Manchmal bringt es etwas, einen Film erst sehr spät zu sehen. Im Fall von David Finchers F. Scott-Fitzgerald-Verfilmung The Curious Case of Benjamin Button habe ich einen ganzen Monat gebraucht, einen Monat, in dem ich diverse Besprechungen gehört und gelesen habe, und gesehen habe, wie der Film von dreizehn Oscar-Nominationen ganze drei einlösen konnte, alle drei für seine Oberflächengestaltung (Makeup, Art Direction, Visual Effects). Tatsächlich, so scheint mir, hat David Fincher diese sehr oberflächlich geschriebene, auf einem einzigen Einfall ruhende Geschichte Fitzgeralds sozusagen flächendeckend ausgebreitet. Entsprechend anregend funktioniert diese mit Gold- und Silberfäden durchwirkte filmische Webarbeit, und nach jeder sorgfältig eingeflochtenen Anregung zur gedanklichen Vertiefung blitzt Fincher die mit einem kleinen szenischen Gag weg: Da ist der Altersheimbewohner, der – als running Gag – immer wieder erzählt, wie er sieben Mal in seinem Leben vom Blitz gegtroffen worden sei. Und jedes Mal zeigt Fincher einen dieser Blitzschläge, auf liebevoll gealtertem Filmmaterial.
Wenn die Tagebuchstimme Benjamins von seinen nächtlichen Begegnungen mit einer britischen Diplomatengattin (Tilda Swinton) in einer russischen Hotellobby erzählt, gehört dazu auch die Schilderung einer Maus, die durch die Lobby huscht. Und die bringt Fincher natürlich auch ins Bild; er lässt sie huschen und lenkt damit das Kinopublikum für einen Moment von der Hauptbühne, der einen filmischen Oberfläche ab, indem er auf eine andere taucht, die genau so oberflächlich bleibt. Erst nach dem Kinobesuch realisiert man, wie sehr diese Oberflächenwechsel im Gedächtnis bleiben. Was genau sollte diese Maus? Was hat es mit dem siebenfach geblitzten Mann auf sich? Seine Erkenntnis, dass nicht die Frage nach dem Grund für die sieben Blitzschläge ausschlaggebend ist, sondern die Tatsache, dass er nach jedem Überleben erneut dankbar sein konnte für sein Überleben, ist eine weitere kleine Oberflächlichkeit. Eine Oberflächlichkeit, die sich spiegelt in der (behaupteten) zentralen Erkenntnis des Films: nichts ist von Dauer.
Wenn Birgit Glombitza in der taz findet, im Film gehe es nicht zuletzt um die bedrohte Männlichkeit, dann ist das mindestens so anregend und vertiefend, wie der Jubel von Iris Radisch in der Zeit, welche den Film vor allem als ars-moriendi-Tableau gesehen hat, als Rückkehr in eine ‚Welt, in der der Tod noch einen Goldrand hatte‘.
Dabei ist gerade diese sehnsüchtige Todesmelancholie des Films einer der eingewobenen externen Silberfäden. Brad Pitt funktioniert recht gut als Benjamin Button, auch wenn Make-Up und Spezialeffekte das ihre dazu beitragen. Das ändert aber nichts daran, dass der Schauspieler bloss eine Reprise seiner Paraderolle in Martin Brests Meet Joe Black von 1998 liefert. Dort spielte er zwar gleich den Tod selber, aber die verträumte Art, wie er als Joe Black den Peanut-Butter-Löffel ableckt, spiegelt sich eins zu eins in der Szene, in der ihn Tilda Swintons Diplomatengattin im aktuellen Film in den Genuss des Kaviars einführt.
Finchers Film ist ein Webwerk aus ‚bedeutungsvollen‘ Gegenwartsflicken. So ist die Ansiedlung der Geschichte in New Orleans und der Rahmenhandlung in den Stunden vor dem endgültigen Loswüten des Wirbelsturms Katrina in erster Linie ein weiterer Versuch einer Verankerung. Brad Pitts persönliches Engagement beim Wiederaufbau von New Orleans spielt da eben so in die Assoziationsketten hinein wie das Bild von der rückwärtslaufenden Bahnhofsuhr, welches der Film detailliert auskostet bis zu dem Zeitpunkt, wo die Katrina-Fluten die stillgelegte Uhr im Lagerraum erreichen. Kaum ein Kinogänger, der sich nicht an die Rathaus-Uhr in der Back to the Future-Serie erinnert fühlt. Und keine Kinogängerin, welche nicht zumindest den Untergang und die Wiederauferstehung der Stadt New Orleans mit dem bisher symbolträchtigsten Versagen des amerikanischen Staates in Verbindung brächte.
Vielleicht ist das Bild des aus Fäden gewirkten Wandteppichs auch nicht ganz schlüssig. Angesichts der vielen Flicken drängt sich eher das schon etwas abgenutzte Bild vom American Quilt wieder auf, der seit seiner Renaissance im Zusammenhang mit den grossen Aids-Epidemien auch zu einem Stück ars moriendi in der amerikanischen Kultur geworden ist.
The Curious Case of Benjamin Button ist so gesehen wohl der bisher experimentellste Film von Fincher – seiner gefälligen Oberflächlichkeit zum Trotz. Und wenn man daran denkt, wie viel Sorgfalt und Aufwand Fincher bisher in die Titelvorspänne seiner Filme gesteckt hat (die Collagen von Se7en, die dreidimensionalen Schriftzüge von Panic Room), dann sind die paar Knöpfe, welche beim aktuellen Film gerade mal die Poduktionslogos unterlegen, ein echtes Understatement. Das könnte durchaus daran liegen, dass im Fall von Benjamin Button eigentlich der ganze Film einen einzigen, liebevoll gestalteten Vorspann darstellt, ein Vorspann als Möbius-Band des in sich selber zurückkehrenden Lebens.
Warum eigentlich kein Verweis auf „Forrest Gump“? Der liegt nämlich auch recht nahe: http://www.updatefilm.de/blogs/oliver-schuette/2009-02-09_fundstuecke-the-curious-case-of-forrest-gumpbenjamin-button
@benepp Stimmt natürlich, mit Eric Roth ist ja auch die gleiche Feder an beiden Konstruktionen schuld. Aber ich hasse ‚Forrest Gump‘ dermassen inbrünstig, dass ich den Film so selten wie möglich erwähne.