Einen verstockten erwachsenen Sohn und seine rigide, todkranke Mutter inszeniert der Franzose Stéphane Brizé. Und gönnt ihnen ein paar Stunden Frühling – «Quelques heures de printemps» – als Sterbetouristen in der Schweiz.
Eine todkranke Mutter und ein Sohn, der das Leben mit ihr kaum mehr erträgt? Es braucht starke Darsteller, um mit diesem Stoff das Publikum zu packen. Mit dem unverwüstlichen Vincent Lindon und der unglaublich präsenten Siebzigjährigen Hélène Vincent hat Stéphane Brizé eine Idealbesetzung. Und dass der französische Regisseur von «Mademoiselle Chambon» (2009) nicht nur das Aneinandervorbeileben zweier einsamer Menschen zeigt, sondern auch nüchtern, packend und präzise die Mechanismen des Sterbetourismus in die Schweiz, das sichert ihm zusätzliches Interesse hierzulande.
Figuren geben Handlung vor
Er habe längst nicht so viel Freiheit als Drehbuchautor, wie man vielleicht denken möge, sagt Stéphane Brizé. Wenn die Figuren einmal da seien, könne er sie nur noch von einem Ort zum anderen bewegen. Was dabei passiere, das sei eigentlich vorgegeben, vom Leben, von der Realität, von der Wahrhaftigkeit.
Es ist genau diese Überzeugung, welche die Filme der Dardenne-Brüder treibt. Es ist auch genau diese Unerbittlichkeit, welche Michael Hanekes beste Arbeiten, etwa «Amour» so zwingend macht. Und der Vergleich ist durchaus angebracht: «Quelques heures de printemps» mag weniger spektakulär reduziert sein als «Amour», der Film greift aber weiter. Und er ist menschlicher.
Drama wie bei Haneke
Ähnlich wie bei Haneke sind auch bei Brizé die Figuren mit ihren persönlichen Zügen Teile einer dramatischen Mechanik, eines Uhrwerks, das nicht wie ein Roboter aussieht, sondern wie das richtige Leben. Die unheimliche Schönheit solcher Filme besteht darin, dass sie gleichzeitig «echt» wirken und «ablaufen» wie ein Programm.
Wenn Alain aus dem Gefängnis kommt, weil er sich als Lastwagenfahrer auf einen gefährlichen Schmuggel eingelassen hat, dann ist seine Bewegungsfreiheit schon eingeschränkt. Wie eine Schachfigur kann er nur noch bestimmte Züge machen. Und sein angespanntes, von einer eigentlichen Gesprächsunfähigkeit gezeichnetes Verhältnis zu seiner alten Mutter löst bei jeder Begegnung ein weiteres Programm aus, eines aus unausgesprochener Kritik am anderen – bis es zur Explosion kommt.
Dass es damit fast unmöglich wird, unter dem gleichen Dach zu leben, versteht sich von selber. Und selbst die Affäre mit einer liebevollen Frau, die sich zu ihm hingezogen fühlt (Emmanuelle Seigner) bricht Alain ab, sobald er wirklich reden müsste, sich öffnen, reagieren.
Volontas ist Exit ist Dignitas
Der grosse Wurf des Drehbuchs von Stéphane Brizé und Florence Vignon ist die Idee, dass die unheilbar an Krebs erkrankte Mutter sich an «Volontas» wendet, eine Sterbehilfe-Organisation in der Schweiz. Der Sohn findet das eher zufällig heraus, erklärt sich aber schliesslich bereit, die Mutter zum Sterben in die Schweiz zu begleiten – schliesslich hat er ihr im Streit ja auch schon zugebrüllt, sie könne von ihm aus verrecken.
Es ist paradoxerweise das Protokoll von «Volontas» (bei dem sich Brizé an jenem der Schweizer Organisation Exit orientiert), welches die verfahrene Situation öffnet. Die rigiden Vorgaben, die Abklärungen, die Gespräche mit den Vertretern der Organisation und schliesslich der minutiös geregelte Ablauf des assistierten Suizides werden zum Gegenprogramm für Mutter und Sohn. Auch hier ist alles festgeschrieben, hat seine starre Ordnung. Aber das Ziel, der Tod der Mutter, ist gleichzeitig erwünscht und gefürchtet.
Die reine nackte Mechanik des Plots dieses Films ist das Melodram: Mutter und Sohn sind heillos zerstritten, und nur der Tod der Mutter kann sie wieder zusammenbringen. Aber die Ausführung der Geschichte, die filmische und schauspielerische Umsetzung, die ist dermassen überzeugend, dass einen mehr als einmal ein Schauer durchläuft. Und am Ende ein eigenartiges Glücksgefühl.
Bonjour, ich habe die Besprechung von „Quelques heures de printemps“ sehr aufmerksam verfolgt, da ich den Film am Vortag gesehen hatte und davon äusserst beeindruckt war.
Nun versuche ich seit gestern herauszufinden, wo denn der zweit
Hinweis darauf ist, dass die Szene im Sterbehospiz nicht in der Schweiz gefilmt worden ist. Dass das Berner Nummernschild nicht korrekt ist, ist mir auch nicht aufgefallen in diesen letzten sehr berührenden Szenen. Vielleicht lag das an den Tränen in meinen Augen?
Ich bin gespannt auf Ihre Antwort und grüsse sie freundlichst,
Brigitte Fischer
Liebe Frau Fischer, da mein Blog nicht mehr Teil des offiziellen srf.ch Auftritts ist (hat nicht in das Konzept gepasst) galt mein Verweis in der Sendung natürlich der offiziellen Kulturplattform. Aber ich will Sie nicht noch weiter im Web herum schicken, darum hier als Zitat der letzte Absatz von dort mit der Antwort: