Locarno 12: UNE ESTONIENNE A PARIS von Ilmar Raag

Laine Mägi und Jeanne Moreau

Eine Leinwandbegegnung mit Jeanne Moreau ist grundsätzlich ein Erlebnis, auch wenn dieser hübsche kleine Film zunächst bloss eine Variante auf Driving Miss Daisy und Konsorten zu sein scheint. Sie spielt Frida, eine Frau aus Estland, die ihr Leben in Paris verbracht hat, da glücklich und reich und später unglücklich und alt geworden ist. Und die Altenpflegerin aus Estland, welche ihr ihr einstiger jüngerer Geliebter hat kommen lassen: Die braucht sie nun wirklich nicht.

Der schöne Kniff des Films besteht darin, dass er die Geschichte von Anfang an aus der Perspektive von Anne erzählt, die in Estland ihre Mutter pflegte bis diese starb und nun die Chance wahrnimmt, den Jugendtraum von Paris als Hausdame wahrzunehmen. Natürlich geräte sie zwischen die tyrannische, einsame alte Frau und den Mann, der sich zwar um ihr Wohlergehen kümmern, aber sich möglichst wenig mit ihr abgeben möchte.

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Locarno 12: LORE von Kate Shortland

Sakia Rosendahl in 'Lore' ©look now
Sakia Rosendahl in ‚Lore‘ ©look now

Lore ist eingängig, plakativ, überzeugend und direkt. Es ist die Geschichte eines Kindes, das nicht nur schlagartig erwachsen werden muss, sondern gleichzeitig das Glaubenssystem verliert, das seine Welt zusammengehalten hat. Lore ist die älteste Tochter einer Nazi-Familie. Bei Kriegsende werden die Eltern verhaftet und Lore muss versuchen, sich mit ihren vier jüngeren Geschwistern, eines davon noch ein Baby, quer durch das sektorisierte und in Auflösung begriffene Deutschland nach Husum durchzuschlagen, zur Grossmutter. Und auf dem Weg wird ausgerechnet ein jüdischer Junge zum Begleiter und Beschützer der Kinder. Ein Untermensch, ein Feind, ein Unberührbarer – der auf Lore aber zunehmend faszinierend und anziehend wirkt

Das Entnazifizierungsstück gehört seit ein paar Jahren fix zu Locarno. 2009 war es Unter Bauern, letztes Jahr Achim von Börries‘ Vier Tage im Mai. Aber die deutschen Bemühungen bleiben weit abgeschlagen zurück hinter dem, was die Australierin Cate Shortland dieses Jahr auf Deutsch und mit deutschen Schauspielerinnen zeigt. Lore ist ein Drama, das radikal die Seite wechselt. Es zeigt nicht das Leiden der Juden, es sucht nicht die guten Deutschen. Lore zeigt, was es heissen kann, wenn ein Glaubenssystem zerfällt, was es heisst, den Herrenrassenanspruch aufgeben zu müssen und zu erkennen, woran man selber Schuld trägt.

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Filmpodcast Nr. 297: Filmfestival Locarno

Die diesjährige Locarno-Crew: Eric Facon, Samuel Wyss, Michael Sennhauser, Brigitte Häring, Christian Gebhard.
Die diesjährige Locarno-Crew: Eric Facon, Samuel Wyss, Michael Sennhauser, Brigitte Häring, Christian Gebhard ©C. Flaviano

Heute kommt die Filmrolle «live» aus Locarno. Es ist die Auftaktsendung zu unserer werktäglichen Festivalrunde, mit einem Auftritt von Festivaldirektor Olivier Père, einem Otto-Preminger-Spezialisten zur Retrospektive, einem Eröffnungsrück- und dem generellen Ausblick.

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Locarno 12: JACK AND DIANE von Bradley Rust-Grey

Jack and Diane 1

Jack and Diane ist ein Song von John Cougar Mellencamp und als Filmtitel absichtlich irreführend. Denn das Liebespaar des Songs (der nicht vorkommt im Film, dafür ist die „Only you“-Version der Flying Pickets zentral) ist noch keines hier, Diane ist ein sehr junges blondes Zwillingsmädchen. Und Jack ist ein nicht viel älteres, burschikoses Mädchen, eine butch lesbian. Es geht um die Schrecken und Verwirrungen der ersten grossen Liebe und Leidenschaft und dafür findet der Film Bilder, die überraschen – wenn man nicht gerade ein Liebhaber des Genrekinos ist. Denn schon die ersten Einstellungen zeigen Blut und suggerieren ein haariges Monster, welches in der einen oder der anderen jungen Frau lauert.

Mich hat das an den Wermädchen-Film Ginger Snaps erinnert, auch wenn jener ganz klar Genrekino ist und Jack and Diane eine ziemlich feinfühlige coming of age-Geschichte mit ein paar groben Effekten.

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Locarno 12: LOS MEJORES TEMAS von Nicolás Pereda

los mejores temas 1

Ein filmisches Verwirrspiel aus Mexiko, ein lustvolles Geplänkel zu einem nicht ganze einfachen Thema. Es geht um einen Vater, der nach 15 Jahren Abwesenheit plötzlich wieder auftaucht und seinen nun 28jährigen Sohn und dessen Mutter in Verlegenheit stürzt. Schmeissen wir ihn gleich wieder raus oder hören wir uns erst seine Geschichte an?

Aber bis man als Zuschauer erst mal verstanden hat, wer da wer ist und worum sich die Dinge und Worte drehen, steht eine ganze Reihe hübscher Spiele an. Zunächst ist da die lange Reihe von Liebesbeteuerungen, welche der Sohn vor sich hin spricht, immer wieder, ein wenig stockend, mal bei der Mutter, mal bei der hübschen jungen Frau, welche sich als seine Schwester entpuppt. Es sind die Titel von Schlagern, eben den „mejores temas“, den besten Songs, welche er auf einer MP3-CD zusammengestellt verkauft, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

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Locarno 12: DRS2 und DRS4 News wieder werktäglich live

Wir gehen wieder auf Sendung von der Piazza Grande aus. Jeden Werktag ab 2. August bringen wir Gäste, Meinungen und Töne an den runden Tisch unter dem Magnolia-Zeltdach. Nach den Elf-Uhr-Nachrichten live auf DRS4News, High Noon, nach 12 Uhr, dann bei DRS2. Das Team besteht aus Brigitte Häring, Eric Facon, Michael Sennhauser, Samuel Wyss und abwechselnd Christian Gebhard oder Tom Hägler. Die beiden haben auch schon den SRF online-Auftritt zusammengestellt, der die Sendungen dieses Mal nicht bloss ergänzt, sondern integriert und komplimentiert. Über einen Storify-Kanal laufen diverse Vektoren zusammen, unter anderem auch mein Blog hier, sowie einzelne Twitter-Timelines und ausgesuchte Medienkanäle. Und im Prinzip sollte da dann auch der Link zum täglichen Podcast stehen. Und wer gerne live dabei sein möchte: Locarno, Piazza Grande, werktäglich um 11 Uhr vom Open Air Studio unter dem Pavillonzelt vor der Hauptpost, gerade bei der grossen Leinwand. Es gibt die eine oder andere Filmgrösse zu sehen und zu hören und Begeisterungsschreie gehen live in die Deutschschweiz!

Apichatpong Weerasethakul Jurypräsident in Locarno

Bitte alle schon mal die Aussprache üben. Es ist nicht so schwer, wenn man den Namen auf Silben herunterbricht: Apichatpong Weerasethakul, der ureigene Dschungelfilmer, war schon am Dokumentarfilmfestival in Nyon, bevor er in Cannes endgültig zum Weltstar wurde. Jetzt kommt er als Jurypräsident im August ans Filmfestival Locarno. Das ist doch mal was! Seltsam, dass ich das via Screen Daily erfahre und nicht von der Pressestelle Locarno.

Nachtrag 16.45 Uhr : Locarnos Medienmitteilung ging um 12.50 Uhr raus. Die haben bloss meine Radiomail nicht mehr auf der Liste…