THE SONG OF OTHERS von Vadim Jendreyko

‚The Song of Others‘ &copy Vinca-Film

Das Lied der anderen zu singen. Das kann helfen, das Trauma zu überwinden. Das Lied der anderen, zusammen mit den anderen. Und mit den anderen das eigene.

Das Bild des Chores in Sarajevo kommt gegen das Ende von Vadim Jendreykos Dokumentaressay. Da singen Muslimas mit Christen, Serbinnen mit Kroaten, vielstimmig, harmonisch und mit Hingabe Lieder, die vor ein paar Jahrzehnten im Krieg mit dem Feind assoziiert worden waren.

Das ist eine der utopisch-realistischen Hoffnungseinstellungen, die Vadim Jendreyko für Europa gefunden hat. Ein anderes sind die vielen Sitzplätze im europäischen Parlament in Brüssel, zusammen mit der Erinnerung an Simone Veil, die erste Präsidentin des Europäischen Parlaments.

Sie, die Holocaustüberlebende, hat damals erklärt, das «Nie wieder» sei noch nach jedem Krieg wieder in Vergessenheit geraten, Europa brauche nach dem zweiten Weltkrieg den Zusammengang.

Dort setzt Vadim Jendreyko an. Er geht von sich aus, ganz persönlich, mit einem Prolog, der im Wasser des Rheins bei Basel beginnt, mit dem Kies und dem Rauschen in dem Fluss, mit dem er aufgewachsen ist. Dass der Rhein auf grossen Teilen seiner Strecke ein Grenzfluss ist, eine Demarkation zwischen zeitweiligen Feinden, das sei ihm erst später klar geworden.

Sind wir tatsächlich gezwungen, die Geschichte zu wiederholen, sobald sie in Vergessenheit geraten ist? Hilft es, gegen das Vergessen anzukämpfen?

Jendreyko macht sich auf. Zunächst in die Nachbarschaft, ins Elsass. In den Vogesen stösst er auf Frontlinienen, Stacheldraht und Freiwillige, die jeweils am Wochenende die Natur davon abhalten, das alles vollständig zu überwachsen.

In Flandern begleitet er eine Gruppe von Minen- und Granaten-Entschärfern, die täglich mit den nicht explodierten Geschossen aus dem ersten Weltkrieg zu tun haben. Und das noch hunderte von Jahren, wie ihr Chef erklärt.

Männer räumen auf, was andere Männer sich ausgedacht und in die Erde versenkt haben.

Er sei selbst erstaunt gewesen darüber, dass ihn seine Reisen und Exkursionen immer wieder mit Männern zusammengeführt hätten, erklärte Vadim Jendreyko an der Premiere seines Films in Nyon. Das sei Teil der versteckten Herausforderungen bei diesem Projekt geworden.

Vadim Jendreyko (2.v.L.) mit seinem Team an der Premiere in Nyon © sennhauser

Tatsächlich ergibt sich ein Muster, zumindest im Film. Es gibt durchaus Frauen, welche die historischen Zusammenhänge erläutern in dem Film, auch rund um die minoische Kultur in Griechenland, auf den Spuren der mythologischen Europa und ihrer Entführung durch Zeus als Stier. Aber die meisten Frauen stehen hier für Überwindung, Harmonisierung.

Wie die Leiterin des Chores. Oder die Forscherin, die im Epilog die tanzenden Höhlenmalereien auf den Lofoten präsentiert.

Vadim Jendreyko nutzt die formalen Freiheiten der Essayform. Sein persönlicher Kommentar verbindet assoziativ Orte und Ideen, in einem freien Fluss, der die enormen Herausforderungen der Montage vergessen lässt.

Der Bogen ist weit gespannt vom Europamythos zum selbstgenügsamen Fischer in Europas äusserstem Norden.

Aber The Song of Others hat eine starke zentrale Prämisse: Alles Protagonisten, alle Ortstermine, alle Beispiele sind auf Versöhnung aus, auf Heilung. Der Mann, der sein Leben der Restaurierung der Bücher aus der zerstörten Bibliothek in Sarajevo widmet, die Minenräumer, die Chorleiterin.

Und auch der serbische General, der sich die Verteidigung von Sarajevo zur Aufgabe gemacht hatte, und nach dem Krieg unermüdlich für Versöhnung und Aufklärung kämpfte. Der Film von Vadim Jendreyko sucht nicht die Schuldigen, Jendreyko vermeidet es sogar, die offensichtlichsten Kriegstreiber beim Namen zu nennen. Nicht ihnen gilt dieser Film, sondern den anderen. Deren Liedern.

Bezeichnenderweise ist denn auch die skurrilste und schönste Figur in The Song of Others ein Ornithologieprofessor, der in den polnischen Wäldern die erstaunlichste Artenvielfalt ausmacht und die damit erklärt, dass da eben niemand Gleichförmigkeit erzwinge. Der Wald ist nicht ausgerichtet, geputzt, sterilisiert. Da kann wachsen, was wächst, was umfällt, bleibt liegen und damit sind die Voraussetzungen geschaffen für die Vielfalt der Vogelarten und ihre Lieder.

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