Nach der prestigeträchtigen Einladung in die Quinzaine des réalisateurs in Cannes hat der schweizerisch-französische Animationsfilm Ma vie de Courgette von Claude Barras nun letzte Woche am Animationsfilmfestival in Annecy abgeräumt. Die Westschweizer Medien haben das Ereignis gefeiert. In der Deutschschweiz reichte es gerade noch für ein paar Meldungen. (mis)
von Rolf Bächler:
Der donnernde Applaus brach beim ersten Titel des Abspanns los und brauste erneut auf, als das Licht anging und sich der ganze Saal zu einer Ovation erhob, die erst nach mehreren Minuten abflaute. Mitten drin Claude Barras, gerührt und strahlend, dessen erster Langfilm, Ma vie de Courgette, eben im Wettbewerb um den Cristal d’Annecy im grossen Saal des Bonlieu-Zentrums gezeigt worden war, dem Hauptspielort des Festivals.
Nach zwei Vorführungen auf den Nebenschauplätzen im Pathé-Multiplex hatte zu diesem Zeitpunkt bereits das Gerücht die Runde gemacht, diesen Film dürfe man unter keinen Umständen verpassen, und auch in den folgenden Tagen hielt sich «Courgette» in der Spitzengruppe der meist besprochenen Werke. Die Enthüllung anlässlich der Preisverleihung, dass er die Herzen der Zuschauer definitiv am meisten erobert hatte, konnte deshalb nicht wirklich überraschen.
Umso stärker dann der Emotionsschub bei der Verkündung des Cristal d’Annecy für den besten Langfilm, als das Unwahrscheinliche Tatsache wurde: die Doublette der beiden prestigeträchtigsten Auszeichnungen in der Welt der Animation (die Oscars sind eine amerikanische Angelegenheit).
Ausser vom väterlichen Polizisten im Film und vom Publikum in den Kinosälen war der kleine Waisenknabe auch von der professionellen Jury adoptiert worden. Und dies, obschon das Projekt eigentlich mit einer der unwahrscheinlichsten Prämissen als Vorschlag für einen Kinderfilm an den Start gegangen war: Die Geschichte eines von seinem Vater früh verlassenen Knaben, der aus Versehen seine alkoholkranke Mutter umbringt und in ein Waisenhaus kommt, wo sich seine Schicksalsgenossen über Themen wie die Prozedur der Fortpflanzung unterhalten.
Es brauchte eine Tragzeit von 10 Jahren, davon 10 Monate für die Aufnahmen, bis das Projekt endlich das Licht der Leinwand erblickte. Wendigkeit im Umgang mit Widrigkeiten, gepaart mit sanfter Hartnäckigkeit und vor allem grosse Ausdauer, welche vom Glauben des Regisseurs an sein Vorhaben zeugt, sind die Qualitäten, die zu einem aussergewöhnlichen und berührenden Werk geführt haben, das an die Klassiker unter den Melodramen für Kinder anknüpft.
Ma vie de Courgette startet am 19. Oktober in den Kinos der Romandie und im Februar 2017 in der Deutschschweiz