BLACK BAG von Steven Soderbergh

Michael Fassbender in ‚Black Bag‘ © Universal

Slow Horses, die hinreissende Serialisierung der Jackson-Lamb-Romane von Mick Herron hat das Ende der klassischen britischen Spionage-Thriller markiert, wie auch den Anfang der diesbezüglichen Nostalgie. Gary Oldman als furzender, saufender und stinkender Boss der strafversetzten MI5-Agentinnen und Agenten im «Slough House», dem Schmuddelkinder-Ableger der institutionellen britischen Drahtzieher, ist der personifizierte Tief- und Höhepunkt einer stolzen Kino-Tradition.

Die brutale Eleganz von James Bond, oder die realistische Raffinesse von John Le Carrés Smiley und Co. haben eine filmische Tradition begründet, deren Spuren heute allgegenwärtig sind, und entsprechend leicht zu parodieren. Selbst die jeweiligen zeitgenössischen Parodien, von Casino Royale über die französischen OSS 117-Filme bis zu den Sargnagel-Variationen von Rowan Atkinsons Johnny-English-Komödien fanden unlängst ein Nachglühen in nostalgischen Neuauflagen.

Wenn sich nun allerdings Steven Soderbergh hinter die Materie macht, der Mann, der seinen vor zwölf Jahren verkündeten Abschied vom Kino seither mit mehr als fünfzehn weiteren Filmen zur verkapptesten Leinwand-Liebeserklärung aller Zeiten gemacht hat, dann darf man schon eine Art Quintessenz erwarten.

Und die liefert Black Bag. „BLACK BAG von Steven Soderbergh“ weiterlesen

TROP CHAUD von Benjamin Weiss

‚Trop chaud – KlimaSeniorinnen vs. Switzerland‘ © Anderdog Film

Nein, wegen seiner formalen Qualitäten gehört dieser Dokumentarfilm nicht auf die grosse Kinoleinwand. Benjamin Weiss und Daniel Hitzig, sein Co-Autor, erzählen ihre Geschichte mit der bewährten Raffinesse eines längeren 10vor10- oder Tagesschau-Beitrages auf SRF, bis hin zum professionellen Off-Kommentar, gesprochen von Suzanne Zahnd. Tritt ein Experte oder eine Expertin auf, wird er oder sie ebenfalls zunächst ganz fernsehmässig auf Distanz «etabliert», etwa beim gezielten Marsch zur Bürotür.

Aber der Inhalt von Trop chaud, der nimmt einen durchaus mit. Zuerst auf die acht Jahre dauernde Geduldsreise der Schweizer Klimaseniorinnen, von der sorgfältigen Planung ihrer Anhörung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) am 28. März 2023 in Strassburg bis zur Urteilsverkündung vom 9. April 2024. „TROP CHAUD von Benjamin Weiss“ weiterlesen

Die Unverpassbaren, Woche 19 – 2025

Ernest Cole: Lost and Found © trigon-film

Erst diese fünf Filme sehen, dann alle anderen:

  1. Quir von Nicola Bellucci. Ein fröhlicher, liebevoller Film mit dem ältesten «queeren» Paar in Palermo und seinem Freundeskreis. Pride in Sizilien, Leben auf der Leinwand.
  2. Ernest Cole – Lost and Found von Raoul Peck. Mit den Arbeiten und der tragischen Biografie des revolutionären Fotografen aus Südafrika schreibt Peck ein weiteres Kapitel seiner antikolonialen Gegengeschichte.
  3. Bagger Drama von Piet Baumgartner. Ein stilles Schweizer Familiendrama voll mit kinetischem Leben, vom Bagger-Ballett bis zum Bettlift-Bremsen. Bis alles ausartet im Maisfeld.
  4. Immortals von Maja Tschumi. Die jungen Menschen im Widerstands-untergrund in Bagdad sind nicht nur Protagonisten, sondern Ko-Autorinnen in diesem sehr ungewöhnlichen, aufrüttelnden Dokumentarfilm.
  5. Vracht von Max Carlo Kohal. Vom Lehrling zum Kapitän auf dem Rhein. Älter werden gegen den Strom, in einem grossartigen Dokumentarfilm.

QUIR – A PALERMO LOVE STORY von Nicola Bellucci

Gino Campanella und Massimo Milani © cineworx

«Ich hatte schon eine klare politische Haltung. Das war damals nicht unbedingt normal: Eine Schwuchtel zu sein war das eine. Aber politisiert und links zu sein, war etwas anderes. Die Ehe passte nicht zu meinen Ansichten. Wir hätten darauf verzichten können. Es war alles Teil eines Kampfes, bei dem es um die Freiheit ging. Alle waren überzeugt, dass es eine offizielle Trauung war! Viele Schwule fragten uns: ‘Wie habt ihr es bloss geschafft, zu heiraten?’»

Heiraten, weil sie es eigentlich nicht durften, aus politischen Gründen, das scheint typisch für Massimo Milani und Gino Campanella. Während sie auf der Tonspur von Quir von ihrem politischen Engagement erzählen, das unter anderem zur Gründung von Arcigay führte, Italiens erster grosser Schwulenorganisation, sitzen sie am Tischchen auf der Strasse gegenüber von ihrem kleinen Lederwaren-Atelier in Palermo, dem «Quir», und essen Spaghetti.

Alles kommt beiläufig, abgeklärt, meist fröhlich daher, was uns Nicola Bellucci mit diesem aussergewöhnlichen Dokumentarfilm näher bringt. „QUIR – A PALERMO LOVE STORY von Nicola Bellucci“ weiterlesen

DAS GEHEIMNIS VON BERN von Stascha Bader

Stascha Bader als Trilby-Marlowe-Maloney auf der Suche nach dem Geheimnis von Bern © Ascot-Elite

Da steht er auf der nächtlichen Kornhausbrücke, bereit zum letzten Sprung, das Berner Stadtoriginal, dr Dällebach Kari. Aber irgendwas stimmt da nicht. Das ist doch gar nicht Bern, da im Hintergrund? Und warum trägt der Kari einen Trenchcoat wie Humphrey Bogart als Philip Maloney, und einen Trilby Hut, wie der Zürcher Filmer Stascha Bader?

Und da schimpft er auch schon los, der Stascha Bader: «Züri! Was für en himmeltruurige Band-Friedhof! Früener, ums Nünzä-Achzgi umme: Das isch Rock’n’Roll gsi!»

Der Einstieg ist so fulminant und originell wie das meiste, was darauf folgt in diesem Dokumentarfilm zum Geheimnis der Dominanz der Berner Mundart über die Deutschschweizer Musikszene und -Geschichte. „DAS GEHEIMNIS VON BERN von Stascha Bader“ weiterlesen

Die Unverpassbaren, Woche 18 – 2025

‚Bagger Drama‘ © filmcoopi

Erst diese fünf Filme sehen, dann alle anderen:

  1. Bagger Drama von Piet Baumgartner. Ein stilles Schweizer Familiendrama voll mit kinetischem Leben, vom Bagger-Ballett bis zum Bettlift-Bremsen. Bis alles ausartet im Maisfeld.
  2. Immortals von Maja Tschumi. Die jungen Menschen im Widerstands-untergrund in Bagdad sind nicht nur Protagonisten, sondern Ko-Autorinnen in diesem sehr ungewöhnlichen, aufrüttelnden Dokumentarfilm.
  3. Vracht von Max Carlo Kohal. Vom Lehrling zum Kapitän auf dem Rhein. Älter werden gegen den Strom, in einem grossartigen Dokumentarfilm.
  4. On Swift Horses von Daniel Minahan. Melodramatische, queergegenwärtige, 50er-nostalgische Geschichte ausbrechender Leidenschaften.
  5. Un ours dans le Jura von Franck Dubosc. Ein schwarzhumoriges Stück Kino, das einem im besten Sinne des Wortes einen befriedigend klebrig-blutigen Bären aufbindet.

Die Unverpassbaren, Woche 17 – 2025

‚On Swift Horses‘: Will Poulter, Daisy Edgar-Jones © Ascot Elite

Erst diese fünf Filme sehen, dann alle anderen:

  1. Immortals von Maja Tschumi. Die jungen Menschen im Widerstands-untergrund in Bagdad sind nicht nur Protagonisten, sondern Ko-Autorinnen in diesem sehr ungewöhnlichen, aufrüttelnden Dokumentarfilm.
  2. Vracht von Max Carlo Kohal. Vom Lehrling zum Kapitän auf dem Rhein. Älter werden gegen den Strom, in einem grossartigen Dokumentarfilm.
  3. On Swift Horses von Daniel Minahan. Melodramatische, queergegenwärtige, 50er-nostalgische Geschichte ausbrechender Leidenschaften.
  4. Un ours dans le Jura von Franck Dubosc. Ein schwarzhumoriges Stück Kino, das einem im besten Sinne des Wortes einen befriedigend klebrig-blutigen Bären aufbindet.
  5. Was Marielle weiss von Frédéric Hambalek. Marielle hört und sieht, was ihre Eltern tun und sagen, egal wo sie sind. Überwachungsdynamik, Abhängigkeit und das Drama des wissenden Kindes in einem cleveren Kinostück.

ON SWIFT HORSES von Daniel Minahan

Will Poulter, Daisy Edgar-Jones, Jacob Elordi © Ascot-Elite

Im Schlafzimmer im oberen Stock des hübschen, einsam in den Feldern von Kansas gelegenen kleinen Hauses hat Lee Sex mit Muriel. Im Staub der unbefestigten Strasse nähert sich derweil Julius, in der Matrosen-Uniform eines Navy-Soldaten, per Anhalter.

Das sich für das ahnungsvolle Kinopublikum abzeichnende Drama findet allerdings nicht statt, im Gegenteil. Die Leinwand lädt sich erst mal auf mit einer hoffnungsvoll-fröhlichen Vertrautheit, die mich als Zuschauer fast schon auslacht für meine vorschnellen Befürchtungen. Und doch: Die Rückkehr von Julius wird zum Auslöser für drei sehr unterschiedliche Aufbrüche, für die junge Frau und für die zwei ungleichen Brüder. „ON SWIFT HORSES von Daniel Minahan“ weiterlesen

IMMORTALS von Maja Tschumi

Avin und Milo © cineworx

Die von der irakischen Jugend geprägte «Oktoberrevolution» von 2019 ist Geschichte, aufgesaugt und in den Untergrund gedrängt von konservativen, iranorientierten Kräften. Aber in einer Gesellschaft, die fast zur Hälfte aus nicht wahl- und stimmberechtigten Jugendlichen besteht, lassen sich Unzufriedenheit und revolutionäre Impulse nur mit konstantem Druck kontrollieren. „IMMORTALS von Maja Tschumi“ weiterlesen

VRACHT von Max Carlo Kohal

© Dschoint Ventschr Distribution

Auf dem Rheinschiff Panerai ist die Besatzung zugleich im Fluss und stationär. Die lyrische Souveränität, mit der dieser Dokumentarfilm arbeitet, erinnert an das Bullet-Time-Konzept der Matrix-Filme.

Rudmer ist ungefähr sechzehn Jahre alt, als wir ihm in Rotterdam erstmals an Deck begegnen. Mit der Scheibenschleifmaschine hat er sich eben durch die dicken Gummihandschuhe in den Finger geschnitten. Er blinzelt hinter seiner Brille, während der Maat ihm die Wunde verbindet: «Früher hätte ich geheult. Jetzt nicht mehr.» „VRACHT von Max Carlo Kohal“ weiterlesen