HELDIN von Petra Volpe

Leonie Benesch © filmcoopi

Herr Leu ist seit Tagen im Spital, seit Tagen wartet er auf eine Diagnose von den Ärzten. Pflegefachfrau Floria muss ihn ein ums andere mal vertrösten. Der alte Mann macht sich vor allem Sorgen um seinen Hund. Floria schaut sich geduldig die Hundebilder auf Leus Telefon an.

Dabei hat sie gar keine Zeit. Bei Schichtantritt wurde ihr mitgeteilt, dass eine Kollegin ausfalle und kein Ersatz da sei. „HELDIN von Petra Volpe“ weiterlesen

KNEECAP von Rich Peppiatt

DJ Próvai, Móglaí Bap, Mo Chara(II) © Kory Mello – frenetic

Auf der Flucht vor der Polizei in Belfast lassen ein paar Kleindealer einen Plastiksack voller Weed in den Schoss der am Strassenrand sitzenden jungen Kirchendiener Naoise und Liam plumpsen. Worauf die zwei das Zeug während der nächsten Messe über das Weihrauchfass mit der ganzen Gemeinde teilen. „KNEECAP von Rich Peppiatt“ weiterlesen

ON BECOMING A GUINEA FOWL von Rungano Nyoni

Susan Chardy als Shula © trigon

Man muss seiner Sache schon sehr sicher sein, um mit den ersten 15 Minuten eines Filmes vor allem Fragen aufzuwerfen.

Warum trägt die Frau mit den perfekt geschminkten Lippen am Steuer ihres Mercedes eine glitzernde Maske auf dem Kopf? Warum wirft sie bloss einen kurzen Blick auf den toten Mann, der auf der nächtlichen Strasse liegt, und ruft dann nicht etwa die Polizei an, sondern ihren Vater? Warum trägt die Frau ein ballonartiges Kostüm, mitten in der Nacht, auf einer kleinen Vorortstrasse in Sambia?

Und warum nennt sie den Toten «Onkel Fred»? „ON BECOMING A GUINEA FOWL von Rungano Nyoni“ weiterlesen

THE BRUTALIST von Brady Corbet

Adrien Brody, Guy Pearce © Universal

Für einen Film mit einem komplett erfundenen Protagonisten fühlt sich The Brutalist oft schmerzlich dokumentarisch an. Das hat einen monumental grossartigen Zug.

Adrien Brody spielt den ungarischen Juden László Tóth. Der einstige Bauhaus-Student und modernistische Stararchitekt aus Budapest hat das KZ Buchenwald überlebt. Als der Film einsetzt, 1947, kommt er mit dem Schiff in New York an, einer von Tausenden, die versuchen, den Horror der Verfolgung und Entwurzelung hinter sich zu lassen. In einem Land, das nicht auf sie gewartet hat, den Neuankömmlinge Misstrauen und offene Ablehnung entgegen bringt. „THE BRUTALIST von Brady Corbet“ weiterlesen

WIR ERBEN von Simon Baumann

Stephanie und Ruedi Baumann © filmcoopi

Nach zwei Dritteln dieses Dokumentarfilmes fällt dieser hinreissende Halbsatz, der uns, unser Land, die Schweiz, in perfekter Offenheit erfasst:

«Die angeri Mehrheit…»

Die «andere Mehrheit», also jene Hälfte der Beteiligten, deren Meinung knapp unterlegen ist, deren Stimmen ein winziges bisschen weniger zum Tragen gekommen ist. In dieser anderen Mehrheit findet sich in unserer Demokratie immer wieder (fast) die Hälfte der sogenannten «Stimmbevölkerung». „WIR ERBEN von Simon Baumann“ weiterlesen

BABYGIRL von Halina Reijn

«Got Milk?» – Nicole Kidman © Praesens

Kinky Sex steht allen zu, so lange alle Beteiligten damit einverstanden sind. Und das müsste eigentlich auch für kinky Kino gelten. Das ist aber nicht so, nicht zuletzt darum, weil Exploitation Cinema vom Voyeurismus lebt und seine kinky Kicks darauf beruhen, heimlichen Voyeurismus zu bedienen.

Und doch ist es wohltuend, die übersteigerte Begeisterung (und Ablehnung) zu erleben, die sich vor allem in den USA über Nicole Kidmans Frauenermächtigungsausflug in den selbstbestimmten Masochismus einer sexuellen Beziehung mit doppeltem Machtgefälle ergeben hat. „BABYGIRL von Halina Reijn“ weiterlesen

LE PROCÈS DU CHIEN von Lætitia Dosch

Lætitia Dosch und Kodi le chien © Pathé Films AG

Als Schauspielerin ist Lætitia Dosch eine Naturgewalt und schon lange auf der Leinwand. Ihre erste sichtbare Rolle war klein, als Schwester einer der Hauptfiguren in Frédéric Mermouds Complices von 2009. Da war Dosch schon 29 Jahre alt. Aber seither hat sie unaufhaltsam gespielt, in 46 Filmen bis heute, und seit Léonore Serailles Jeune femme von 2019 ist sie ein etablierter Teil des französischsprachigen Kinos.

Sie spielte sehr unterschiedliche Rollen von scheu bis exaltiert. Aber als Persönlichkeit, wie sie etwa in Interviews oder bei öffentlichen Auftritten zu erleben ist, ist sie ein fröhliches, offenes Energiebündel und damit sehr nahe an der Rolle, die sie sich für ihren erste eigene Regiearbeit selbst auf den Leib und die Seele geschrieben hat. „LE PROCÈS DU CHIEN von Lætitia Dosch“ weiterlesen

WHEN WE WERE SISTERS von Lisa Brühlmann

Carlos Leal, Malou Mösli, Paula Rapaport © filmcoopi

«Versprichst Du mir, dass Du mir das nicht wieder versaust?»

Das fragt Mutter Monica (Lisa Brühlmann) ihre fünfzehnjährige Tochter Valeska (Paula Rapaport), bevor sich die beiden auf den Weg machen, um mit Monicas neuem Freund und dessen Tochter Lena (Malou Mösli) nach Griechenland in die Ferien zu fahren.

In diesem einzigen verzweifelten Appell steckt das ganze Drama dieses Films, offen auf den Tisch gelegt, in den ersten Minuten. „WHEN WE WERE SISTERS von Lisa Brühlmann“ weiterlesen

BISCUIT TIN BLUES von Jack Rath

Jack Rath und Michael Ferguson in ‚Biscuit Tin Blues‘

Manchmal gibt es nichts Schöneres, als sich in den bittersüssen Erinnerungen von jemand anderem wiederzufinden. Dieses unwahrscheinlich zu Herzen gehende, semi-stationäre Berliner Roadmovie weiss nicht nur, was Sehnsucht sein sollte. Es versteht sich auch darauf, damit lakonisch zu zündeln.

Kell (gespielt von Regisseur Jack Rath) ist ein alternder Rockmusiker aus Australien, der in Berlin hängen geblieben ist. Zu Beginn des Films treffen wir ihn unter einem Mischpult in seinem Tonstudio, das ihm nicht mehr gehört, weil es, wie so vieles in Berlin, Pleite gegangen ist. „BISCUIT TIN BLUES von Jack Rath“ weiterlesen

BILDER IM KOPF von Eleonora Camizzi

© am Limit GmbH

Ist es «paranoide Schizophrenie»? Vincenzo Camizzi, genannt «Vinci», erklärt seiner Tochter, er habe eine Diagnose. Das heisst: Er hat eine bekommen, vor vielen Jahren. Mit dem Label, den Wörtern, war und ist er nicht einverstanden.

Viel später in diesem schlichten, hinreissenden Dokumentarfilm wird er einmal erklären, was abgeht, wenn die Bilder im Kopf seine Wahrnehmung bestimmen. Da seien fünf Typen lautstark am Streiten miteinander. Alle seien Diktatoren. Und alle sähen sie aus wie er. „BILDER IM KOPF von Eleonora Camizzi“ weiterlesen