MIT EINEM TIGER SCHLAFEN von Anja Salomonowitz

Birgit Minichmayr als Maria Lassnig © Stadkino Verleih

Ich kann mich gleichzeitig von innen und von aussen sehen, erklärt Maria Lassnig der kleinen Tochter ihrer Freundin in Paris. Sie liegt nackt in der Badewanne und redet leise auf Französisch, eher für sich als für die Kleine. Und als sie dann noch etwas von «aufschneiden» sagt, nimmt das Mädchen samt Teddy Reissaus.

Diese Gleichzeitigkeit von Innen und Aussen hat Anja Salomonowitz zum Konstruktionsprinzip ihres aussergewöhnlichen Künstlerinnenfilms gemacht. Der Spielfilm funktioniert immer wieder wie die Gemälde von Maria Lassnig, mit Bildern, die nicht nur übers Auge packen, sondern sich im ganzen Körper breit machen, schmerzlich oder grossartig.

Die 1919 im ländlichen Kärnten geborene Maria Lassnig taucht kurz als mageres, bezopftes Mädchen im Holzhaus auf, geschickt zeichnend neben der Grossmutter, welche ein Dokument mit einem Kreuz unterzeichnet.

Birgit Minichmayr als Maria Lassnig © Stadkino Verleih

Aber gleich darauf ist es schon wieder Birgit Minichmayr, die als kleine Maria im Bett liegt, die ganze Familie samt Pfarrer steht um sie herum und betet furios für ihr Überleben.

Minichmayr spielt alle Altersphasen von Kindheit bis zum Tod der Maria Lassnig ohne Maske, im gleichen Look, mit der immer gleichen Frisur und Brille. Nur die Körperhaltung, die Krümmung, der Blick und natürlich der Gesichtsausdruck dieser unglaublichen Schauspielerin machen zu jeder Zeit klar, wo wir uns und ihre Maria zu verorten haben.

Regisseurin Salomonowitz und Schauspielerin Minichmayr gehen bei fast jeder Einstellung von einem der Bilder der Künstlerin aus, gleichzeitig folgt der Film den biographischen Fakten in fast schon klassischer Künstlerfilmmanier, ohne je auch nur in die Nähe seiner konventionelleren Vorgänger zu geraten.

Das hängt wesentlich von der konsequenten Gleichzeitigkeit von Innen und Aussen ab. Selbst in der fast schon parodistisch realistisch inszenierten Ausstellung mit Publikumsbeschimpfung der legendären «Hundsgruppe» um Arnulf Rainer stehen Lassnig/Minichmayr beobachtend am Rand des Geschehens und verleihen der historisierenden Kostümszene damit eine Subjektivität, die sie adelt.

Und dann setzt Salomonowitz noch eine surreal-poetische Emphase in der Folgesequenz. Die von ihren Künstlerfreunden stehen gelassene Malerin klemmt sich ihre grossformatigen Bilder unter die Arme, um sie nach Hause zu tragen. Nur eines der kleineren rutscht immer wieder zu Boden. Bis die Ameisen kommen und es neben Maria hertragen.

Birgit Minichmayr als Maria Lassnig © Stadkino Verleih

Natürlich ist das eine computergenerierte Sequenz, genauso wie jene mit dem titelgebenden Tiger, für den Lassnig kurz vor ihrem Tod die Ateliertür offenlässt. Aber das minime Ungenügen der Künstlichkeit, das «uncanny valley» der CGI, passt perfekt in dieses Durchdringungsspiel des Innen und Aussen des Films.

Das titelgebende Bild von Maria Lassnig von 1975

Auf dem stetigen Fluss der Malerbiografie-Filme der letzten Jahre schwimmt Mit einem Tiger schlafen wunderbar anstrengungslos gegen den Strom. Das ist keine Hagiografie, kein Geniekultfilm und da ist auch kein Hauch von Bohème-Romantik. Anja Salomonowitz setzt das Leben der Maria Lassnig in Bilder, wie es die Malerin selbst getan hat: direkt, surreal, auf allen Ebenen gleichzeitig.

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