Cannes 14: DEUX JOURS, UNE NUIT von Jean-Pierre und Luc Dardenne

Baptiste Sornin, Catherine Salée, Marion Cotillard
Baptiste Sornin, Catherine Salée, Marion Cotillard

Präzise wie ein Uhrwerk bringen die Frères Dardenne alle drei Jahre einen neuen Film an die Croisette. Mit Rosetta gewannen sie 1999 ihre erste goldene Palme, mit L’enfant 2005 die zweite und mit ihrem jüngsten Werk haben sie haben sie nun ganz real die Chance, als erste überhaupt in Cannes eine dritte Palme abzuholen.

Deux jours, une nuit ist in jeder Beziehung ein Dardenne-Film: Dokumentarisch präzise, dramaturgisch auf das absolute Minimum reduziert, durchs Band weg perfekt besetzt mit Laien und mit Profis, angesiedelt mitten im harten Leben der arbeitenden Mehrheit. Aber etwas ist anders: Zum ersten Mal haben die Dardenne-Brüder hier so etwas wie ein High Concept Movie versucht, einen jener Filme, deren Grundkonflikt sich in einem Satz beschreiben lässt – oder gar in einem Titel wie Snakes on a Plane oder ConAir. „Cannes 14: DEUX JOURS, UNE NUIT von Jean-Pierre und Luc Dardenne“ weiterlesen

Cannes 14: FUTATSUME NO MADO – Still the Water – von Naomi Kawase

Jun Yoshinaga und Nijiro Murakami
Jun Yoshinaga und Nijiro Murakami

Es ist die letzte Einstellung von Still the Water, welche diesen grossartigen Film für unverdienten Spott exponiert: Die Teenager Kaito und Kyoko, welche sich zuvor auf jeweils eigene Weise mit ihren Müttern auseinandersetzen mussten, sind erwachsen geworden. Sie hatten den Sex, welchen der empörte Kaito seiner Freundin zuvor trotzig verweigert hat, und sie schwimmen im Meer, von dem Kaito zuvor nichts wissen wollte.

Dass die Bilder den Kitsch von The Blue Lagoon mit Brooke Shields evozieren, ist unglücklich, denn Naomi Kawases jüngster Film ist wie immer das pure Gegenteil davon. Niemand hat in den letzten Jahren feinere und zurückhaltendere Bilder gefunden für die Zyklen von Leben und Sterben, Lieben und Hassen, Eifersucht und Hoffnung, als die Japanerin. „Cannes 14: FUTATSUME NO MADO – Still the Water – von Naomi Kawase“ weiterlesen

Cannes 14: FOXCATCHER von Bennett Miller

Steve Carell in 'Foxcatcher' von Bennett Miller
Steve Carell als Milliardär John Du Pont

Es ist eine unerwartet verrückte Geschichte, die sich der Capote-Regisseur diesmal ausgesucht hat. Und sie basiert auf einer tatsächlichen Begebenheit. Zwei Brüder, Wrestler mit Olympiagold und Ambitionen, werden vom Multimilliardär John Du Pont kurz vor den Olympischen Spielen in Seoul 1988 angeheuert, um ein US-Topteam zu trainieren, das Foxcatcher-Team.

Foxcatcher ist kein Sportfilm im klassischen Sinne, auch wenn man Channing Tatum und Mark Ruffalo sehr überzeugen in Action (und in Spandex) agieren sieht. Und Foxcatcher ist auch keine Komödie, trotz Steve Carell in der Rolle des – gelinde gesagt – exzentrischen Milliardärs. Der Film ist eine sorgfältig in Szene gesetzte, sich langsam und unaufhaltsam entwickelnde Tragödie. Und ein meisterliches Stück Rekonstruktions- und Spekulationskino. „Cannes 14: FOXCATCHER von Bennett Miller“ weiterlesen

Cannes 14: MAPS TO THE STARS von David Cronenberg

Mia Wasikowska in 'Maps to the Stars' von David Cronenberg 3
Mia Wasikowska in ‚Maps to the Stars‘ von David Cronenberg

Wenn David Cronenberg sich Hollywood vorknöpft, darf man durchaus gespannt sein. Aber dieser satirische Thriller aus der Feder von Bruce Wagner kommt selten über das halbe Dutzend Filme hinaus, die wie schon kennen.

Los Angeles und insbesondere Beverly Hills ist bevölkert von paranoiden Has-Beens, Startherapeuten und verzogenen Gören. „Cannes 14: MAPS TO THE STARS von David Cronenberg“ weiterlesen

Cannes 14:
THE HOMESMAN von Tommy Lee Jones

Hailee Steinfeld und Tommy Lee Jones in 'The Homesman'

Mary Bee Cuddy (Hilary Swank), eine charakterstarke einsame Frau in einer kleinen Frontier-Stadt in Nebraska, entschliesst sich, drei andere Frauen, welche das harte Leben im Westen um den Verstand gebracht hat, in einem Wagen vierhundert Meilen nach Iowa in ein Pflegeheim zu fahren – weil keiner der Männer in der Stadt dafür Manns genug ist.

Es ist The African Queen, als Western erzählt, mit Hilary Swank in der Rolle der Katharine Hepburn und Regisseur Tommy Lee Jones in der Rolle von Humphrey Bogart. Denn der Drifter, der sich George Briggs nennt, hilft Mary Bee bloss, weil sie ihn vor dem Tod am Strang gerettet hat. Und ihm eine grosse Flasche Whisky und dreihundert Dollar verspricht, wenn er sie und die drei Frauen im vergitterten Wagen heil durch Prärie bringt.

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THE HOMESMAN von Tommy Lee Jones“
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Cannes 14: LE MERAVIGLIE von Alice Rohrwacher

Le meraviglie von Alice Rohrwacher

Ausgerechnet Gelsomina, wie die Heldin in Fellinis La strada, heisst die Hauptfigur vn Le meraviglie. Sie ist die Tochter eines Aussteigers aus Deutschland oder Holland und einer Italienerin und hat drei jüngere Schwestern. Die Familie lebt in Umbrien auf einem abgelegenen Hof in der Nähe eines Sees, hauptsächlich von der Bienenzucht.

Auf den ersten Blick scheint es etwas unfair, Alice Rohrwachers zweiten Film mit Ursula Meiers Home von 2008 zu vergleichen. Schliesslich war Meiers starke Geschichte von der Familie an der unfertigen Autobahn eher metaphorisch, während Rohrwacher wie schon mit Corpo celeste impressionistisch naturalistisch erzählt. Aber der Kern beider Filme ist eine autarke, isolierte Kleinfamilie, im Fokus eine adoleszente Tochter.

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Cannes 14: SAINT LAURENT von Bertrand Bonello

Gaspar Ulliel ist Yves in 'Saint Laurent' von Bertrand Bonello
Gaspar Ulliel ist Yves in ‚Saint Laurent‘ von Bertrand Bonello

Jalil Jespert war schneller im Kino mit Yves Saint Laurent und schaffte es dafür bloss in die Berlinale. Bertrand Bonello kommt erst jetzt, muss auf das ‚Yves‘ im Titel verzichten und hat es dafür mit Saint Laurent in den Wettbewerb von Cannes geschafft. Warum? Naja. Bonello. Cannes. Frankreich. YSL.

Nicht nur in Fankreich kommt es hin und wieder zum Produzentenkrieg um einen Filmstoff. Zuletzt vor drei Jahren um das Remake des Klassikers La guerre des boutons, von dem dann tatsächlich zwei neue Versionen ins Kino kamen, eine schlechte und eine schlechtere. „Cannes 14: SAINT LAURENT von Bertrand Bonello“ weiterlesen

Cannes 14: RELATOS SALVAJES von Damián Szifrón

RELATOS SALVAJES par Damián Szifrón 2

Etwas wirklich Vergleichbares zu diesem Film aus Argentinien habe ich in Cannes noch nie im Wettbewerb gesehen. Schwarzer Humor kommt immer wieder vor, bei den Coens oder auch bei Tarantino. Aber diese „neuen Wilden“ von Damián Szifrón, die haben andere Vorbilder.

Es ist ein Episodenfilm, dessen Geschichten gemeinsam haben, dass jemand seine Wut nicht mehr schlucken mag und zurückschlägt. Das ist komisch und grotesk, etwa wenn sich zwei Autofahrer auf einsamer Bergstrasse so weit provozieren, dass am Ende beide tot sind. „Cannes 14: RELATOS SALVAJES von Damián Szifrón“ weiterlesen

Cannes 14: WINTER SLEEP – Kis Uykusu – von Nuri Bilge Ceylan

Winter Sleep (4)

Mit drei Stunden und sechzehn Minuten hat uns der türkische Meister in Cannes dieses Jahr am meisten Sitzvermögen abverlangt. Aber das Sitzen und Schauen lohnt sich. Der Film erinnert an Bergmann, ein wenig an Lars von Trier und vor allem klar an Nuri Bilge Ceylan.

Dabei ist Winter Sleep für Ceylans Verhältnisse ein überraschend redseliger Film. Andauernd wird Moral verhandelt, Gerechtigkeit und richtiges Handeln. Und andauernd passiert das Gegenteil. Im Zentrum steht die Geschichte eines reichen älteren Mannes und seiner eben so schönen wie unglücklichen jungen Fau.

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Cannes 14: THE CAPTIVE von Atom Egoyan

'The Captive' von Atom Egoyan © Ascot-Eite

Ein kleines Mädchen wird entführt, und acht Jahre später findet sie einen raffinierten Weg, ihren perversen Kerkermeister und seinen Pädophilenring auszutricksen und freizukommen.

Es ist alles da, was die frühen Filme von Atom Egoyan spannend, komplex und vielschichtig gemacht hatte: Langsam aufgedeckte Familientragödien (The Adjuster, 1991), multiple Perspektiven (Family Viewing, 1987) und Obsessionen (Exotica, 1994). Aber etwas fehlt. „Cannes 14: THE CAPTIVE von Atom Egoyan“ weiterlesen