Demnächst im Atelier

Philipp Bürge, der Berner Macher des Klebeband-Animationsfilms Neulich im Atelier, hat ein neues Projekt. Der ambitionierte neue Film heisst Flachmann und spielt mit dem Pygmalion-Stoff, der gerade im Animationsbereich auf eine lange und immer wieder unterhaltende Tradition zurückblickt: Das Werk entwickelt ein Eigenleben. Und wenn man die Plotbeschreibung auf der Webseite von Küchentisch Films liest, erinnert das in seiner Doppelbödigkeit sogar irgendwie an The Cabin in the Woods, den cleveren Horrorfilm-Spoof, der kürzlich so ungerecht floppte in den Schweizer Kinos.

Um das Projekt zu finanzieren, testen die Filmemacher – wie zur Zeit viele andere – die Crowdfunding-Plattform wemakeit.ch. Eine gute Gelegenheit, das Ding mal als Spender auszuprobieren. Oder nicht? Viel Zeit bleibt nicht mehr, die Aktion endet am 27. Oktober.

Locarno 12: POLVO von Julio Hernández Cordón

Polvo 2

Die schwersten Themen ergeben nicht immer die besten Filme. Mit diesem Schmerzensstück aus Guatemala finden wir im Wettbewerb von Locarno wieder einmal eine jener berüchtigten Produktionen, die aus entwicklungspolitischen Erwägungen heraus mit Geldern aus Europa zustande kommen (unter anderem von der DEZA). Wogegen nicht grundsätzlich etwas einzuwenden wäre, käme nicht immer gleich der Verdacht auf, das sei auch der Grund dafür, dass sie von einem Festival programmiert werden.

Ist ein Film wirklich gut, sträubt sich niemand gegen Unterstellungen. Aber im Fall von Polvo (Staub) wirkt das im diesjährigen qualitativ hochstehenden Wettbewerb von Olivier Père fast schon wie ein Rückfall in frühere Locarno-Zeiten. Die Suche nach den Überresten der Männer, welche im guatemaltekischen Bürgerkrieg von 1982 verschwanden, bildet den Hintergrund der Geschichte eines jungen Paares, das an einem Dokumentarfilm über eben diese Suche arbeitet.

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Locarno 12: PLAYBACK von Sho Miyake

Playback 2

An Festivals passiert es immer wieder, dass man die gleiche Geschichte von verschiedenen Filmen erzählt bekommt. Vorgestern lief auf der Piazza Grande Noémie Lvovskys Camille redouble, eine charmante französische Variation auf Coppolas Peggy Sue Got Married von 1986. Beide File schicken ihre erwachsene Protagonistin im erwachsenen Körper zurück in ihre späte Jugend. Und nun findet sich im Wettbewerb auch noch eine japanische Variante des Themas.

Miyake erzählt allerdings ungleich komplexer und unzugänglicher. Und in kunstvollem Schwarzweiss, das keinen Zweifel aufkommen lässt, dass hier Kunst gemeint ist und nicht das frivol-nostalgische Vergnügen der oben genannten Beispiele.

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Locarno 12: LEVIATHAN von Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor

Leviathan 1

Leviathan ist ungeheuer. Was für ein Hammer, dieser Dokumentarfilm! Als Hardcore-Fisch-Holocaust könnte man ihn bezeichnen, aber damit käme man unter Umständen in des Teufels Küche (wo sich der Film irgendwie schon befindet). Und wenn ich von dokumentarischem Splatter-Kino rede, dann denkt die Leserin womöglich an Snuff-Filme.

Nichts wäre falscher, denn der Unterhaltung dient dieser Film zu allerletzt. Lassen wir für einmal den Katalog zu Wort kommen:

Exakt in jenen Gewässern, in denen Melvilles Schiff Pequod nach Moby Dick jagte, hält Leviathan die Gemeinschaft und das Aufeinandertreffen von Mensch, Natur und Maschine fest. Mit rund einem Dutzend Kameras – die geworfen, angebunden und zwischen Fischer und Filmemacher übergereicht werden –, entstand so ein kosmisches Porträt über eine der ältesten Herausforderungen der Menschheit.

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Locarno 12: LA FILLE DE NULLE PART von Jean-Claude Brisseau

La fille de nulle part 0

Jean-Claude Brisseau ist mittlerweile so etwas wie ein monstre sacré des franzöischen Films, seine Auseinandersetzungen mit der Erotik haben ihm Lob und Ärger eingebracht. Wenn er jetzt in La fille de nulle part mit über siebzig Jahren unter seiner eigenen Regie einen philosophierenden, cinéphilen ehemaligen Mathematikprofessor spielt, dann darf man das zum Wunschwert als alter ego auslegen. Zumal der Film von einer ironischen Verspieltheit ist, die sich gewaschen hat.

Da sitzt der alte Mann in seiner geräumigen Wohnung in Paris und schreibt an seinem Essay über Mythen und Glaubenssysteme, ein Skeptiker und Agnostiker, und hört Lärm im Treppenhaus. Sein Blick vor die Tür lässt einen Mann flüchten, der eben dabei ist, eine junge Frau brutal zusammenzuschlagen. Der Alte trägt die blutende Frau ins Wohnzimmer und verspricht ihr, weder einen Arzt noch die Polizei zu rufen.

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Locarno 12: SOMEBODY UP THERE LIKES ME von Robert Byington

Somebody Up There Likes Me 4

Lakonie kann etwas Tröstliches haben, die Groteske ringt dem Horror des Alltags ein Lachen ab. Aber bei diesem Film ist die Unbeteiligtheit der Figuren an ihrem eigenen Leben eher erschreckend. Somebody Up There Likes Me könnte sich dieser Max durchaus sagen. Schliesslich fällt ihm, der keine Ahnung hat, was er will, und noch viel weniger, was er nicht will, sozusagen alles in den Schoss. Alterslos hängt er durch sein Leben, eine Ehe mit Sohn und Sex mit dem Kindermädchen, er wird reich durch die Heirat, arm durch die Scheidung und wieder reich durch Zufall und Ahnungslosigkeit.

Und die ganze Zeit über begleitet ihn ein blauer Koffer, den ihm sein Vater hinterlassen hat, mit dem Hinweis, ihn nie zu öffnen. Immer, wenn nichts mehr geht, tut er es trotzdem. Der Inhalt des Koffers wird nie gezeigt, aber ein Licht strahlt aus ihm heraus, und das Glück des Mannes, das genau so gut als Unglück gesehen werden kann, scheint davon beeinflusst.

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Locarno 12: STARLET von Sean Baker

Starlet 1

Hier ist die amerikanische Variante des Films Une Estonienne à Paris – im gleichen Wettbewerb. Die Rolle der verbitterten und zurückgezogenen alten Frau wird statt von Jeanne Moreau hier von Besedka Johnson gespielt, die jüngere Frau, welche mit Hartnäckigkeit ihre Lebenslust wieder weckt, ist die erstaunliche Dree Hemingway (die Nichte von Margaux und Tochter von Mariel und damit Ur-Grosstochter von Ernest Hemingway). Und der Plot ist auch sonst etwas wilder als im französischen Pendant.

Hemingway spielt Jane, eine 21jährige Bimbo-Blondine in Kalifornien, welche mit ihrer dauernd zugekifften Bimbo-Freundin und deren Freund in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Wovon, das stellt sich erst im Verlauf der Geschichte heraus und erhöht die Kontraste, die Emotionen und das dramatische Gefälle um ein Mehrfaches. Zunächst wird Geschichte dadurch angeschoben, dass Jane an einem Yard-Sale der 85jährigen Sadie eine alte Thermoskanne abkauft und zuhause feststellt, dass darin zehntausend Dollar in gerollten Noten versteckt waren. Ihre Versuche, der alten Frau davon zu erzählen, scheitern an ihrem abweisenden Wesen.

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Locarno 12: DER GLANZ DES TAGES von Rainer Frimmel und Tizza Covi

Der Glanz des Tages 1

Was unterscheidet den Schauspieler vom Zirkusmann? Wer ist eher in Gefahr, sich in fremden Bildern zu verlieren? Philipp Hochmair ist ein Theaterstar zwischen Burgtheater und dem Hamburger Thalia, ein vielbeschäftigter Schauspieler. Walter Saabel stammt aus Deutschland, hat aber mit Zirkussen und Wandertruppen halb Europa bereist, ist mit Bärenringkämpfen aufgetreten und als Messerwerfer, und er hatte eine zentrale Rolle in La Pivellina, dem ersten eigentlichen Spielfilm von Tizza Covi und Rainer Frimmel.

Die beiden kommen vom Dokumentarfilm, lassen aber auch gerne die Fiktion auf die Realität los. Und im Fall von Der Glanz des Tages führt das zu einer spannenden Gegenüberstellung von zwei Seiten des Showgeschäftes: Der bürgerliche Schauspieler, auch schon ein Randständiger innerhalb seiner Gesellschaft, trifft auf den fahrenden Artisten, der seine Welt ganz grundsätzlich mit sich führt und selber bestimmt.

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Locarno 12: BERBERIAN SOUND STUDIO von Peter Strickland

Cosimo Fusco und Toby Jones
Cosimo Fusco und Toby Jones

Ein biederer englischer Tontechniker, der sonst vor allem Zuhause tüftelt und Landschaftsdokumentationen vertont, hat einen Job angenommen in einem italienischen Postproduktionsstudio – in den 70er Jahren. Und das Studio ist nicht etwa eines der grossen, sondern eine kleine Klitsche, in welcher Giallos, italienische Horrorfilme, vertont werden.

Der Brite, klein, scheu und im Tweed-Jacket, wird vom unverwechselbaren Toby Jones gespielt und der stolpert linkisch durch die Billigbude, wo ihn schon die Rezeptionistin, ein Lollobrigida-Verschnitt, mit Verachtung erschreckt und wo ihn der Studiobetreiber im Soundraum empfängt wie eine italienische Variante der von Vincent Price gespielten mörderischen Gastgeber.

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Locarno 12: UNE ESTONIENNE A PARIS von Ilmar Raag

Laine Mägi und Jeanne Moreau

Eine Leinwandbegegnung mit Jeanne Moreau ist grundsätzlich ein Erlebnis, auch wenn dieser hübsche kleine Film zunächst bloss eine Variante auf Driving Miss Daisy und Konsorten zu sein scheint. Sie spielt Frida, eine Frau aus Estland, die ihr Leben in Paris verbracht hat, da glücklich und reich und später unglücklich und alt geworden ist. Und die Altenpflegerin aus Estland, welche ihr ihr einstiger jüngerer Geliebter hat kommen lassen: Die braucht sie nun wirklich nicht.

Der schöne Kniff des Films besteht darin, dass er die Geschichte von Anfang an aus der Perspektive von Anne erzählt, die in Estland ihre Mutter pflegte bis diese starb und nun die Chance wahrnimmt, den Jugendtraum von Paris als Hausdame wahrzunehmen. Natürlich geräte sie zwischen die tyrannische, einsame alte Frau und den Mann, der sich zwar um ihr Wohlergehen kümmern, aber sich möglichst wenig mit ihr abgeben möchte.

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