Die Unverpassbaren, Woche 6 – 2025

«The medium is the message»: Angelina Jolie spiegelt Maria Callas © Pathé Films AG

Erst diese fünf Filme sehen, dann alle anderen:

  1. Das Lied der Anderen von Vadim Jendreyko. Eine neugierig überraschende Suche nach Europa, Erinnerung und Versöhnung.
  2. The Brutalist von Brady Corbet. Die USA als Kampfarena der Früheinwanderer gegen die Späteinwanderer. Architektur als Drama.
  3. Maria von Pablo Larraín. Kein Biopic für die Callas, sondern eine Liebeserklärung an den medial reflektierten Mythos der tragischen Diva im Namen des Kinos.
  4. Wir Erben von Simon Baumann. Die privilegierte Schweiz in einem sehr lustigen, sehr treffenden Generationenkonflikt.
  5. Babygirl von Halina Reijn. Unterwerfungsfantasien als «unguilty pleasure» oder: die feministische Appropriation des misogynen Eros. You can take your hat off.

MARIA von Pablo Larraín

Angelina Jolie als Maria Callas © Pathé Films AG

«I still hate Opera – Ich hasse Oper noch immer. Und ich liebe Dich noch immer», erklärt Aristoteles Onassis (Haluk Bilginer), als Maria Callas (Angelina Jolie) ihn 1975 an seinem Sterbebett in in Neuilly-sur-Seine besucht. Beide lächeln dazu, wie es das Drehbuch verlangt. Denn sie kennen auch den entscheidenden Satz von Maria dazu: «My life is opera. There is no reason in opera» – Mein Leben ist Oper. Es gibt keine Vernunft in der Oper. „MARIA von Pablo Larraín“ weiterlesen

THE BRUTALIST von Brady Corbet

Adrien Brody, Guy Pearce © Universal

Für einen Film mit einem komplett erfundenen Protagonisten fühlt sich The Brutalist oft schmerzlich dokumentarisch an. Das hat einen monumental grossartigen Zug.

Adrien Brody spielt den ungarischen Juden László Tóth. Der einstige Bauhaus-Student und modernistische Stararchitekt aus Budapest hat das KZ Buchenwald überlebt. Als der Film einsetzt, 1947, kommt er mit dem Schiff in New York an, einer von Tausenden, die versuchen, den Horror der Verfolgung und Entwurzelung hinter sich zu lassen. In einem Land, das nicht auf sie gewartet hat, den Neuankömmlinge Misstrauen und offene Ablehnung entgegen bringt. „THE BRUTALIST von Brady Corbet“ weiterlesen

Die Unverpassbaren, Woche 5 – 2025

Nicole Kidman im Kino, in ‚Babygirl‘ © Praesens

Erst diese fünf Filme sehen, dann alle anderen:

  1. Wir Erben von Simon Baumann. Die privilegierte Schweiz in einem sehr lustigen, sehr treffenden Generationenkonflikt.
  2. Babygirl von Halina Reijn. Unterwerfungsfantasien als «unguilty pleasure» oder: die feministische Appropriation des misogynen Eros. You can take your hat off.
  3. Le comte de Monte-Cristo von Matthieu Delaporte & Alexandre de la Patellière. Der klassische Stoff, spektakulär aufgepompt mit den Mitteln des modernen Kinos. Dieser Graf ist Batman.
  4. L’histoire de Souleymane von Boris Lojkine. Ein guineischer Velokurier in Paris zwischen Ausbeutung und Abschiebung. Temporeich, gefasst, präzise.
  5. Juror #2 von Clint Eastwood. Keine Einstellung und kein Satz zu viel in diesem Gerichtsdramakrimi vom dienstältesten Haudegen Hollywoods.

WIR ERBEN von Simon Baumann

Stephanie und Ruedi Baumann © filmcoopi

Nach zwei Dritteln dieses Dokumentarfilmes fällt dieser hinreissende Halbsatz, der uns, unser Land, die Schweiz, in perfekter Offenheit erfasst:

«Die angeri Mehrheit…»

Die «andere Mehrheit», also jene Hälfte der Beteiligten, deren Meinung knapp unterlegen ist, deren Stimmen ein winziges bisschen weniger zum Tragen gekommen ist. In dieser anderen Mehrheit findet sich in unserer Demokratie immer wieder (fast) die Hälfte der sogenannten «Stimmbevölkerung». „WIR ERBEN von Simon Baumann“ weiterlesen

BABYGIRL von Halina Reijn

«Got Milk?» – Nicole Kidman © Praesens

Kinky Sex steht allen zu, so lange alle Beteiligten damit einverstanden sind. Und das müsste eigentlich auch für kinky Kino gelten. Das ist aber nicht so, nicht zuletzt darum, weil Exploitation Cinema vom Voyeurismus lebt und seine kinky Kicks darauf beruhen, heimlichen Voyeurismus zu bedienen.

Und doch ist es wohltuend, die übersteigerte Begeisterung (und Ablehnung) zu erleben, die sich vor allem in den USA über Nicole Kidmans Frauenermächtigungsausflug in den selbstbestimmten Masochismus einer sexuellen Beziehung mit doppeltem Machtgefälle ergeben hat. „BABYGIRL von Halina Reijn“ weiterlesen

LE PROCÈS DU CHIEN von Lætitia Dosch

Lætitia Dosch und Kodi le chien © Pathé Films AG

Als Schauspielerin ist Lætitia Dosch eine Naturgewalt und schon lange auf der Leinwand. Ihre erste sichtbare Rolle war klein, als Schwester einer der Hauptfiguren in Frédéric Mermouds Complices von 2009. Da war Dosch schon 29 Jahre alt. Aber seither hat sie unaufhaltsam gespielt, in 46 Filmen bis heute, und seit Léonore Serailles Jeune femme von 2019 ist sie ein etablierter Teil des französischsprachigen Kinos.

Sie spielte sehr unterschiedliche Rollen von scheu bis exaltiert. Aber als Persönlichkeit, wie sie etwa in Interviews oder bei öffentlichen Auftritten zu erleben ist, ist sie ein fröhliches, offenes Energiebündel und damit sehr nahe an der Rolle, die sie sich für ihren erste eigene Regiearbeit selbst auf den Leib und die Seele geschrieben hat. „LE PROCÈS DU CHIEN von Lætitia Dosch“ weiterlesen

WHEN WE WERE SISTERS von Lisa Brühlmann

Carlos Leal, Malou Mösli, Paula Rapaport © filmcoopi

«Versprichst Du mir, dass Du mir das nicht wieder versaust?»

Das fragt Mutter Monica (Lisa Brühlmann) ihre fünfzehnjährige Tochter Valeska (Paula Rapaport), bevor sich die beiden auf den Weg machen, um mit Monicas neuem Freund und dessen Tochter Lena (Malou Mösli) nach Griechenland in die Ferien zu fahren.

In diesem einzigen verzweifelten Appell steckt das ganze Drama dieses Films, offen auf den Tisch gelegt, in den ersten Minuten. „WHEN WE WERE SISTERS von Lisa Brühlmann“ weiterlesen

BISCUIT TIN BLUES von Jack Rath

Jack Rath und Michael Ferguson in ‚Biscuit Tin Blues‘

Manchmal gibt es nichts Schöneres, als sich in den bittersüssen Erinnerungen von jemand anderem wiederzufinden. Dieses unwahrscheinlich zu Herzen gehende, semi-stationäre Berliner Roadmovie weiss nicht nur, was Sehnsucht sein sollte. Es versteht sich auch darauf, damit lakonisch zu zündeln.

Kell (gespielt von Regisseur Jack Rath) ist ein alternder Rockmusiker aus Australien, der in Berlin hängen geblieben ist. Zu Beginn des Films treffen wir ihn unter einem Mischpult in seinem Tonstudio, das ihm nicht mehr gehört, weil es, wie so vieles in Berlin, Pleite gegangen ist. „BISCUIT TIN BLUES von Jack Rath“ weiterlesen

BILDER IM KOPF von Eleonora Camizzi

© am Limit GmbH

Ist es «paranoide Schizophrenie»? Vincenzo Camizzi, genannt «Vinci», erklärt seiner Tochter, er habe eine Diagnose. Das heisst: Er hat eine bekommen, vor vielen Jahren. Mit dem Label, den Wörtern, war und ist er nicht einverstanden.

Viel später in diesem schlichten, hinreissenden Dokumentarfilm wird er einmal erklären, was abgeht, wenn die Bilder im Kopf seine Wahrnehmung bestimmen. Da seien fünf Typen lautstark am Streiten miteinander. Alle seien Diktatoren. Und alle sähen sie aus wie er. „BILDER IM KOPF von Eleonora Camizzi“ weiterlesen