VENI VIDI VICI von Daniel Hoesl & Julia Niemann

Laurence Rupp, Olivia Goschler und Dominik Warta in ‚Veni Vidi Vici‘ (2024) © Ulrich Seidl Filmproduktion

Er könne keinem Tier etwas antun, versichert Multimillionär und Investor Amon Maynard glaubwürdig. Dafür erschiesst er zur Entspannung unbekannte Menschen mit Jagdgewehr und Zielfernrohr.

Sein Butler und Faktotum Alfred, ein ehemaliger Journalist, räumt danach auf. Aber nicht allzu heftig. Denn für Maynard besteht der eigentliche Kick darin, auszuprobieren, wie weit er gehen kann, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen.

Wie Donald Trump, der 2016 prahlte, er könne jemanden erschiessen, ohne Wähler zu verlieren:

“I could stand in the middle of Fifth Avenue and shoot somebody, and I wouldn’t lose any voters, OK?” Trump remarked at a campaign stop at Dordt College in Sioux Center, Iowa. “It’s, like, incredible.”

Die Superreichen und deren faktische Immunität beschäftigen Daniel Hoesl und Julia Niemann schon lange. Ihr scharfsichtiger Blick auf Abhängigkeiten und Zusammenhänge am Weltwirtschaftsforum prägte vor vier Jahren ihren Dokumentarfilm Davos.

Veni Vidi Vici ist ein Spielfilm, und kein allzu subtiler. Auf den ersten Blick.

Sie hätten kein «artsy» Kunstkino machen wollen, erklärte Hoesl an der Österreichpremiere an der Diagonale gestern (Weltpremiere hatte der Film im Januar am Sundance-Festival in den USA), sondern einen Film, der möglichst viele Menschen ins Kino locken soll.

Das wäre mit der Killer-Prämisse des Plots eigentlich durchaus machbar. Trotzdem haben Hoesl, Niemann und Ulrich Seidl Filmproduktion sieben Jahre gebraucht, um die Produktion zu finanzieren.

Was auch damit zu tun haben mag, dass der Plot des Drehbuches nicht der bewährten Exploitation-Formel von The Most Dangerous Game (1932) folgt, jenem Menschenjagd-Klassiker, der unzählige ähnlich gestrickte Action-Reisser zeugte, wie etwa die Satire The Hunt (2020), in der reiche Linke Jagd auf republikanische Rednecks machen (was wiederum Donald Trump empörte).

Hilary Swank, Vince Pisani, Teri Wyble, and Hannah Alline in ‚The Hunt‘ (2020)

Plotvorlage sei vielmehr Elio Petris satirischer «Giallo» Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger von 1970 gewesen, sagt Regisseur Hoesl. Dort ermittelt ein Inspektor des Morddezernates gegen sich selbst, womit unter anderem die Gewaltenteilung des Staates ad absurdum geführt wird.

In Veni Vidi Vici ist es die Schweizer Schauspielerin Ursina Lardi, welche diese Funktion übernimmt. Sie spielt Maynards Gattin Viktoria, eine Super-Juristin, liebevolle Adoptivmutter, im ganzen Auftritt an Donald Trumps Tochter Ivanka erinnernd.

Viktoria Maynard ist im Justizapparat des Landes Österreich so gut vernetzt, wie ihr Mann in den Regierungs- und Parteienkreisen. Damit organisiert sie nicht nur jederzeit die Entlassung all jener, denen die Staatsgewalt die Morde ihres Mannes in die Schuhe zu schieben versucht, sie macht sich selbst sogar zur Pflichtverteidigerin jenes Journalisten, der die ganze Geschichte dokumentiert hat und aufdecken will.

Die Maynards sind keine Projektionsfiguren für Publikumshass. Sie sind kultiviert, freundlich, unterhaltsam, intelligent – und absolut skrupellos. Der Film achtet darauf, sie in der Schwebe zu halten.

Amon Maynards Morde erfolgen stets aus dem Off, das Publikum hört den Schuss, sieht die zusammenbrechenden Opfer, aber nie den Schützen beim Schiessen. Und Amon Maynard (Laurence Rupp) kommt mit seiner komischen Verzweiflung darüber, dass ihn tatsächlich niemand aufzuhalten vermag, schliesslich einer Identifikationsfigur ziemlich nahe.

Das tatsächliche Nervenzentrum des Films ist allerdings Maynards dreizehnjährige Tochter Paula (Olivia Goschler). Während ihr Vater und ihre Stiefmutter ihre Unantastbarkeit noch ihrer eigenen Durchsetzungskraft verdanken, ist Paula im Bewusstsein aufgewachsen, über allem zu stehen.

Der Film führt sie ein bei einem Polospiel, bei dem sie ihre Mannschaft mit einem gezielten Foul zum Sieg führt – und das auch ganz offen zugibt. Ein strategisches Foul ohne Ahndungskonsequenzen, das sei schlicht und einfach Teil des Spiels erklärt sie im Voiceover.

Gary Cooper and Patricia Neal in ‚The Fountainhead‘ (1949)

Damit folgt sie auch einem angeblichen Ayn-Rand-Zitat, das Veni Vidi Vici als Motto vorangestellt ist. Sinngemäss stellt es die Frage: Wer soll mich aufhalten?

Rands libertäre Forderung nach ungebremstem Individualismus, der sie unter anderem in ihrem Roman «The Fountainhead» (verfilmt u.a. 1949 mit Gary Cooper) Ausdruck verlieh, machte sie zu einer Galionsfigur der libertären Staatsrückbinder vor allem in den USA.

Die dreizehnjährige Paula Maynard in Veni Vidi Vici ist schliesslich auch das Vici des Caesar-Zitates, im so überschriebenen letzten Teil des Films. Die von ihr als Schwäche des geliebten Vaters empfundene Verwunderung darüber, dass niemand Einhalt gebietet, geht ihr völlig ab.

Und ihre letzte Herausforderung richtet sie denn auch direkt ans Kinopublikum.

Nein, subtil ist Veni Vidi Vici nicht. Dem anarchisch-utopischen «Eat the Rich» stellen Hoesl und Niemann erklärtermassen die Erkenntnis gegenüber, dass die Reichen nach wie vor die Armen töten. Und dass wir alle aufgefordert sind, dem Einhalt zu gebieten.

Directors: Daniel Hoesl, Julia Niemann © Ulrich Seidl Filmproduktion

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