Morgen Mittwoch sticht der Ozeandampfer unter den Filmfestivals wieder in See. Und damit niemand den kleinen ehemaligen Fischerhafen an der Côte d’Azur verfehlt, haben die Hüter des filmischen Grals in Paris (3, rue Amélie) einen weiteren trésor national verpflichtet. Juliette Binoche schwingt das Leuchtfeuer auf den offiziellen Plakaten des diesjährigen 63. Festivals. Vielleicht gelingt es ihr ja, uns alle heute und morgen sicher durch die Vulkanaschewolken zu lotsen. Sie tritt dann aber aber auch auf, in einem auf den ersten Blick typischen Cannes-Film im Wettbewerb: Copie conforme heisst der Film auf Französisch (Roonevesht barabar Asl As auf Persisch), den der Iraner Abbas Kiarostami mit der Französin in der Toskana gedreht hat. Eine universelle Liebesgeschichte zwischen einer Galeristin und einem Schriftsteller dürfen wir erwarten. „Cannes 10: Leuchtfeuer Juliette Binoche“ weiterlesen
Zum Rücktritt von Nicolas Bideau
Nicolas Bideau, der in der Filmbranche immer heftiger umstrittene Chef der Sektion Film im Bundesamt für Kultur, übernimmt per Ende Jahr die Leitung der Bundesagentur Präsenz Schweiz im Generalsekretariat des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA. Ein klassischer Fall von Wegbeförderung. Immerhin ist anzunehmen, dass nach dieser Rücktrittsankündigung die Opposition in der Filmbranche vorerst ruhiger wird – woran Innenminister Didier Burkhalter durchaus gelegen sein dürfte.
Nicolas Bideau war der Mann der Stunde, als ihn der damalige Kulturminister Pascal Couchepin im Herbst 2005 zum Chef der Sektion Film im Bundesamt für Kultur machte. Couchepin hat Nicolas Bideau aus den diplomatischen Diensten des eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten EDA geholt, um der Bundes-Filmförderung eine neue Stimme und ein neues Gesicht zu geben. Marc Wehrlin, Bideaus Vorgänger im notorisch schwierigen Amt, hatte mit viel Diplomatie und Verhandlungsgeschick zehn Jahre durchgehalten und der stets unter Verteilkämpfen leidenden Filmbranche einen relativen Burgfrieden verschafft. „Zum Rücktritt von Nicolas Bideau“ weiterlesen
Filmpodcast Nr. 180: Igor und Coco, David Wants to Fly, Up!, Schweizer Filmwochenschau.
Kino im Kopf mit Michael Sennhauser. Heute mit Jan Kounens Coco Chanel et Igor Stravinsky, David Sievekings David wants to Fly und Pixars Animationsabenteuer Up! als DVD-Tipp, mit einem kurzen historischen Rückblick auf die Schweizer Filmwochenschau, und dazu auch diese Woche Kurztipps und eine Tonspur.
Saugen: Filmpodcast Nr. 180 (Rechtsklick für Download). Hören:
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Die Unverpassbaren, Woche 19
Oh ja! Erst diese fünf Filme sehen. Dann alle anderen.
- Coco Chanel & Igor Stravinsky von Jan Kounen. Ähnlich wie bei Gainsbourg ist auch hier die filmische Überhöhung wichtiger als der historische Gehalt. Kino, das als Gefühl ins Auge (und ins Ohr) geht.
- David Wants to Fly von David Sieveking. Der Dokumtarfilmer als liebenswürdiger Naivling geht hartnäckig dem Guru Maharishi Mahesh Yogi und seinen Anhängern – darunter David Lynch – auf die Nerven. Witzig und hellsichtig.
- Guru – Bhagwan, his Secretary & his Bodyguard von Sabine Gisiger und Beat Häner. Wer nie zu einem Guru ging, weiss nach diesem Film, warum nicht. Und darüber hinaus, warum es andere taten. Ein gründlicher Blick, der fasziniert.
- Gainsbourg – vie héroïque von Joann Sfar. Das Biopic vom Comicmacher ist anders, frecher, fiktiver und gerade darum auch echter – und grundsätzlich vergnüglich.
- Nothing Personal von Urszula Antoniak. Unglaublich poetisches Filmgedicht über die Begegnung zweier Menschen, die Einsamkeit als Lebensform gewählt haben.
Im Filmpodcast morgen gibts es mehr Igor, mehr Coco, mehr David, und ein wenig Pixar.
Die Unverpassbaren, Woche 18
Erst diese fünf Filme sehen. Dann alle anderen.
- Guru – Bhagwan, his Secretary & his Bodyguard von Sabine Gisiger und Beat Häner. Wer nie zu einem Guru ging, weiss nach diesem Film, warum nicht. Und darüber hinaus, warum es andere taten. Ein gründlicher Blick, der fasziniert.
- Gainsbourg – vie héroïque von Joann Sfar. Das Biopic vom Comicmacher ist anders, frecher, fiktiver und gerade darum auch echter – und grundsätzlich vergnüglich.
- Sin nombre von Cary Fukunaga. Formal zerreisst dieser mexikanisch-amerikanische Thriller keine Stränge. Aber der Mix aus Gang- und Emigranten-Drama geht unter die Haut. Und das war sicher auch der Wunsch des Produzenten Gael García Bernal.
- Pizza Bethlehem von Bruno Moll. Junge Fussballerinnen mit ganz unterschiedlichen Wurzeln lassen die Kinozuschauer an ihrem Leben teilhaben.
- Nothing Personal von Urszula Antoniak. Unglaublich poetisches Filmgedicht über die Begegnung zweier Menschen, die Einsamkeit als Lebensform gewählt haben.
Im Filmpodcast morgen gibts es mehr zu Filmen, zu Gurus und zu Wilden Kerlen.
Die Unverpassbaren, Woche 17
Erst diese fünf Filme sehen. Dann alle anderen.
- Gainsbourg – vie héroïque von Joann Sfar. Das Biopic vom Comicmacher ist anders, frecher, fiktiver und gerade darum auch echter – und grundsätzlich vergnüglich.
- Sin nombre von Cary Fukunaga. Formal zerreisst dieser mexikanisch-amerikanische Thriller keine Stränge. Aber der Mix aus Gang- und Emigranten-Drama geht unter die Haut. Und das war sicher auch der Wunsch des Produzenten Gael García Bernal.
- Pizza Bethlehem von Bruno Moll. Junge Fussballerinnen mit ganz unterschiedlichen Wurzeln lassen die Kinozuschauer an ihrem Leben teilhaben.
- Nothing Personal von Urszula Antoniak. Unglaublich poetisches Filmgedicht über die Begegnung zweier Menschen, die Einsamkeit als Lebensform gewählt haben.
- Air Doll – Kûki ningyô von Hirokazu Kore-eda. Der japanische Meister verwandelt die Geschichte einer Sexpuppe in pure Poesie.
Im Filmpodcast morgen gibts es mehr zu Filmen, zum Dokfilmfestival in Nyon und zur österreichischen Filmförderung.
Nyon 10: RED SHIRLEY – ein Abend mit Lou Reed
Er ist tatsächlich gekommen, der Rockstar mit seinem Erstlingsfilm. Lou Reed ist trotz Aschewolke und Flugverboten nach Nyon gefahren, im Zug aus London, um heute Abend seinen ersten (und nach seiner Aussage auch letzten) Dokumentarfilm vorzustellen: Red Shirley, ein 28 Minuten langes Porträt seiner mittlerweile 101 Jahre alten Cousine. Es müsste nicht sein letzter sein, Red Shirley ist nicht nur ein berührendes Portrait einer alten Jüdin, die mit 19 Jahren ganz alleine aus Polen nach Kanada emigriert ist, und von dort nach nur sechs Monaten weiter nach New York, sondern auch ein (von Ralph Gibson) ansprechend gefilmtes, sehr dicht geschnittenes und vertontes (da kommt Lou Reeds eigene Expertise ins Spiel) rundes Werk. Die in einzelnen Momentaufnahmen aus ihren Erzählungen evozierte Sicht auf das Leben einer als oppositionelle Gewerkschafterin, also als „rote“, gegen die korrupte Union kämpfende, unerschrockene Frau, die unter anderem auch am Million Man March gegen die Segregation nach Washington dabei war, fügt sich zu einem ansprechenden kurzen Film, der keineswegs abfällt unter den übrigen in Nyon gezeigten Werken.
Nyon 10: GIALLO A MILANO – Made in Chinatown von Sergio Basso
Integration macht Spass. Nicht unbedingt im realen Leben und wahrscheinlich noch viel weniger in Italien. Aber dieser Dokumentarfilm zum Leben und Denken der Chinesen in Europas grösstem Chinatown, dem von Mailand, der ist ein Vergnügen. Ein kluges, witziges, charmantes, einnehmendes Plädoyer, ein Film, der seinen Schalk schon im Titel trägt. Der „giallo“, das ist der Krimi, der Schundroman, Pulp Fiction in Italien, abgeleitet vom gelben Umschlag einer einst extrem populären billigen Krimireihe eines italienischen Verlagshauses. Wörtlich heisst Giallo a Milano natürlich „gelb in Mailand“, aber auch Krimi in Mailand. Und wie einen Krimi hat der Sinologe und Dokumentarfilmer Sergio Basso seinen Film strukturiert. 15 Elemente brauche ein guter Thriller verkündet der Film am Anfang, und dekliniert die dann durch, vom „jungen Verräter“ bis zur „singenden Puppe“ oder der Verfolgungsjagd.
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Nyon 10: BEYOND THIS PLACE von Kaleo La Belle
Die Zeit für die Aufarbeitung der Gurus ist definitiv gekommen. Der junge, in der Schweiz lebende Amerikaner Kaleo La Belle hat mit Beyond this Place gestern Abend eben den dritten Film zum Thema an diesem Festival geliefert – und den berührendsten. La Belle hat seine frühe Kindheit als Sohn eines amerikanischen Proto-Hippie-Paares auf Maui erlebt. Bald aber ist sein Vater zu dessen sterbender Mutter in die USA zurückgekehrt, und schliesslich ist auch La Belles Mutter mit dem Sohn zu ihren Eltern zurück gereist – ausgerechnet ins kalte Detroit. Siebzehn Jahre nach seiner letzten Begegnung mit dem Vater versucht der Sohn nun eine Annäherung an ihn, diesen „Hippie-General ohne Truppe“, diesen Extremindividualisten, der dem Sohn auf den Vorwurf, er hätte seine Verantwortung als Vater nicht wahrgenommen, grinsend erklärt, jedes Kind suche sich seiner Eltern selber aus, das sei Karma. Der Vater, der seit seiner Erleuchtung nicht mehr Gordon La Belle heisst, sondern Cloud Rock, liebt vor allem drei Dinge: Sich selber, seine Drogen und das Fahrradfahren. Und da versucht der Sohn einzuhängen, er schlägt einen ausführlichen Fahrradtrip zum Spirit Lake und dem Mount Saint Helen vor – und der Vater steigt darauf ein.
Nyon 10: PLUG AND PRAY von Jens Schanze
Die Sektion tendances des Festivals hat tatsächlich die eine oder andere Überraschung zu Zeitfragen auf Lager. Jens Schanzes Plug & Pray setzt sich mit der Computertechnik, der Suche nach künstlicher Intelligenz und der Robotik auseinander. Aber nicht so, wie die meisten der atemlosen Technikmagazine am Fernsehen, sondern hauptsächlich über zwei Antagonisten. Einerseits den Zukunftsevangelisten Raymond Kurzweil, der den ersten Vorlese-Synthesizer für Blinde gebaut hat und seither unermüdlich die Zukunft beschwört, bis hin zu Nanocomputern, welche dereinst unsere roten Blutzellen ersetzen und als Maintenance-Systeme die ewige Jugend garantieren sollen. Auf der anderen Seite der 2008 verstorbene ehemalige MIT-Computerprofessor Joseph Weizenbaum, der im Alter zum unermüdlichen Advokaten für mehr Menschlichkeit und weniger technokratisches Zukunftsgebabbel geworden war.