Z–S–C–H–O–K–K–E von Matthias und Adrian Zschokke

Zschokke (Hanspeter Müller-Drossaart) bei der Königin von Bayern (Ingrid Kaiser) © R-Film GmbH

Einen Kinofilm über das Leben und Wirken ihres Vorfahren Johann Heinrich Daniel Zschokke (1771-1848) wollten seine in Bern geborenen Urururenkel machen. Als grosses, ironisch-ernsthaftes Kostümdrama. Vielleicht.

Dass sie das Budget dafür nicht zusammengekriegt haben,  das erweist sich jetzt als Glücksfall. Denn die hinreissende Dokumentarfeier, die sich jetzt  Z–S–C–H–O–K–K–E buchstabiert, die ist so meta, metaphorisch, metamorphotisch, metadynamisch, da ist jeder Widerstand zwecklos.

Ja, Zschokke war ein wichtiger Mann, einer der Mitgründer der modernen Schweiz. Aber auch damit kann Mann in Vergessenheit geraten. Auf einem Sockel in Aarau, zum Beispiel.

Zschokke-Denkmal in Aarau © R-Film GmbH

Seine Urururenkel holen den Mann keineswegs von diesem Sockel, sie lassen ihn aber selbst daran kratzen, in seiner ganzen verschrobenen Liebenswürdigkeit, in seinem Glauben an die Menschheit.

Der Mann aus Magdeburg, zugewandert in die Schweiz, seine Wahlheimat, ist immer irgendwie dafür. Für mehr Menschlichkeit. Für Freiheit. Für die Gemeinschaft. Er ist sogar dafür, wenn er dagegen ist, etwa gegen den Schwulst bei Goethe, in dessen Theater immerhin Zschokkes stürmendes und drängendes Räuberschauerromantikdrama über den grossen Banditen Abälino uraufgeführt wurde.

Der Erfolg des Romans und des Stücks machte den Verfasser nicht etwa stolz und überheblich, wie er im Film selber betont, sondern misstrauisch gegenüber der Urteilsfähigkeit seines Publikums.

Zschokkes Fack ju Göhte kommt in der 74. Minute des Films und – natürlich – überraschend.

Königin Karoline von Bayern (die grossartige Ingrid Kaiser) fragt den 1815 aus der Schweiz zur Audienz angereisten Schriftsteller Heinrich Zschokke, was er denn von Goethe halte.

Das bringt den liberalen Freigeist in gespielte Verlegenheit:

«Das, eh, meisterhaft…, leider bin ich, eh, der tödlichen Langeweile wegen – bitte sagen Sie das nicht weiter – mit keinem seiner Bücher ans Ende gekommen. Ohne Ausnahme. Ich lese lieber, eh, Don Quijote, Sir Walter Scott und, eh, Jean Paul. Ich kann dieses Gezierte, Manierierte, Lackierte nicht ausstehen, in Herrn von Goethes kunstgerechten Figuren.»

Die Königin grinst auf den Stockzähnen, bewahrt die strenge Contenance und lässt dem Verfasser der Geschichte Bayerns später einen Brillantring mit ihrem Namenszug zukommen.

Zu dem Zeitpunkt ist Heinrich Zschokke 44 Jahre alt. Er gehört dem Grossen Rat in Aarau an, seine Schriften werden in ganz Europa gelesen. Hanspeter Müller-Drossaart spielt ihn mit verschmitztem Gusto.

Aus solchen Szenen in historischen Kostümen und historisierenden Kulissen (und wohl dennoch in zuweilen idiosynkratisch modernem Duktus) hätte ursprünglich der ganze Film bestehen sollen, den die Brüder Matthias und Adrian Zschokke ihrem Urururgrossvater widmen wollten.

Nun brennt der Film, den sie mit einem bescheideneren Budget und vielen zugewandten Menschen schliesslich gemacht haben, ein Feuerwerk ab, das sich in den ersten Minuten schon mal energischen Schrittes in sich selber faltet wie ein Origami-Pfau mit Metawitz.

Matthias Zschokke, Erzähler, Regisseur, Drehbuchautor © R-Film GmbH

Drehbuchautor und Regisseur Matthias Zschokke wird schon im Vorspann frisiert, bevor er sich ins Dunkel einer Sprecherkabine begibt. Von da aus beginnt er zu erzählen. Der Film ist erst mal ein Hörspiel mit Einblick.

Regieanweisungen und Szenennotizen begleiten dann Making-of-Einstellungen einer der nachgestellten Szenen, die folgen – womit das alles vor unseren Augen und Ohren entsteht.

Und schon nimmt uns Hanspeter Müller-Drossaart als alter Zschokke mit einer Frage an seinen Diener Sämi mit in sein Denken. Später wird sich Rasmus Friedrich als junger Zschokke im Salon Heitz in Basel scham- (und hoffnungs-) los in die kecke Sybilla (Aline Bucher) verlieben, zur bewundernden Empörung von sowohl Mutter wie auch Tochter aus dem Basler «Daig» (der natürlich schon existierte, auch wenn er noch nicht so genannt wurde).

Verliebt im Salon Heitz in Basel, mit Rasmus Friedrich (junger Zschokke), Aline Bucher (Sybilla) © R-Film GmbH

Seinen eigentlichen Auftrag in Basel hat er da schon erfüllt, er hat der Stadt die aufmüpfigen Baselbieter Bauern vom Leib gehalten, mit Diplomatie und Geschick, indem er als Abgesandter der helvetischen Vorverfassungsregierung und Basler Statthalter eben diesen Baslern klar machte, dass der Wind der modernen Ideen auch bei ihnen eine gewisse Anpassungsfähigkeit erforderlich machen würde.

Nun kann er drängen und stürmen bei Sybille und Madame Heitz, und dann Hals über Kopf abreisen, als die Frau Mutter ihm, dem Proto-Patrioten, den fremden Fötzel um die Ohren schlägt.

Die elegante Verschränkung von Off-Kommentar, Regieanweisungen, Szenebeschrieben und echten Zschokke-Texten hält den Film dynamisch in der Balance, so dass eingeschobene Szenen von realen Zschokke-Tagen (die zahlreichen Familienmitglieder treffen sich periodisch um ihres Vorfahren zu gedenken, der mit der Endgültigen Buchstabierfolge seines Namens dafür gesorgt hat, das jede und jeder Z–S–C–H–O–K–K–E weiss, dass er oder sie von ihm abstammt und keinem anderen.

Die Söhne sind auch Töchter, am Zschokke-Tag: Vokalensemble VocaLadies singt Zschokke-Lieder © R-Film GmbH

Wenn Historiker wie Jakob Tanner oder Werner Ort oder verdiente Politiker wie Alt-Ständerat Thomas Pfisterer den Politiker und Visionär, Diplomaten und Schriftsteller in seiner ganzen erstaunlichen Wirkungsbreite würdigen, ist das im Rahmen dieses Filmes nicht einmal ansatzweise langweilig.

Zum einen, weil uns der Mann in seinem Herzensüberfluss und seinem Glauben an das menschliche Potential schon so ans eigene Herz gewachsen ist, dass wir uns freuen über seine postume Eminenzerklärung.

Zum anderen aber auch, weil dieser Film und die Geschichte dieses Mannes uns daran erinnert, dass wir immer wieder vergessen, wie jung dieses Denken in Gleichheit und Schwesterlichkeit ist, dieser Glaube an die Demokratie, diese Vorstellung von «Schweiz», zu der zu gehören uns so natürlich erscheinen mag.

So überrascht denn auch der Hinweis am Ende des Films:

«Heinrich Zschokke starb 1848 in Aarau, genau an dem Tag, an dem sich nach fünfzigjährigen Querelen die republikanische Idee endlich durchsetzte und die Schweiz in ihrer heutigen Form gegründet und die erste Bundesverfassung unterzeichnet wurde.»

Und dann erinnert man sich mit einem Lächeln an die Szene, welche die Schauspielerin Bettina Stucky allein mit ihrer Stimme ganz plastisch werden lässt, als sich die Aarauer Pfarrerstochter Anna Elisabeth «Nanny» Nüsperli (1785–1858) energisch an den (wörtlich!) vom Blitz getroffenen Zschokke wendet mit der Frage: «Wollt ihr mein Mann werden?»

Dreizehn Kinder hat das Paar dann in die Welt gebracht, zwölf Söhne und eine einzige Tochter.

Und nun haben zwei der Ururur-Enkel ihrer eigenen Geschichte so etwas wie einen Anfang verordnet. Mit einem Charme, der sich, wie der gespielt verlegene ältere Zschokke bei der Königin von Bayern, jeglichem Pomp verweigert und uns lächelnd in diese Schweiz entlässt, von der er träumte.

Nach seiner Berliner Uraufführung im letzten Jahr
wird der Film nun in den kommenden Wochen und Monaten
an vielen Orten in der Schweiz zu sehen sein.
Termine und Informationen gibt es hier.

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