Wieder ein Mann. Aber nicht unverdient.

Nun ist es klar: Die goldene Palme ist an den allgemeinen Favoriten der ersten Tage gegangen, an Cristian Mungiu für „Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage“ (siehe hier). Damit bleibt Jane Campion in 60 Jahren die einzige Frau mit einer goldenen Palme. Immerhin hat Naomi Kawase, meine persönliche Favoritin, den grossen Preis der Jury bekommen. Und angesichts der Tatsache, dass so viele der 22 Filme durchaus verdient hätten gewinnen können, will ich mich nicht beklagen. Es war ein wunderbarer Jahrgang. Ich freue mich bereits auf Mai 2008.

Der Wald des Abschieds

 

 

(Naomi Kawase)

 

Von mir bekäme sie die goldene Palme. Naomi Kawase aus Japan, die 1997 hier in Cannes schon die Camera d’Or gewonnen hat, wäre meine persönliche Favoritin für den Hauptpreis morgen. Sie wäre dann, nach Jane Campion für «The Piano» erst die zweite Frau, welcher die Ehre zuteil würde. Ihr neuer Film «Mogari No Mori», der Wald der Trauer, ist eine jener stillen, liebevollen Bilderreihungen, die weniger an eine Symphonie denn an ein Streichquartett gemahnen. Oder ein Streichel-Quartett. Eine junge Frau, die ihr Kind verloren hat, arbeitet in einem japanischen Altersheim auf dem Land und kommt einem alten Mann näher, der seit dreissig Jahren um seine Frau trauert. Die beiden machen einen Ausflug und gehen in jenem Wald verloren, in dem der Alte seine Frau, ihr Grab, oder seine Erinnerung an sie sucht. Ein traumhaft schöner Film, der thematisch ein wenig an den Japaner Kore Eda Kôhei Oguri und seinen „schlafenden Mann“ erinnert, bildhaft aber ganz Kawase bleibt, mit Wind in den Bäumen, Regen, Landschaft und vor allem Figuren, die einem das Herz stehlen.

 

Promise me This

 

Schon zweimal hat er die goldene Palme gewonnen, der serbische Brachialfilmer Emir "Kustu" Kusturica. Aber für die Dritte wird es diesmal hoffentlich nicht reichen. Sein neuer Film ist randvoll mit allem, was seine alten so beliebt machte: Turbo-Folk, schlagfertige Männer, dralle Frauen, schiesswütige Serben, Gangster, Grossväter und korrupte Staatsangestellte. Aber einfach von allem zuviel. Wenn der Grossvater seinen Enkel auffordert, in der Stadt die Kuh zu verkaufen, eine Ikone zu kaufen und sich eine Braut zu suchen, dann ist das nicht Gotthelf, nicht wirklich witzig und auch nicht satirisch. Aber bei Kustu kommt das alles zusammen. Der Film ist zur Hälfte Tom & Jerry, zur anderen Hälfte Pippi Langstrumpf, und das ganze aufgezogen als Kasperletheater im «Home Alone»-Slapstick-Stil. Dass heftig geschossen wird, dass es nebenbei auch Tote gibt, und dass die Serben offenbar den Krieg in ihrem Alltag brauchen und ganz lustig finden: Das könnte Satire sein. Ist aber in erster Linie als pralle Unterhaltung inszeniert und bleibt einem des öfteren im Hals stecken, wenn es nicht gerade langweil. Allerdings gibt es, wie immer bei Kustu, auch überaus witzige Momente.

James Blond. Haha.

 

 

Man kann ja nicht nur an den Journalisten und an den Filmprofis Geld verdienen. Irgendwie muss man ja auch aus den vielen Touristen hier in Cannes etwas herausschütteln. Die einen fahren im geführten Eisenbähnchen über die Croisette und andere kaufen sich solche Dinger zum anziehen. Warum auch nicht? Blond ist blond…

Sushi!

 

 

So, die live-Sendung mit den geschätzten Kolleginnen Anke Leweke und Katja Nicodemus ist geschafft, ein kleines voice over (ich machte den Tarantino … aua) ebenfalls, und bevor ich mich hinter den nächsten Radiobeitrag (DRS2aktuell für morgen) klemme, gibt’s ein paar tote Fische mit Reis. Ich habe in der Nähe des Palais eine Sushi-Bar entdeckt, die es im letzten Jahr noch nicht gab. Die Sushi sind hier (wie überall ausser in der Schweiz) erschwinglich. Und sie haben zwei Vorteile: Sie liegen nicht schwer im Magen (man kann weiterarbeiten nach dem Essen) und sie halten nicht lange vor (die riesige Meeresfrüchteplatte, die ich mit den Kollegen von der Sonntagszeitung, dem Berner Bund und der NZZ traditionellerweise immer am letzten Freitag in Cannes am Abend nach der letzten Vorstellung verputze, trifft also wieder auf einen entspannten, aufnahmebereiten Magen.

(Bild unten: im Kellerstudio von Radio France mit Katja und Anke)

 

 

Une vieille maîtresse

Nach ihrem Hirnschlag vor drei Jahren hat sich die streitbare französische Filmemacherin Catherine Breillat den Roman eines Dandy aus dem 19. Jahrhundert angeeignet. Die Geschichte der «alten Geliebten» stammt von Jules-Amédée Barbey d’Aurevilly und ist eine Art Gegenentwurf zu den xfach verfilmten «Liaisons dangereuses» von Choderlos Laclos. Obwohl der Film ein «period piece» ist, ein Kostümfilm, passt er doch bestens ins Oeuvre von Catherine Breillat, die mit Filmen wie «Romance» oder «Sex is Comedy» immer wieder provoziert hat. Es ist die Geschichte eines jungen Parisers, der zehn Jahre eine Amour fou mit einer leidenschaftlichen Frau aus Malaga (Asia Argento) lebt, und dann die obligate jungfräuliche Adelsdame heiratet. Nur spielt Breillat nicht in erster Linie die Dekadenz und den Zynismus der «liaisons dangereuses» aus, sondern die wahre Leidenschaft ihrer Figuren, die direkte, unverfälschte und absolute Hingabe an die Gefühle des Augenblicks und ihre zerstörerische Kraft. Das macht «Une vieille maîtresse» zu einem überraschend modernen Film, mit modernen Figuren. In Kombination mit Breillats erprobtem Talent, Sexszenen direkt und unverschämt zu inszenieren, ergibt das eine nachdenkliche direkte Mischung, manchmal komisch, manchmal erschütternd, nicht immer gleich überzeugend, aber roh und fein zugleich, drastisch und witzig.

We Own the Night

 

Nicht alle Filme im Wettbewerb von Cannes sind Meisterwerke. Im Fall von James Grays «We Own the Night» trifft das ganz klar zu: Das ist ein solider Genre-Film, die Geschichte zweier New Yorker Brüder, der eine (Mark Wahlberg) Polizist, der andere (Joaquin Phoenix) Geschäftsführer in einer Russendisco. Natürlich kommt der Drogenhandel dazwischen und die beiden finden sich unerwartet mitten in einem urbanen Krieg wieder, zunächst je auf der Gegenseite. Das ist spannend inszeniert, knallhart und packend, tatsächlich. Robert Duvall als Chief of Police ist ausgezeichnet wie immer, die schöne Eva Mendes als Freundin des Club-Betreibers weniger schlecht als in ihren letzten Filmen, aber noch lange nicht gut. Und der ganze Film leidet ein wenig darunter, das Martin Scorsese mit «The Departed» das Terrain grundsätzlich besetzt und umgepflügt hat, ob jetzt in Boston oder in New York, spielt da keine grosse Rolle mehr. James Gray macht hier eigentlich das gleiche wie mit «Little Odessa» 1994 und mit «The Yards» 2000. ich frage mich eigentlich vor allem, mit welchem Plot er 2014 noch einmal den gleichen Film machen wird … wenn er seinem Rhythmus treu bleibt.

Ocean’s Thirteen macht Spass

Kaum zu erkennen. Oder doch? Brad Pitt in einer seiner Verkleidungen in ‚Ocean’s Thirteen‘ Foto © Warner Bros.

Auf den amerikanischen Webseiten wurde eine Weile mit der Behauptung geworben, Soderberghs Ocean’s Thirteen werde nun alles sein, was Ocean’s 12 nicht gehalten habe. Und tatsächlich ist diese dritte Folge um George Clooney, Brad Pitt und Konsorten wieder sehr nahe beim ersten «Ocean»-Film, der seinerseits das Remake eines eher langweiligen Rat-Pack-Versuchs gewesen war. Diesmal sind aber alle zum Zug gekommen. Die Jungs hatten ihren Spass beim Blödeln auf dem Set, die Drehbuchschreiber beim Schreiben, Soderbergh beim Drehen und beim Schneiden und man merkt es dem Film auf Schritt und Tritt an. Auf einer Ebene ist das ein superkomplizierter High-Tech-Casino-Raub-Film. Auf einer anderen eines von Soderberghs gelungenen Schnitt-Experimenten. Auf einer dritten ein Buddy-Movie von echten Buddies. Auf einer vierten ein cleverer Thriller, den man auch geniessen kann, wenn man ihm nicht mehr Schritt für Schritt zu folgen vermag. Und zum Fünften eine Autoparodie, die sich gewaschen hat. Was sind die letzten Worte, die George Clooney an Brad Pitt richtet, beim Abschied auf dem Flughafen? «Du solltest endlich ein wenig häuslich werden, dir ein paar Kinder zulegen…»

 

Die Schönen der Nacht. Gerupft?

Manchmal ist das, was die Nächte von Cannes übrig lassen, sprechender, als das was die Versprechen des Abends zuvor ausgemalt haben. Wenn ich, als solider Arbeiter, nach meinen fünf Stunden Schlaf um halb acht wieder die rue d’Antibes hinauf marschiere, stosse ich manchmal auf solche Überbleibsel wie diese Federboa am Trottoirrand. Welche Schöne hat hier Federn gelassen? Wer wurde da gerupft in den blauen Stunden des Morgens? Oder handelt es sich gar um eine Häutung der gefiederten Schlange? Die Spuren der Nacht sind die Wegweiser der Fantasie. In Cannes sowieso.

Alexandra

Alexander Sokurow, der Meister aus Russland, der uns hier in Cannes schon mit Hitler-Phantasien («Moloch») und den letzten Tagen des japanischen Kaisers erstaunt hat, der Mann, der einen ganzen Film in einem Museum in einer einzigen Einstellung gefilmt hat («Russian Ark»), hat einen Weg gefunden, einen russischen Blick auf den Tschetschenienkrieg zu werfen, der weitgehend berührt, manchmal verstört und ein paar Fragen aufwirft. Die Opernsängerin Galina Vishnevskaya spielt Alexandra, die Grossmutter eines russischen Hauptmannes in Tschetschenien. Sie kommt ihren Enkel im Militärlager besuchen und dabei entsteht ein Kriegsfilm ohne Kriegsbilder, eine Besinnung auf das was es heisst, Männer in den Krieg zu schicken, was es heisst, ein Land zu besetzen. Der Film ist dort am stärksten, wo der Blick der alten Frau, die absurden Regeln und Bedingungen des Soldatenlebens deutlich macht. Und er hat seine grössten Schwächen dort, wo es konkret um den politischen Anspruch Russlands an Tschetschenien geht. Bei manchen der Dialoge zwischen Alexandra und den Einheimischen, die sie rund um das Lager trifft, hatte ich das Gefühl, Sokurov habe sie mit einem unruhigen Seitenblick auf Putin geschrieben, dermassen verquast und philosophisch verbrämt bringen sie die Dinge nicht konkret auf den Punkt. Der Film ist emotional eindeutig und klar gegen den Krieg und gegen den Kampf. Wenn er aber Worte bringt, wirkt er sehr vorsichtig. Genützt hats nichts, Alexander Sokurov ist nicht nach Cannes gekommen, um seinen Film vorzustellen. Aus gesundheitlichen Gründen, wie es hiess.