LES PAPAS von David Maye

© DOK MOBILE

«Meine Partnerin ist seit 32 Wochen und zwei Tagen schwanger. Ich weiss das so genau, weil ich eben noch mit ihr telefoniert habe. Und sie hat gesagt: “Wenn Dich einer fragt, sagst Du ‘32 Wochen und zwei Tage’”…» – der Satz löst fröhliches Gelächter aus in der kleinen Runde der werdenden Väter.

Die Männer treffen sich regelmässig, um sich über ihre Rolle als ‘Papa’ auszutauschen, zunächst noch hypothetisch für die meisten, bald aber geprägt vom Alltag mit ihren Bébés und Kleinkindern.

«Ich will Dir keine Angst machen, aber das wird noch härter!» sagt jener, der schon beim dritten Kind angelangt ist. „LES PAPAS von David Maye“ weiterlesen

WIDER THAN THE SKY von Valerio Jalongo

‚Ameca‘ im Dialog © Cineworx

«Ameca, stell Dir vor, ich hätte eine kognitive Kommunikationsstörung. Mein Gehirn interpretiert Beleidigungen als Komplimente. Also, mach mir doch bitte eine Freude!» – Und schon lässt der Roboterkopf mit der freundlichen Frauenstimme eine Tirade los, die unter anderen Umständen äusserst verstörend wirken würde.

Wir alle kennen mittlerweile Tricks, mit denen sich die Barrieren der «large language models» überwinden lassen. «Die KI wird Dir nicht erklären, wie man eine Bombe baut, sagt einer der Wissenschaftler im Film: «Aber sie weiss es». „WIDER THAN THE SKY von Valerio Jalongo“ weiterlesen

ERNEST COLE: LOST AND FOUND von Raoul Peck

© trigon-film

Das Bild zeigt einen schwarzen Polizisten, der einen schwarzen Jungen massregelt. Die Frauen im Hintergrund schauen besorgt zu, der weisse Schnauzträger rechts im Bild, Hände in den Hosentaschen, wirkt unberührt. Die Fotografie hat Ernest Cole in seiner Heimat Südafrika gemacht, sie ist Teil seiner über zehn Jahre hinweg entstandenen Apartheid-Dokumentation «House of Bondage».

Der Fotoband machte den 27jährigen Cole 1967 fast über Nacht berühmt. Und zum Exilanten.

Raoul Peck lässt Ernest Cole seine eigene Geschichte erzählen, seine eigenen Fotos kommentieren. Zu hören ist die Stimme von LaKeith Stanfield, denn Cole ist 1990 in New York im Exil gestorben, verarmt, zerrissen von Heimweh und fast vergessen. „ERNEST COLE: LOST AND FOUND von Raoul Peck“ weiterlesen

SEDIMENTE von Laura Coppens

© Srikandi Films

Wie das wohl aussieht, wenn eine Medienanthropologin sich der eigenen Familiengeschichte zuwendet? Dieser Dokumentarfilm ist die denkbar erfreulichste Antwort auf die Frage. Laura Coppens befragt ihren DDR-Grossvater liebevoll, vorsichtig, reflektiert und sehr zielgerichtet.

Der Film basiert auf akribischen Nachforschungen, greift zurück auf Briefe, Familienfotos, historische Unterlagen und Archivmaterial. Laura Coppens hat mit wissenschaftlicher Sorgfalt Materialien zusammengetragen, analysiert und verglichen.

Zugleich aber bleibt sie die Enkelin, die zusammen mit dem geliebten Opa Schicht für Schicht die Sedimente in der Familiengeschichte überprüft, mit seinen Erinnerungen abgleicht und sich dabei selbst dauernd daran erinnert, dass auch die eigene Erinnerungskultur von der Familiengeschichte geprägt ist. „SEDIMENTE von Laura Coppens“ weiterlesen

SOLDATEN DES LICHTS von Johannes Büttner & Julian Vogel

David Ekwe Ebobisse: Influencerdreh mit Geistheiler © Wood Water Films GmbH

David ärgert sich. Der Tiktok-Kanal seiner Ego-Marke «Dr. Raw» ist gelöscht worden, tausende von Followern sind verloren. «Weichen wir eben auf die Ersatzkanäle aus», meint er zu der Frau am Computer. David ist ein (Selbst-)Verkäufer unter Dauerstrom. Er betreibt in Frankfurt die «Rohkosteria», jedenfalls zum Zeitpunkt, an dem dieser Dokumentarfilm einsetzt.

Die Filmemacher, die sind David durchaus willkommen; wie fast alles in seiner Umgebung integriert er ihr Projekt sogleich in seinen Videostrom, über den der selbsternannte Rohkost-Guru eine breite Palette an Produkten und Kuren vertreibt, von harmlosen Cashew-Nüssen bis zu Geistheiler-Verbindungen.

David ist ein Heilsbringer, der Verein, über den er das Rohkostrestaurant betreibt, heisst Lebensglück e.V., und die «Rohkosteria» liegt deklariertermassen rechtlich nicht in Deutschland, sondern im «Königreich Deutschland» KRD von Peter «Peter I.» Fitzek. David ist ein bekennender Reichsbürger. „SOLDATEN DES LICHTS von Johannes Büttner & Julian Vogel“ weiterlesen

SHIFTING BASELINES von Julien Elie

© cinéma belmopan / GreenGround Productions

Dieser kanadische Dokumentarfilm mit seinen grossartigen Schwarzweissbildern kommt daher wie eine melancholische Komödie. Die Protagonisten sind allesamt enthusiastisch, selbst jene, die sich vorwiegend Sorgen machen.

«They call us Texas-Tank-Watchers», sagt eine der älteren Frauen lachend. Und der Rentner, der sich mit Zelt, Laptop, Solarpanel und Motorrad am Strand von Boca Chica in Texas eingerichtet hat, erklärt, er verstehe nicht, warum nicht viel mehr Leute herkämen, um hier beim Aufbruch in die Zukunft dabei zu sein.

Die hinter ihm surreal in den texanischen Himmel ragenden Raketen von SpaceX benennt er begeistert als «die Nina, Pinta und Santa Maria unserer Zeit». Wie einst Kolumbus würden wir demnächst eine neue Welt entdecken. Und erobern. Davon sind sie alle überzeugt, diese Enthusiasten im texanischen Grenzland. „SHIFTING BASELINES von Julien Elie“ weiterlesen

BLAME von Christian Frei

‚Blame‘ © Christian Frei Filmproduktion GmbH

Der Eröffnungsfilm des diesjährigen Dokumentarfilmfestivals in Nyon ist definitiv einer von Christian Frei, definitiv gross, laut und (bisweilen) bildstark. Und Blame ist auch nicht einfach ein Film, das ist eine Dokumentaroper.

Das liegt am dramatisch-illustrativen Score von Marcel Vaid, der mit wagnerianischem Pathos die von Frei in immer weiteren Spiralen zusammengetragenen Fakten und Reaktionen und Post-Fakten und Propagandamaterialien und Verschwörungstheorien zur emotionalen Achterbahn hoch- und runterpuscht.

Leider illustriert Frei damit auch seine eigene These, dass Emotionalisierung, Vereinfachung und Manipulation beim Publikum besser verfangen als komplexe Sachlagen und Widersprüche. „BLAME von Christian Frei“ weiterlesen

DER EISMANN von Corina Gamma

Konrad Steffen © tellfilm

«Koni, uss dir wird nie öppis…» – Koni, aus dir wird nie etwas werden. Das habe einer seiner Lehrer dem jungen Konrad Steffen prophezeit, erzählt seine Schwester Rose-Marie Stouder-Steffen. Und sein Jugendfreund Vincenzo «Vinci» dal Vesco erinnert sich zufrieden daran, dass Koni und er in der Schulzeit gemeinsam viel Blödsinn gemacht hätten. Die Zahnlücke auf dem Kinderfoto von Koni sei wohl nicht dem natürlichen Ausfall eines Milchzahns geschuldet gewesen, sagt die Schwester. Der Koni, der sei immer schon ein Draufgänger gewesen.

Als der 68jährige Konrad Steffen am 8. August 2020 in der Nähe seiner Forschungsstation in Grönland verschwand, war das ein Schock, nicht nur für seine Freunde und seine Familie, sondern für die halbe Welt. Denn aus Koni war eben nicht nichts geworden, sondern ein weltbekannter Eisforscher, ein Glaziologe, der Mann, der mit seinem Charisma, seiner Leidenschaft für das ewige Eis und mit seinem Auftreten den Klimawandel unaufgeregt, aber belegbar ins öffentliche Bewusstsein gerückt hatte. „DER EISMANN von Corina Gamma“ weiterlesen

DIE HINTERLASSENSCHAFT DES BRUNO STEFANINI von Thomas Haemmerli

Bruno Stefanini 1950 © SKKG Winterthur

Winterthur ist die Bronx von Zürich. Der multiethnische Kochkessel, die Zentrale der fleissigen Immigranten, eine Hochburg der früh-, der schwer- und der postindustriellen Zeiten. Ein Nest des Widerstandes gegen und der Überanpassung an die Schweizer Werte zugleich. Wann immer ein Deutschschweizer Dokumentarfilm kultur- und sozialanthropologische Zusammenhänge erforscht, landet er früher oder später auch in Winti.

Im Falle von Thomas Haemmerlis jüngstem Fabrikat (Eigenlabel im Titelvorspann: «fabriziert von…») ist das natürlich früher. Denn Bruno Stefanini, der Protagonist, ist in Winterthur aufgewachsen. Als Sohn eines Italieners und einer Innerschweizerin, welche gemeinsam geschäftstüchtig aus dem Restaurant der Società Cooperativa Winterthur (gegründet von sozialistischen Arbeitern aus Italien im Jahr 1906) eine eigentliche Goldgrube gemacht hatten. „DIE HINTERLASSENSCHAFT DES BRUNO STEFANINI von Thomas Haemmerli“ weiterlesen

BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS THOMAS MANN von André Schäfer

Thomas Mann / Felix Krull / Müller-Rosé / Marquis Louis De Venosta (Sebastian Schneider) © Vinca Film

Über die Interferenzen, Spiegelfiguren und Doppelungen zwischen dem Autor Thomas Mann und der Romanfigur Felix Krull, mit der er Zeit seines Lebens nicht abgeschlossen hat, wurde schon viel geredet und geschrieben. Nicht zuletzt von Thomas Mann selbst. „BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS THOMAS MANN von André Schäfer“ weiterlesen