An der Berlinale letztes Jahr dachten die meisten von uns, wir hätten wohl den letzten Film vom portugiesischen Altmeister gesehen. Aber jetzt ist der 102jährige tatsächlich nach Cannes gekommen und gestern Abend munter und spazierstockschwingend die Treppenstufen zur Bühne in der Salle Debussy hinauf- und später auch wieder hinunter gestiegen. Manoel de Oliveira wirkte wieder fast so unverwüstlich wie in jüngeren Jahren – sein jüngster Film dagegen trägt Spuren des Alters in sich und mit sich. Es ist die vom titel angekündigte seltsame Geschichte des jungen Mannes Isaak, der eines Nachts geholt wird, um eine tote junge Frau zu fotografieren. Und während die Familie trauernd dabei steht, öffnet die Tote im Kamerasucher die Augen und lächelt ihn an. Natürlich ist es damit um Isaak geschehen.
Aber er weiss das noch nicht und wir wahrscheinlich auch nicht. Denn bis er endgültig in Liebe zu der Toten entbrennt, und zuerst den Verstand verliert und schliesslich das Leben, liefert Oliveira noch eine ganze Menge seiner klassisch strengen fixen Einstellungen auf Schauspieler, die sich gegenseitig mit Dialogen überziehen. Und einen Engelsflug. Und bodenhackende Winzer, die singen. Und Spezialeffekte, richtig rührende, wenn nicht nur die Fotografie der Angelica lebendig wird, sondern die Frau selber als Geist ins Bild kommt. Es ist ein seltsamer Film, mit einem seltsamen, ganz eigenen Zauber. Und wie schon bei seinem letzten, Singularidades de uma rapariga loura, sind es die Anachronismen, welche die eigentliche Magie ausmachen. Denn gedreht wird in der Gegenwart, in altmodischen Häusern zwar, aber mit dem vorhandenen Verkehr. Isaaks Fotoapparat ist allerdings keine Digitalknipse und er entwickelt auch die Filme selbst und belichtet Papierkopien, die er zum Trocknen an eine Schnur hängt. Und auch die Sprache mäandert. Vokabular, Duktus und Melodie verweisen eben so oft in die Gegenwart, wie in eine literarisch geprägte Vergangenheit.
Die Standing Ovation für den 102jährigen gestern Abend galt natürlich nicht nur ihm und seinem Film, sondern ein wenig auch dem wehmütigen Gefühl, dass er, der fast so alt ist wie das Kino selber, eines Tages nicht mehr sein wird. Eben so wenig wie das Kino, für das er steht, und das er eigentlich schon um Jahrzehnte überlebt hat.