L’ESCALE von Kaveh Bakhtiari

© Filmcoopi
© Filmcoopi

Vor zwei Wochen gewann er den grossen Preis der Solothurner Filmtage für sein humanistisches Engagement. Jetzt ist er im Kino zu sehen, der Dokumentarfilm L’escale des Schweiz-Iraners Kaveh Bakhtiari. Streng subjektiv schildert er den zermürbenden Alltag einer Gruppe in Athen gestrandeter Flüchtlinge.

«L’escale» ist «die Zwischenlandung» oder «Zwischenstation». Aber im Falle der Menschen mit denen Kaveh Bakhtiari rund ein Jahr lang eine enge provisorische Kellerwohnung in Athen geteilt hat, ist diese Zwischenstation schon eher ein Limbo, eine Vorhölle, ein untotes Leben in existentieller Unsicherheit.

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SFT 14: DAWN von Romed Wyder

Joel Basman in 'Dawn' von Romed Wyder © Dschoint Ventschr
Joel Basman in ‚Dawn‘ von Romed Wyder © Dschoint Ventschr

Manche Filme ewischen einen sozusagen kalt. Romed Wyder hat aus dem mittleren Teil von Elie Wiesels ‚Elisha‘-Trilogie ein fliessendes, manchmal statisches, manchmal dramatisches Kammerspiel gemacht. Der junge Holocaust-Überlebende Elischa (Joel Basman) hat sich 1947 dem zionistischen Untergrund in Palästina angeschlossen. Im Kampf gegen die britische Verwaltungsmacht wurde einer der Kämpfer gefangen genommen und soll gehängt werden. Um ihn freizupressen haben die Aktivisten im Gegenzug einen britischen Offizier entführt und drohen nun ihrerseits, diesen zu erschiessen, sollte kein Austausch zustande kommen.

Im Kern ist das eine dramatische Bühnenanlage. Da sind vier Männer und eine Frau während der Ausgangssperre in einem Haus zusammen, im Keller der Gefangene, von dem sie wissen, dass sie ihn wahrscheinlich im Morgengrauen erschiessen müssen.
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SFT 14: TINO – FROZEN ANGEL von Adrian Winkler

Matin 'Tino' Schippert © xenix
Matin ‚Tino‘ Schippert © xenix

Martin ‚Tino‘ Schippert, der legendäre erste Boss der Zürcher Hell’s Angels, ist zweifellos eine faszinierende Figur. Willi Wottreng hat seine Geschichte 2002 im Buch Tino – König des Untergrunds. Die wilden Jahre der Halbstarken und Rocker rekonstruirt. Und jetzt hat der Videojournalist und Filmemacher Adrian Winkler sein über Jahre zusammengetragenes Material zu einem Dokumentarfilm verdichtet. Man erfährt einiges über den zornigen jungen Mann, der erst bei der Schweizer Marine auf dem Rhein anheuerte, ein Töffli klaute und über erste Knasterfahrung schliesslich im Kreise gleichgesinnter Proto-Rocker in Zürich eine Karriere als Berufsrebell machte.

Sein im Film immer wieder beschworenes Charisma führte ihn in Gesprächsrunden mit Friedrich Dürrenmatt und Sergius Golowin, bei den Globus-Krawallen spannten die linken Aktivisten mit den kampferprobten Rockern zusammen, die Hell’s Angels wurden zu einem Medienphänomen, dem sie schliesslich selber erlagen. Und Tino flüchtete vor zunehmender staatlicher Repression schliesslich nach Südamerika, wo er zwischen Flucht, Gefängnis und Dschungel schliesslich unter einem Mangobaum frühzeitig starb. „SFT 14: TINO – FROZEN ANGEL von Adrian Winkler“ weiterlesen

SFT 14: VIELEN DANK FÜR NICHTS von Stefan Hillebrand und Oliver Paulus

Nikki Rappl, Joel Basman, Bastian Wurbs © Praesens-Film
Nikki Rappl, Joel Basman, Bastian Wurbs © Praesens-Film

Rüpel im Rollstuhl, ein überraschend wirkungsvolles Konzept für einen Film. Stefan Hillebrand und Oliver Paulus, seit Jahren mehrheitlich gemeinsam tätig, nehmen den Schongang aus der filmischen Weichspülmaschine raus und setzen darauf, dass ein Film mit Behinderten nur dann nicht herablassend sein kann, wenn den Protagonisten zumindest theoretisch die gleiche Handlungsfreiheit zusteht wie allen anderen Figuren.

Der von Joel Basman gespielte Valentin findet sich nach einem Snowboardunfall querschnittgelähmt im Rollstuhl wieder. Seine Wut darüber lässt er an seiner Umgebung aus, auch und gerade an den anderen Behinderten im Südtiroler Reha-Zentrum. Die allerdings waren wohl allesamt schon an dem Punkt und reagieren mit überraschendem Gleichmut auf das Ekelpaket. Bis Valentin merkt, dass er in den „Spastis“ loyale und humorvolle Verbündete gefunden hat, gegen die Zumutungen des Alltags. „SFT 14: VIELEN DANK FÜR NICHTS von Stefan Hillebrand und Oliver Paulus“ weiterlesen

SFT 14: TRAUMLAND von Petra Volpe

Traumland © Filmcoopi
Traumland © Filmcoopi

Dieser Film ist so etwas wie das Gegenstück zu Men Lareidas Viktoria – A Tale of Greed and Grace, der ebenfalls gestern in Solothurn gezeigt wurde. Er ist aber auch eine Art Antwort auf Christoph Schaubs Happy New Year von 2008. Traumland spielt am Tag von Heiligabend in Zürich und folgt den Schicksalen von einzelnen Menschen und ihren Angehörigen. Vier von ihnen haben im Verlauf des Tages zu tun mit einer jungen Prostituierten aus Bulgarien, und alle verraten sie und sich irgendwann direkt oder indirekt.

Da ist die von Ursina Lardi gespielte Frau eines Kunden von Mia, die erst ihren Mann zur Rede stellt und später bei der jungen Frau in Erfahrung zu bringen sucht, was genau den Mann angezogen haben könnte. Ein anderer Kunde wird von André Jung gepielt. Er lädt Mia aus lauter Einsamkeit gegen Bezahlung zum Essen zu sich nach Hause ein und verleugnet sie dann absolut erbärmlich, als sich wenigstens ein Teil seiner Familie doch noch am Tisch einfindet. „SFT 14: TRAUMLAND von Petra Volpe“ weiterlesen

SFT 14: VIKTORIA – A TALE OF GRACE AND GREED von Men Lareida

Franciska Farkas © HesseGreutert Film AG
Franciska Farkas © HesseGreutert Film AG

Jetzt, da der Zürcher Strassenstrich geschlossen (oder von der Strasse verdrängt) worden ist, taucht er im Film auf. Und ganz ähnllich wie dies in der aktuellen Diskussion um Freierverbote oder Prostitutionsverbote abläuft, scheint es fast unmöglich, sich für eine bestimmte Perspektive zu entscheiden. Men Lareida (von ihm stammt der Dokumentarfilm über den Schweizer Rennfahrer Jo Siffert – Live Fast Die Young) versucht es in seinem Spielfilmdebut mit der Perspektive einer schönen jungen Frau aus den Randquartieren von Budapest, die sich vom Zürcher Strassenstrich das schnelle Geld erhofft.

Viktoria weiss ziemlich genau, worauf sie sich einlässt, als sie nach dem Vorbild zweier protzender Kolleginnen nach Zürich aufbricht, von Zwangsprostitution kann da zunächst mal keine Rede sein. In Zürich gerät sie allerdings schnell in eine Spirale von Druck, Gewalt, Erpressung, Medikamentenmissbrauch und gezielt geschürter Konkurrenz.

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SFT 14: DER GOALIE BIN IG von Sabine Boss

© Ascot-Elite
Kein Neo-Bug, sondern ein echter Käfer © Ascot-Elite

Mit einem schiefernden Geräusch auf der Tonspur fängt es an. Dann kommen die Beine ins Bild, die Stiefel, welche einen Kiesel über die nasse Strasse kicken. Eigentlich habe alles schon viel früher angefangen, stösst die Erzählerstimme dazu. Und dann: Zigarette anzünden, das Gesicht von Marcus Signer wird farbig erleuchtet, ein kurzer Blick in die Kamera, und eine Slide Guitar beginnt zu singen.

Ein traumhafter Anfang für die Verfilmung eines Romans, die eigentlich gar nicht hätte gelingen dürfen. Ein paar Bilder, Sätze, Töne und man ist drin. „SFT 14: DER GOALIE BIN IG von Sabine Boss“ weiterlesen

SFT 14: AKTE GRÜNINGER von Alain Gsponer

Paul Grüninger (Stefan Kurt)
Paul Grüninger (Stefan Kurt) © Disney Schweiz

Akte Grüninger ist für die Solothurner Filmtage ein beinahe idealer Eröffnungsfilm: Es ist eine Spielfilm-Uraufführung von einem Schweizer Regisseur. Kinostart ist gleich im Anschluss an die Filmtage, was bedeutet, dass der Filmverleiher Disney den grössten Teil der Medienarbeit schon geleistet hat. Und der Film wurde ursprünglich von C-Films, SRF und Arte als Fernsehfilm konzipiert – das schliesst eine mögliche Publikumsüberforderung nicht völlig aus, minimiert aber doch das Risiko erheblich.

Vor allem aber ist der „Fall“ Grüninger nur noch pseudobrisant. Ähnlich wie beim 2012 überaus erfolgreichen Film Der Verdingbub geht es auch in Akte Grüninger um ein einst kontroverses Thema, zu dem mittlerweile fast vollständige Einigkeit herrscht: Um Paul Grüninger, den „Oskar Schindler von St. Gallen“. „SFT 14: AKTE GRÜNINGER von Alain Gsponer“ weiterlesen

Zum Tod von Georg Janett

janett

Gestern ist mit 76 Jahren eine der Vaterfiguren des neuen Schweizer Films gestorben. Dies teilte sein Verband, das Schweizer Syndikat Film und Video mit. Dass einer der Filmfachverbände den Tod eines langjährigen Mitglieds noch am gleichen Tag vermeldet, kommt eher selten vor und zeigt deutlich, welchen Stellenwert Janett in der Branche hatte.

Georg Janett war Cutter, Regisseur, Filmemacher, Filmpolitiker, vor allem aber war er aktiv und kommunikativ. Die Liste der Filme, an denen er beteiligt war, ist lang und eindrücklich. Aber in Erinnerung bleibt er den meisten von uns als streitbarer, bisweilen bärbeissiger Verfechter der Idee, Film sei eine soziale Kunst, ein unverzichtbarer Teil unserer politischen Kultur.

Wenn an den Solothurner Filmtagen im Saal oder im Kreuz diskutiert wurde, gehörte eine Wortmeldung von Georg Janett dazu. Und in den letzten Jahren wurde er immer mehr zum Doyen des kämpferischen Geistes, der diese Filmtage seinerzeit hervorgebracht hatte. In einer zunehmend reglementierten, subventionierten und professionalisierten Filmwelt (die er notabene mitgeschaffen hatte), wirkte er immer häufiger wie die mahnende Stimme eines kulturpolitischen Gewissens aus einer Zeit, die heute von der einen Seite gerne romantisiert, von der anderen („Norwegerpulli…“) mit leichtfertigem Spott bedacht wird.

Georg Janett war unbequem. Als junger Redaktor des Branchenheftes Ciné-Bulletin fürchtete ich seine (seltenen) Anrufe zur Richtigstellung gewisser Fakten oder auch Meinungen. Und ich war stolz, als er mich zum ersten Mal an irgendeinem Anlass freundlich ansprach.

Wenn nächsten Donnerstag die 49. Solothurner Filmtage beginnen, wird Georg Janett schmerzlich fehlen.

Hier die offizielle Mittteilung des SSFV:

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