Berlinale 2012: Wettbewerb I

'Les adieux à la reine' ©praesens
'Les adieux à la reine' ©praesens

Die 62. Berlinale ist schon 3 Tage alt, Zeit für ein kurzes Nachdenken über die erste Handvoll Filme. Wollte man die ersten sechs im internationalen Wettbewerb gestarteten Filme auf einen Nenner bringen, so ist dieser schnell gefunden: „Eingeschlossensein“ oder „Gefangenschaft“ wären die Schlagworte, die man ausnahmslos jedem dieser Filme zuschreiben kann. Gesehen habe ich davon fünf. Den Start machte als Eröffnungsfilm Les adieux à la reine – ein historisches Drama von Benoït Jaquot mit Léa Seydoux und Diane Kruger in den Hauptrollen. Der Film spielt ausnahmslos im Schloss Versailles – sowohl in den Prunkgemächern, als auch in den schäbigeren Regionen dieses höfischen Universums, dort wo Lakaien, Dienstmädchen, aber auch niedrige Adelige sich zusammenscharen, um den Hofstaat von Louis XVI und Marie-Antoinette zu bilden.

Das ganz zu Beginn eingeblendete Datum „14. Juillet 1789“ ist ein Fanfarenstoss. Man weiss, jetzt wird bald nichts mehr so sein, wie es einmal war, schon gar nicht im Schloss Versailles. Aber – und das macht diesen Film so interessant – gerade in dieses Universum für sich, das dieses Schloss ist, sickern die Nachrichten von den Ereignissen erst so nach und nach tröpfchenweise durch.

Léa Seydoux in 'Les adieux à la reine' ©praesens
Léa Seydoux in 'Les adieux à la reine' ©praesens

Mit der Hauptfigur Sidonie (Léa Seydoux) sitzt man im Auge des Sturms, mittendrin, in den Zwängen eines höfischen Alltags gefangen, der sich jedoch nach und nach in ratloses Chaos verwandelt. Kammerspiel kann man es nicht nennen, was Benoït Jaquot gedreht hat, dafür ist Versailles zu gross und die Personen zu zahlreich. Dennoch ist es eine Geschichte im geschlossenen Universum, deren hinlängst bekanntes Ende denn auch ausgespart wird – der Plot verlässt die Hauptfiguren der Historie, Marie-Antoinette und Louis XVI und bleibt bei der Hauptfigur des Films, Sidonie.

Alain Gomis: Aujourd’hui

Aujourd’hui von Alain Gomis ist auch die Geschichte eines Mannes, von dem man zu Beginn schon weiss, dass er am Ende sterben wird. Der Film folgt dem Senegalese Satché bei seinem letzten Tag im Leben. Weil Satché scheinbar auch erst gerade von einer Reise zurück ist (das erfährt man aber eigentlich nur aus dem Programmheft) mäandriert die Geschichte Satchés zwischen Wiedersehensfreude und Abschied nehmen.

'Aujourd'hui' von Alain Gomis
'Aujourd'hui' von Alain Gomis

Das bleibt alles immer etwas zu mysteriös und zu bemüht absurd, nie wird klar, warum der junge gesunde Mann am Abend sterben soll und wohin die Geschichte führen soll. Immerhin ist es faszinierend, dem Spiel Saul Williams zuzuschauen, der den mal verzweifelten, mal schicksalsergebenen Satché sehr eindringlich gibt.

Paolo und Vittorio Taviani: Cesare deve morire

Die italienischen Brüder Paolo und Vittorio Taviani haben im Gefängnis gefilmt: In einer italienischen Hochsicherheitsstrafanstalt wird Shakespeares Julius Cäsar aufgeführt. Cesare deve morire heisst das Werk der Altmeister des italienischen Kinos. Und es ist der stärkste Beitrag bisher im Wettbewerb. Der Film ist tatsächlich im Gefängnis gedreht, die Protagonisten sind alles Langzeithäftlinge, Mafiosi, Drogenschmuggler, Mörder. Aber der Film ist keine realistische Dokumentation als Gegenüberstellung von Gefängnisalltag und Kunst.

'Cesare deve morire' von den Taviani-Brüdern
'Cesare deve morire' von den Taviani-Brüdern

Etwas viel Kunstvolleres haben die Taviani-Brüder aus dieser Ausgangslage gemacht. Starke, unglaublich schöne Bilder, zumeist in sehr weich gehaltenem Schwarzweiss und Szenen, in denen nicht immer ganz klar ist, ob jetzt Shakespeare oder Gefängnisalltag gespielt wird. Die Männer, die mit ihrer ganzen Energie dieses Projekt in Angriff nehmen, sind dabei ungebrochen authentisch, ob sie nun Cäsar, Cassius und Brutus oder Cosimo, Salvatore und Giovanni sind. Und obwohl in Schwarzweiss und immer irgendwo in einer Zelle, in einem vergitterten Hof oder in einem Gefängnisgang gefilmt, hat man das Gefühl, durch die Gewalt und Stärke von Shakespeares Stück und vor allem vom Spiel der Protagonisten, alle diese Mauern und Gitter für einen Moment zu durchbrechen und im antiken Rom zu sein. Starkes Kino!

Christian Petzold: Barbara

Christian Petzold hat mit Barbara ein stilles DDR-Drama in den Wettbewerb geschickt. Barbara (Nina Hoss) ist Ärztin und (weil sie immer wieder unter Klassenfeind-Verdacht steht) in die Provinz zwangsversetzt. Dort trifft sie auf den Arzt André (Roland Zehrfeld), der zwar Rapporte über Barbara abliefern muss, trotzdem aber zu der misstrauischen Ärztin eine Freundschaft aufbaut. Die Stasi ist immer präsent, Barbara, die einen Freund im Westen hat, einen Ausreiseantrag gestellt hat und Fluchtgedanken hegt, wird permanent überwacht und immer wieder mit Haus- und Leibesvisitationen schikaniert. Petzold verzichtet auf grosses Drama, auf laute Töne oder (gottseidank!) gar auf Ostalgie. Stattdessen kreiert er Atmosphären, der ständigen Angst, des Misstrauens, aber auch von plötzlichem Vertrauen. Ein feines Drama mit Zwischentönen – und einer grossartigen Nina Hoss in der Hauptrolle.

Nina Hoss ist Christan Petzolds 'Barbara'
Nina Hoss ist Christan Petzolds 'Barbara'

Antonio Chavarrías: Dictado

Aus Spanien schliesslich stammt ein Horrorfilm von Antonio Chavarrías: Dictado. Wobei sich der Horror schliesslich in Grenzen hält und der Film in der zweiten Hälfte stark zu wünschen übrig lässt. Dabei wäre die Anlage des Films ziemlich viel versprechend: der Lehrer Daniel, verheiratet mit seiner Kollegin Laura glaubt, in einem Kind, das zu den beiden in Pflege kommt, ein anderes Mädchen zu sehen, das einst wegen ihm und seinem Stiefbruder Mario ums Leben gekommen ist. Der Film zeigt in der ersten Hälfte eindringlich Daniels Veränderung vom charmanten Lehrer zum von Wahn- und Zwangsvorstellungen Heimgesuchten. Aber dann verfängt er sich leider in Stereotypen und lässt am Ende vor allem eines vermissen: den Horror, den er versprochen hat.

Dictado Poster

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