. Die zugrundeliegende Novelle des Journalisten Stefan Millius hätte wohl tatsächlich das Zeug zur dürrenmattschen Schweizer Groteske gehabt. Bloss fehlt Ledergerber und Millius offensichtlich die Erfahrung für ein funktionierendes Drehbuch in Spielfilmlänge. „HIMMELFAHRTSKOMMANDO von Dennis Ledergerber“ weiterlesen