Locarno 09: ‚Unter Bauern‘ von Ludi Boeken

Veronica Ferres Martin Horn in: Unter Bauern

Die heute 95jährige Marga Spiegel ist eine Jüdin, die in Westfalen die Nazizeit überlebt hat. 1965 hat sie unter dem Titel „Retter in der Nacht“ ihre Überlebensgeschichte veröffentlicht, und das Buch wurde zunächst ziemlich kontrovers aufgenommen. Denn noch erschien die Suche nach den „guten Deutschen“, welche keine Nazis waren, oder gar aktiv den Verfolgten geholfen hatten, vielen pauschal als weiterer Versuch, die deutsche Vergangenheit zu verharmlosen. Nachdem aber Steven Spielberg mit Schindler’s List sozusagen „von aussen“ die Suche eröffnet hatte, wurde das Thema auch im deutschen Film salonfähig. Hitler als zerbrechlicher Mensch in Der Untergang war ein weiterer Schritt für das deutsche Kino, sich vom pauschalen Mea Culpa zu lösen. Und jetzt eben Unter Bauern. Denn das ist der Titel der Verfilmung von „Retter in der Nacht“, mit Veronica Ferres in der Rolle der Marga Spiegel. Heute Abend hatte der Film von Ludi Boeken am Filmfestival von Locarno seine Premiere.

Man kann trefflich streiten über den Film, und es ist auch schon heftig gestritten worden in Locarno. Ist das nun die Verniedlichung der Geschichte, diese mit attraktiven Schauspielerinnen bevölkerte Überlebensgeschichte deutscher Juden unter deutschen Bauern? Oder ist es realistisch, wenn nur ein paar überzeugte Nazi das Dorf bevölkern und der Rest der Bauern katholisch bleibt? Ist es glaubwürdig, wenn Anni, die Tochter des grossherzigen Bauern Aschoff vom überzeugten BdM-Mädel zur Nazihasserin wird, in bloss zwei oder drei Stunden? Reicht es, wenn sie am Ende, nach Einmarsch der Amerikaner, dann trotzdem dem einst geliebten Jungscharführer um den Hals fällt, bevor der dann auch noch wörtlich zum Bauernopfer wird, und bei der Verteidigung seines Vaters von fanatischen Endkriegern erschossen wird – weil der Vater die weisse Fahne gehisst hat?

Lia Hoensbroech Luisa Mix Veronica Ferres Unter Bauern

Nicht nur der Titel „Unter Bauern“ gemahnt leicht an Karl May, auch die dörflichen Figuren sind nicht alle gleich tief gezeichnet. Aber das sollte man einem solchen Film auch nicht allzu übel nehmen. Letztlich ist das weder ein filmischer Durchbruch in einem schon lange ins Stocken geratenen Diskurs über Schuld und Unschuld, noch wirklich ein rosaroter Versuch der Geschichtsklitterung. Sondern eine nicht immer ganz auf der Höhe filmischer Dramatik erzählte Geschichte, die sich so oder ähnlich als Einzelfall abgespielt hat. Wenn dann der Abspann doch noch leicht bemüht darauf hinweist, dass von Millionen von Deutschen gerade mal ein paar Hundert sich verbrieft um die Rettung verfolgter Menschen verdient gemacht haben, dann wirkt das trotz allem wie ein verlegen nachgeschobenes „Ja, aber…“ Dabei schafft der Film in seinen guten Momenten sehr erfolgreich die Vermittlung des Gefühls der absoluten Angst und Verunsicherung einer vormals funktionierenden ländlichen Gesellschaft.

Pardofell

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