HIMMELFAHRTSKOMMANDO von Dennis Ledergerber

Walter Andreas Müller in 'Himmefahrtskommando' ©moviebizfilms
Walter Andreas Müller in ‚Himmefahrtskommando‘ ©moviebizfilms

Ein schlechter Film verschlingt, jedenfalls in der Schweiz, wo niemand absichtlich spekulativ und billig dreht, mindestens so viel Energie und Herzblut wie ein guter. Um so stärker schmerzt es dann, wenn das Resultat nicht hält, was sich alle Beteiligten davon versprochen haben.

Das Himmelfahrtskommando von Dennis Ledergerber ist tatsächlich eines. Die zugrundeliegende Novelle des Journalisten Stefan Millius hätte wohl tatsächlich das Zeug zur dürrenmattschen Schweizer Groteske gehabt. Bloss fehlt Ledergerber und Millius offensichtlich die Erfahrung für ein funktionierendes Drehbuch in Spielfilmlänge. „HIMMELFAHRTSKOMMANDO von Dennis Ledergerber“ weiterlesen

Schweizer Filmpreis: Ein Teenager auf dem Weg zur Selbstfindung

Beste Darstellerin? Mona Petri für  'Verliebte Feinde'
Beste Darstellerin? Mona Petri für ‚Verliebte Feinde‘

Am Samstag, dem 23. März, werden in Genf die Schweizer Filmpreise 2013 vergeben. Das Schweizer Äquivalent zu den amerikanischen Academy-Awards geht zum ersten Mal in der Westschweiz über die Bühne. Zuvor sind die nominierten Filme im Zürcher Filmpodium und in den Genfer Cinémas du Grütli zu sehen.

Von Solothurn nach Luzern, von Luzern nach Genf und von Genf nächstes Jahr zurück nach Zürich: Der Schweizer Filmpreis bleibt in Bewegung – und auf der Suche nach sich selber.

15 Jahre hat der ehemalige «Quartz» auf dem Buckel und ist noch immer ein zögerlicher Teenager. Am Anfang stand der Traum, den Schweizer Filmschaffenden mit einer Award-Show nach dem Vorbild der Oscars mehr Wahrnehmung und Anerkennung in der Öffentlichkeit zu verschaffen. Dazu wurden die Qualitätsprämien aus der Filmförderung des Bundes in Preisgelder umgemünzt und eine Akademie der Schweizer Filmschaffenden gegründet. Die Akademie nominiert seither in einem laufend verfeinerten Verfahren die Kandidatinnen und Kandidaten und stimmt danach über die effektiven Preisträger ab.

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Oscars 2013: Thank God it’s over…

"Gegen diesen Bon erhalten sie ihren Oscar!"  Ben Affleck in 'Argo'
„Gegen diesen Bon erhalten sie ihren Oscar!“ Ben Affleck in ‚Argo‘

Die lange Nacht der Oscars war wieder einmal besonders lang. Nicht nur darum, weil die Zieldauer von drei Stunden um mehr als eine halbe Stunde überzogen wurde. Sondern, und vor allem, weil die Überraschungen ausblieben.

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QUELQUES HEURES DE PRINTEMPS von Stéphane Brizé

Hélène Vincent und Vincent Lindon in 'Quelques heures de printemps' ©xenix
Hélène Vincent und Vincent Lindon in 'Quelques heures de printemps' ©xenix
Hélène Vincent und Vincent Lindon in ‚Quelques heures de printemps‘ ©xenix

Einen verstockten erwachsenen Sohn und seine rigide, todkranke Mutter inszeniert der Franzose Stéphane Brizé. Und gönnt ihnen ein paar Stunden Frühling – «Quelques heures de printemps» – als Sterbetouristen in der Schweiz.

Eine todkranke Mutter und ein Sohn, der das Leben mit ihr kaum mehr erträgt? Es braucht starke Darsteller, um mit diesem Stoff das Publikum zu packen. Mit dem unverwüstlichen Vincent Lindon und der unglaublich präsenten Siebzigjährigen Hélène Vincent hat Stéphane Brizé eine Idealbesetzung. Und dass der französische Regisseur von «Mademoiselle Chambon» (2009) nicht nur das Aneinandervorbeileben zweier einsamer Menschen zeigt, sondern auch nüchtern, packend und präzise die Mechanismen des Sterbetourismus in die Schweiz, das sichert ihm zusätzliches Interesse hierzulande. „QUELQUES HEURES DE PRINTEMPS von Stéphane Brizé“ weiterlesen

Locarno 12: POLVO von Julio Hernández Cordón

Polvo 2

Die schwersten Themen ergeben nicht immer die besten Filme. Mit diesem Schmerzensstück aus Guatemala finden wir im Wettbewerb von Locarno wieder einmal eine jener berüchtigten Produktionen, die aus entwicklungspolitischen Erwägungen heraus mit Geldern aus Europa zustande kommen (unter anderem von der DEZA). Wogegen nicht grundsätzlich etwas einzuwenden wäre, käme nicht immer gleich der Verdacht auf, das sei auch der Grund dafür, dass sie von einem Festival programmiert werden.

Ist ein Film wirklich gut, sträubt sich niemand gegen Unterstellungen. Aber im Fall von Polvo (Staub) wirkt das im diesjährigen qualitativ hochstehenden Wettbewerb von Olivier Père fast schon wie ein Rückfall in frühere Locarno-Zeiten. Die Suche nach den Überresten der Männer, welche im guatemaltekischen Bürgerkrieg von 1982 verschwanden, bildet den Hintergrund der Geschichte eines jungen Paares, das an einem Dokumentarfilm über eben diese Suche arbeitet.

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Locarno 12: PLAYBACK von Sho Miyake

Playback 2

An Festivals passiert es immer wieder, dass man die gleiche Geschichte von verschiedenen Filmen erzählt bekommt. Vorgestern lief auf der Piazza Grande Noémie Lvovskys Camille redouble, eine charmante französische Variation auf Coppolas Peggy Sue Got Married von 1986. Beide File schicken ihre erwachsene Protagonistin im erwachsenen Körper zurück in ihre späte Jugend. Und nun findet sich im Wettbewerb auch noch eine japanische Variante des Themas.

Miyake erzählt allerdings ungleich komplexer und unzugänglicher. Und in kunstvollem Schwarzweiss, das keinen Zweifel aufkommen lässt, dass hier Kunst gemeint ist und nicht das frivol-nostalgische Vergnügen der oben genannten Beispiele.

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Locarno 12: LEVIATHAN von Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor

Leviathan 1

Leviathan ist ungeheuer. Was für ein Hammer, dieser Dokumentarfilm! Als Hardcore-Fisch-Holocaust könnte man ihn bezeichnen, aber damit käme man unter Umständen in des Teufels Küche (wo sich der Film irgendwie schon befindet). Und wenn ich von dokumentarischem Splatter-Kino rede, dann denkt die Leserin womöglich an Snuff-Filme.

Nichts wäre falscher, denn der Unterhaltung dient dieser Film zu allerletzt. Lassen wir für einmal den Katalog zu Wort kommen:

Exakt in jenen Gewässern, in denen Melvilles Schiff Pequod nach Moby Dick jagte, hält Leviathan die Gemeinschaft und das Aufeinandertreffen von Mensch, Natur und Maschine fest. Mit rund einem Dutzend Kameras – die geworfen, angebunden und zwischen Fischer und Filmemacher übergereicht werden –, entstand so ein kosmisches Porträt über eine der ältesten Herausforderungen der Menschheit.

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Locarno 12: LA FILLE DE NULLE PART von Jean-Claude Brisseau

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Jean-Claude Brisseau ist mittlerweile so etwas wie ein monstre sacré des franzöischen Films, seine Auseinandersetzungen mit der Erotik haben ihm Lob und Ärger eingebracht. Wenn er jetzt in La fille de nulle part mit über siebzig Jahren unter seiner eigenen Regie einen philosophierenden, cinéphilen ehemaligen Mathematikprofessor spielt, dann darf man das zum Wunschwert als alter ego auslegen. Zumal der Film von einer ironischen Verspieltheit ist, die sich gewaschen hat.

Da sitzt der alte Mann in seiner geräumigen Wohnung in Paris und schreibt an seinem Essay über Mythen und Glaubenssysteme, ein Skeptiker und Agnostiker, und hört Lärm im Treppenhaus. Sein Blick vor die Tür lässt einen Mann flüchten, der eben dabei ist, eine junge Frau brutal zusammenzuschlagen. Der Alte trägt die blutende Frau ins Wohnzimmer und verspricht ihr, weder einen Arzt noch die Polizei zu rufen.

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Locarno 12: SOMEBODY UP THERE LIKES ME von Robert Byington

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Lakonie kann etwas Tröstliches haben, die Groteske ringt dem Horror des Alltags ein Lachen ab. Aber bei diesem Film ist die Unbeteiligtheit der Figuren an ihrem eigenen Leben eher erschreckend. Somebody Up There Likes Me könnte sich dieser Max durchaus sagen. Schliesslich fällt ihm, der keine Ahnung hat, was er will, und noch viel weniger, was er nicht will, sozusagen alles in den Schoss. Alterslos hängt er durch sein Leben, eine Ehe mit Sohn und Sex mit dem Kindermädchen, er wird reich durch die Heirat, arm durch die Scheidung und wieder reich durch Zufall und Ahnungslosigkeit.

Und die ganze Zeit über begleitet ihn ein blauer Koffer, den ihm sein Vater hinterlassen hat, mit dem Hinweis, ihn nie zu öffnen. Immer, wenn nichts mehr geht, tut er es trotzdem. Der Inhalt des Koffers wird nie gezeigt, aber ein Licht strahlt aus ihm heraus, und das Glück des Mannes, das genau so gut als Unglück gesehen werden kann, scheint davon beeinflusst.

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Locarno 12: STARLET von Sean Baker

Starlet 1

Hier ist die amerikanische Variante des Films Une Estonienne à Paris – im gleichen Wettbewerb. Die Rolle der verbitterten und zurückgezogenen alten Frau wird statt von Jeanne Moreau hier von Besedka Johnson gespielt, die jüngere Frau, welche mit Hartnäckigkeit ihre Lebenslust wieder weckt, ist die erstaunliche Dree Hemingway (die Nichte von Margaux und Tochter von Mariel und damit Ur-Grosstochter von Ernest Hemingway). Und der Plot ist auch sonst etwas wilder als im französischen Pendant.

Hemingway spielt Jane, eine 21jährige Bimbo-Blondine in Kalifornien, welche mit ihrer dauernd zugekifften Bimbo-Freundin und deren Freund in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Wovon, das stellt sich erst im Verlauf der Geschichte heraus und erhöht die Kontraste, die Emotionen und das dramatische Gefälle um ein Mehrfaches. Zunächst wird Geschichte dadurch angeschoben, dass Jane an einem Yard-Sale der 85jährigen Sadie eine alte Thermoskanne abkauft und zuhause feststellt, dass darin zehntausend Dollar in gerollten Noten versteckt waren. Ihre Versuche, der alten Frau davon zu erzählen, scheitern an ihrem abweisenden Wesen.

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