WOOLLY (Sau) von Rebekka Nystabakk

Rebekka Nystabakk mit einem befreundeten Schaf © anderdog film

Die norwegische Schauspielerin Rebekka Nystabakk entstammt einer Schafbauernfamilie, die in Nordnorwegen in vierter Generation einen Hof bewirtschaftet. Inmitten von Bergen, Fjorden und buschigen Hängen seien die Schafe das ideale Nutztier, sagt ihre Schwester Rakel. Sie gäben Milch, das beste Fleisch der Welt und Wolle und ernährten sich genügsam von Unkraut und Wildwuchs.

Als die Eltern von Rakel und Rebekka vor einiger Zeit ans Kürzertreten dachten, übernahm Rakel mit ihrer Frau Ida den Hof und die Verantwortung, weiterhin tatkräftig unterstützt von Vater und Mutter. Und mit Schwester Rebekka als Dokumentarfilmerin im Schlepptau. Entstanden ist dabei ein Dokumentarfilm und eine Serie in fünf halbstündigen Episoden für das norwegische Fernsehen NRK. „WOOLLY (Sau) von Rebekka Nystabakk“ weiterlesen

I LOVE YOU, I LEAVE YOU von Moris Freiburghaus

Dino Brandão und sein Vater © outside the box

Zehn Jahre nachdem sie gemeinsam den Kurzfilm Paradox gemacht hatten, erreichte Moris Freiburghaus eine SMS von seinem Jugendfreund Dino Brandão: «Es wird Zeit für Teil 2». Der Musiker schickte sie aus der psychiatrischen Klinik, in der er wegen einer weiteren manischen Phase gelandet war.

Eine der Grundregeln des Dokumentarfilms verlangt, dass über das Medium dokumentiert wird, nicht interveniert. Was gerade dann besonders wichtig scheint, wenn sich der fertige Film in seiner Wirkung als wahrhaftige Dokumentation nicht angreifbar machen soll. Dazu kommt, dass ein Ziel vieler Dokumentarfilme letztlich dann eben doch die Intervention sein dürfte, das Herbeiführen einer veränderten Perspektive auf ein Phänomen, ein Unrecht, ein Unglück.

I love you, I leave you lässt sich und seinem Publikum zunächst nicht viel Zeit zur Reflexion solcher Fragen, unter anderem, weil er sie dauernd paradox beantwortet. Oder mit anderen Worten: Weil er in seiner Verzweiflung mitreisst. „I LOVE YOU, I LEAVE YOU von Moris Freiburghaus“ weiterlesen

ASPHALTE PUBLIC von Jan Buchholz

© Mythenfilm

Biel. Bienne. Eine Hochburg der mediterranen Architektur? Im Prinzip ja, wenn es nach dem Stadtwanderer geht, dem Architekten, Schreiber und Redner Benedikt Loderer: «Hier haben wir die Kathedrale mit dem Campanile. Und gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes, das Baptisterium.» „ASPHALTE PUBLIC von Jan Buchholz“ weiterlesen

FITTING IN von Fabienne Steiner

Farbenderby in Stellenbosch © Royal film

«Sechzig Jahre alte Traditionen lassen sich nicht einfach innerhalb eines Jahrgangs verändern.» Das sagt einer der Erstsemestrigen im Studentenwohnheim «Eendrag» der Universität von Stellenbosch in Südafrika. Dabei hat sich das Empfangskomitee aus gewählten älteren Kommilitonen schon am ersten Tag bemüht, den Neuankömmlingen zu zeigen, dass sie an dieser Elite-Universität nicht einfach in starre Konventionen gezwungen werden würden.

Sechzig Jahre alte Traditionen? Das klingt erst einmal nach lächerlich wenig für jemanden, der sich, zum Beispiel, mit den jahrhundertealten Gepflogenheiten der Universität Basel (gegründet 1460) konfrontiert sah, mit Traditionen wie dem dies academicus, oder den teilweise skurrilen, zum Teil aber auch absurd antiquierten Ritualen der Basler Studentenverbindungen. „FITTING IN von Fabienne Steiner“ weiterlesen

NATHALIE von Tamara Milošević

«I läbes Läbe. I probiers» © filmbringer

Diese Frau ist ihr eigener Film. Ein kämpfendes Drehbuch auf der Suche nach einem Spiegel.

«Ich bin kein Fall!» Sozialfall zu sein, finanzielle Hilfe vom Staat anzunehmen, das kommt für Nathalie nicht in Frage. Genauso wenig wie ein langweiliger Job an einer Ladenkasse: «Ich bin stark. Ich tues Läbe no läbe. Ich probieres.»

Ein Berg von Schulden, allein mit zwei erwachsenen Kindern, mit der Tochter, die im Film nicht auftaucht, und mit dem Sohn, der so charmant und bereitwillig überall mithilft, dass man sich kaum vorstellen kann, dass Nathalie wegen ihm und seinen Schwierigkeiten den Wohnort gewechselt hat.

Bald nach den ersten Filmminuten stellt sich das Gefühl ein: Dokumentarfilmerin Tamara Milošević musste bloss noch die richtigen Bilder finden, um Nathalies klar umrissene Situationsanalysen zu illustrieren. Was natürlich Quatsch ist. „NATHALIE von Tamara Milošević“ weiterlesen

TARDES DE SOLEDAD von Albert Serra

Andrés Roca Rey in der Arena © Sister Dist.

Kennen Sie diese Kippbilder, bei denen man entweder eine Ente sieht, oder einen Hasen? Albert Serra nutzt das Prinzip für seinen Dokumentarfilm über den Stierkampf. Wer fasziniert ist von dem blutigen Ritual, kommt auf ihre oder seine Kosten. Wer überzeugt ist von der Sinnlosigkeit und dem Unrecht der Tierquälerei, sieht sich durchgehend bestätigt.

‚Fliegende Blätter‘ 1892 © wikicommons

Und ein zweites Prinzip setzt Serra ein: Er filmt und montiert die Kämpfe des peruanischen Matadors Andrés Roca Rey analog zu der Figur, welche der Torero während des Kampfes einnimmt: Hochkonzentriert und nonchalant abgewendet im gleichen Moment. So wie Roca Rey den Stier wieder und wieder dicht an seinem eigenen Körper vorbei in das Tuch rennen lässt, lenkt Serra den Blick der Kamera, scheinbar neutral, beobachtend, emotionslos, urteilsfrei.

Ein Dokumentarfilm über Stierkampf ist grundsätzlich eine zwiespältige Angelegenheit. Es gibt keine ethische oder emotionale Neutralität angesichts eines Spektakels um Leben und Tod. „TARDES DE SOLEDAD von Albert Serra“ weiterlesen

TROP CHAUD von Benjamin Weiss

‚Trop chaud – KlimaSeniorinnen vs. Switzerland‘ © Anderdog Film

Nein, wegen seiner formalen Qualitäten gehört dieser Dokumentarfilm nicht auf die grosse Kinoleinwand. Benjamin Weiss und Daniel Hitzig, sein Co-Autor, erzählen ihre Geschichte mit der bewährten Raffinesse eines längeren 10vor10- oder Tagesschau-Beitrages auf SRF, bis hin zum professionellen Off-Kommentar, gesprochen von Suzanne Zahnd. Tritt ein Experte oder eine Expertin auf, wird er oder sie ebenfalls zunächst ganz fernsehmässig auf Distanz «etabliert», etwa beim gezielten Marsch zur Bürotür.

Aber der Inhalt von Trop chaud, der nimmt einen durchaus mit. Zuerst auf die acht Jahre dauernde Geduldsreise der Schweizer Klimaseniorinnen, von der sorgfältigen Planung ihrer Anhörung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) am 28. März 2023 in Strassburg bis zur Urteilsverkündung vom 9. April 2024. „TROP CHAUD von Benjamin Weiss“ weiterlesen

QUIR – A PALERMO LOVE STORY von Nicola Bellucci

Gino Campanella und Massimo Milani © cineworx

«Ich hatte schon eine klare politische Haltung. Das war damals nicht unbedingt normal: Eine Schwuchtel zu sein war das eine. Aber politisiert und links zu sein, war etwas anderes. Die Ehe passte nicht zu meinen Ansichten. Wir hätten darauf verzichten können. Es war alles Teil eines Kampfes, bei dem es um die Freiheit ging. Alle waren überzeugt, dass es eine offizielle Trauung war! Viele Schwule fragten uns: ‘Wie habt ihr es bloss geschafft, zu heiraten?’»

Heiraten, weil sie es eigentlich nicht durften, aus politischen Gründen, das scheint typisch für Massimo Milani und Gino Campanella. Während sie auf der Tonspur von Quir von ihrem politischen Engagement erzählen, das unter anderem zur Gründung von Arcigay führte, Italiens erster grosser Schwulenorganisation, sitzen sie am Tischchen auf der Strasse gegenüber von ihrem kleinen Lederwaren-Atelier in Palermo, dem «Quir», und essen Spaghetti.

Alles kommt beiläufig, abgeklärt, meist fröhlich daher, was uns Nicola Bellucci mit diesem aussergewöhnlichen Dokumentarfilm näher bringt. „QUIR – A PALERMO LOVE STORY von Nicola Bellucci“ weiterlesen

DAS GEHEIMNIS VON BERN von Stascha Bader

Stascha Bader als Trilby-Marlowe-Maloney auf der Suche nach dem Geheimnis von Bern © Ascot-Elite

Da steht er auf der nächtlichen Kornhausbrücke, bereit zum letzten Sprung, das Berner Stadtoriginal, dr Dällebach Kari. Aber irgendwas stimmt da nicht. Das ist doch gar nicht Bern, da im Hintergrund? Und warum trägt der Kari einen Trenchcoat wie Humphrey Bogart als Philip Maloney, und einen Trilby Hut, wie der Zürcher Filmer Stascha Bader?

Und da schimpft er auch schon los, der Stascha Bader: «Züri! Was für en himmeltruurige Band-Friedhof! Früener, ums Nünzä-Achzgi umme: Das isch Rock’n’Roll gsi!»

Der Einstieg ist so fulminant und originell wie das meiste, was darauf folgt in diesem Dokumentarfilm zum Geheimnis der Dominanz der Berner Mundart über die Deutschschweizer Musikszene und -Geschichte. „DAS GEHEIMNIS VON BERN von Stascha Bader“ weiterlesen

IMMORTALS von Maja Tschumi

Avin und Milo © cineworx

Die von der irakischen Jugend geprägte «Oktoberrevolution» von 2019 ist Geschichte, aufgesaugt und in den Untergrund gedrängt von konservativen, iranorientierten Kräften. Aber in einer Gesellschaft, die fast zur Hälfte aus nicht wahl- und stimmberechtigten Jugendlichen besteht, lassen sich Unzufriedenheit und revolutionäre Impulse nur mit konstantem Druck kontrollieren. „IMMORTALS von Maja Tschumi“ weiterlesen