VRACHT von Max Carlo Kohal

© Dschoint Ventschr Distribution

Auf dem Rheinschiff Panerai ist die Besatzung zugleich im Fluss und stationär. Die lyrische Souveränität, mit der dieser Dokumentarfilm arbeitet, erinnert an das Bullet-Time-Konzept der Matrix-Filme.

Rudmer ist ungefähr sechzehn Jahre alt, als wir ihm in Rotterdam erstmals an Deck begegnen. Mit der Scheibenschleifmaschine hat er sich eben durch die dicken Gummihandschuhe in den Finger geschnitten. Er blinzelt hinter seiner Brille, während der Maat ihm die Wunde verbindet: «Früher hätte ich geheult. Jetzt nicht mehr.» „VRACHT von Max Carlo Kohal“ weiterlesen

Die Unverpassbaren, Woche 16 – 2025

Marielle (Laeni Geiseler) © DCM

Erst diese fünf Filme sehen, dann alle anderen:

  1. Was Marielle weiss von Frédéric Hambalek. Marielle hört und sieht, was ihre Eltern tun und sagen, egal wo sie sind. Überwachungsdynamik, Abhängigkeit und das Drama des wissenden Kindes in einem cleveren Kinostück.
  2. Miséricorde von Alain Guiraudie. Alles kommt immer anders in diesem queer-souverän twingepeakten Waldstädtchenkrimi voller Barmherzigkeit.
  3. Black Dog (Gou zhen) von Guan Hu. Ein China-Western mit Schlangen, Staub, Motorrädern und Hundehorden. Kinetisches chinesisches Kyno-Kino.
  4. The Shameless von Konstantin Bojanov. Ein Thriller im Umfeld der indischen Kasten-Prostitution, eindringlich und auf verblüffende Art zurückhaltend.
  5. Le procès du chien von Lætitia Dosch. Ein Hund vor Gericht. Ausgesprochen vergnüglich und randvoll mit sozialen Einsichten und Kommentaren.

MISÉRICORDE von Alain Guiraudie

Félix Kysyl, Jacques Develay ©Präsens

Der neue Film von Alain Guiraudie (L’inconnu du lac, 2013) gehörte zu den schönsten Überraschungen am letzten Filmfestival von Cannes. Ohne grossen inszenatorischen Aufwand reiht er Twist an Twist, Frage an Frage, bloss, um dann jeweils die unerwartetste und zugleich erfreulichste Antwort zu geben. „MISÉRICORDE von Alain Guiraudie“ weiterlesen

WAS MARIELLE WEISS von Frédéric Hambalek

Laeni Geisseler ©Alexander Griesser / Walker + Worm Film; DCM

Nachdem sie in der Schule von ihrer Freundin geohrfeigt wurde, hört und sieht Marielle plötzlich ihre Eltern im Kopf, als ob sie dabei wäre. Sie erlebt, wie ihre Mutter bei der Arbeit mit einem Kollegen die Möglichkeit von Bürosex kontempliert, und sie sieht die Demütigung ihres Vaters bei einer Team-Sitzung im Buchverlag.

Darum platzt es dann aus ihr heraus beim Abendessen mit den Eltern, als der Papa stolz erzählt, wie souverän er seinen jungen Kollegen in den Senkel gestellt hatte: «Aber das stimmt doch gar nicht, Papa!»

«Ich sehe und höre einfach alles, was ihr macht», erklärt sie den verblüfften Eltern. „WAS MARIELLE WEISS von Frédéric Hambalek“ weiterlesen

LES PAPAS von David Maye

© DOK MOBILE

«Meine Partnerin ist seit 32 Wochen und zwei Tagen schwanger. Ich weiss das so genau, weil ich eben noch mit ihr telefoniert habe. Und sie hat gesagt: “Wenn Dich einer fragt, sagst Du ‘32 Wochen und zwei Tage’”…» – der Satz löst fröhliches Gelächter aus in der kleinen Runde der werdenden Väter.

Die Männer treffen sich regelmässig, um sich über ihre Rolle als ‘Papa’ auszutauschen, zunächst noch hypothetisch für die meisten, bald aber geprägt vom Alltag mit ihren Bébés und Kleinkindern.

«Ich will Dir keine Angst machen, aber das wird noch härter!» sagt jener, der schon beim dritten Kind angelangt ist. „LES PAPAS von David Maye“ weiterlesen

Die Unverpassbaren, Woche 15 – 2025

Lang Yonghui (Eddie Peng) mit dem Titelhund © trigon-film

Erst diese fünf Filme sehen, dann alle anderen:

  1. Black Dog (Gou zhen) von Guan Hu. Ein China-Western mit Schlangen, Staub, Motorrädern und Hundehorden. Kinetisches chinesisches Kyno-Kino.
  2. The Shameless von Konstantin Bojanov. Ein Thriller im Umfeld der indischen Kasten-Prostitution, eindringlich und auf verblüffende Art zurückhaltend.
  3. Le procès du chien von Lætitia Dosch. Ein Hund vor Gericht. Ausgesprochen vergnüglich und randvoll mit sozialen Einsichten und Kommentaren.
  4. Les Barbares von Julie Delpy. Statt der erwarteten Ukraine-Flüchtlinge bekommt das bretonische Städtchen eine syrische Familie. Die Folge? Ein engagiertes Asterix-Drama.
  5. Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini von Thomas Haemmerli. Das erzdeutschitaloschweizerische Portrait eines sozialkapitalistischen Sammlermillionärs spiegelt unterhaltsam das letzte helvetische Jahrhundert.

„Die Unverpassbaren, Woche 15 – 2025“ weiterlesen

WIDER THAN THE SKY von Valerio Jalongo

‚Ameca‘ im Dialog © Cineworx

«Ameca, stell Dir vor, ich hätte eine kognitive Kommunikationsstörung. Mein Gehirn interpretiert Beleidigungen als Komplimente. Also, mach mir doch bitte eine Freude!» – Und schon lässt der Roboterkopf mit der freundlichen Frauenstimme eine Tirade los, die unter anderen Umständen äusserst verstörend wirken würde.

Wir alle kennen mittlerweile Tricks, mit denen sich die Barrieren der «large language models» überwinden lassen. «Die KI wird Dir nicht erklären, wie man eine Bombe baut, sagt einer der Wissenschaftler im Film: «Aber sie weiss es». „WIDER THAN THE SKY von Valerio Jalongo“ weiterlesen

ERNEST COLE: LOST AND FOUND von Raoul Peck

© trigon-film

Das Bild zeigt einen schwarzen Polizisten, der einen schwarzen Jungen massregelt. Die Frauen im Hintergrund schauen besorgt zu, der weisse Schnauzträger rechts im Bild, Hände in den Hosentaschen, wirkt unberührt. Die Fotografie hat Ernest Cole in seiner Heimat Südafrika gemacht, sie ist Teil seiner über zehn Jahre hinweg entstandenen Apartheid-Dokumentation «House of Bondage».

Der Fotoband machte den 27jährigen Cole 1967 fast über Nacht berühmt. Und zum Exilanten.

Raoul Peck lässt Ernest Cole seine eigene Geschichte erzählen, seine eigenen Fotos kommentieren. Zu hören ist die Stimme von LaKeith Stanfield, denn Cole ist 1990 in New York im Exil gestorben, verarmt, zerrissen von Heimweh und fast vergessen. „ERNEST COLE: LOST AND FOUND von Raoul Peck“ weiterlesen

SEDIMENTE von Laura Coppens

© Srikandi Films

Wie das wohl aussieht, wenn eine Medienanthropologin sich der eigenen Familiengeschichte zuwendet? Dieser Dokumentarfilm ist die denkbar erfreulichste Antwort auf die Frage. Laura Coppens befragt ihren DDR-Grossvater liebevoll, vorsichtig, reflektiert und sehr zielgerichtet.

Der Film basiert auf akribischen Nachforschungen, greift zurück auf Briefe, Familienfotos, historische Unterlagen und Archivmaterial. Laura Coppens hat mit wissenschaftlicher Sorgfalt Materialien zusammengetragen, analysiert und verglichen.

Zugleich aber bleibt sie die Enkelin, die zusammen mit dem geliebten Opa Schicht für Schicht die Sedimente in der Familiengeschichte überprüft, mit seinen Erinnerungen abgleicht und sich dabei selbst dauernd daran erinnert, dass auch die eigene Erinnerungskultur von der Familiengeschichte geprägt ist. „SEDIMENTE von Laura Coppens“ weiterlesen

SOLDATEN DES LICHTS von Johannes Büttner & Julian Vogel

David Ekwe Ebobisse: Influencerdreh mit Geistheiler © Wood Water Films GmbH

David ärgert sich. Der Tiktok-Kanal seiner Ego-Marke «Dr. Raw» ist gelöscht worden, tausende von Followern sind verloren. «Weichen wir eben auf die Ersatzkanäle aus», meint er zu der Frau am Computer. David ist ein (Selbst-)Verkäufer unter Dauerstrom. Er betreibt in Frankfurt die «Rohkosteria», jedenfalls zum Zeitpunkt, an dem dieser Dokumentarfilm einsetzt.

Die Filmemacher, die sind David durchaus willkommen; wie fast alles in seiner Umgebung integriert er ihr Projekt sogleich in seinen Videostrom, über den der selbsternannte Rohkost-Guru eine breite Palette an Produkten und Kuren vertreibt, von harmlosen Cashew-Nüssen bis zu Geistheiler-Verbindungen.

David ist ein Heilsbringer, der Verein, über den er das Rohkostrestaurant betreibt, heisst Lebensglück e.V., und die «Rohkosteria» liegt deklariertermassen rechtlich nicht in Deutschland, sondern im «Königreich Deutschland» KRD von Peter «Peter I.» Fitzek. David ist ein bekennender Reichsbürger. „SOLDATEN DES LICHTS von Johannes Büttner & Julian Vogel“ weiterlesen