So richtig zur Sache geht es in dem Moment, in dem Nicole Kidman mit blutbeflecktem Rock und schmalen Lippen Kirsten Dunst auffordert: «Bring me the anatomy book!» Spätestens hier ist Sofia Coppolas Remake des Don Siegel/Clint Eastwood-Klassikers von 1971 wirklich «Southern Gothic» vom Feinsten.
Aber wirklich sehen lassen kann sich auch schon die langsam hochgekochte Geschichte davor. Mitten im amerikanischen Bürgerkrieg hüpft ein Schulmädchen mit Zöpfen und Körbchen durch den Wald. Sie sucht Pilze, findet aber einen Nordstaaten-Soldaten mit verwundetem Bein.
Der schmucke Corporal John McBurney (Colin Farrell) erkundigt sich vorsichtig danach, wo und mit wem sie denn lebe, und sie erklärt eifrig und unschuldig, in der Mädchenschule von Ms. Farnsworth, und nein, Männer habe es keine mehr da, es seien nur noch sie und drei weitere Schülerinnen, die Lehrerin und die Schulleiterin auf dem Anwesen.
Und dann hilft sie dem Verletzten beim Aufstehen und bringt ihn zum Schrecken der anderen zum grossen Herrschaftshaus, einen Feind, einen potentiellen Vergewaltiger, wie eines der Mädchen sofort verkündet.
Martha Farnsworth (Nicole Kidman) lässt sich von ihrer mehrheitlich über die Abwechslung erfreuten Schützlingsschar überzeugen, dass es ihre christliche Pflicht sei, den Verletzten erst gesund zu pflegen und erst dann den eigenen Soldaten als Kriegsgefangenen zu übergeben.
Damit beginnt der Reigen, der Mann wird schnell zum Hahn im Korb und versteht es, jedem der Mädchen und jeder der Frauen das Gefühl zu geben, gerade sie sei die Schönste und seine Vertraute. Bis ein unvorsichtiger nächtlicher Besuch in einem der Mädchenzimmer zum Wendepunkt wird und Nicole Kidman in der Folge eben nach dem Anatomie-Buch verlangt.
Der Film von Don Siegel mit Clint Eastwood in der Rolle des verletzten Soldaten war schon bei seinem Erscheinen 1971 ein gut gemachtes, wirkungsvolles Kuriosum. Über die Skrupellosigkeit und den Opportunismus des ganz klar als charakterlosem Deserteur eingeführten Mannes lässt einem die Regie nicht lange im Zweifel. Über Rückblenden und mit Voice over Passagen wird in den ersten Minuten klar gemacht, dass Eastwoods Figur lügt, dass sich die Balken biegen.
Umso wirkungsvoller dann eben die Anziehungskraft, die er auf die Frauen und Mädchen hat, die so lange schon ohne männliche Gesellschaft in dem Anwesen auf sich selber gestellt waren.
Und verblüffend schon damals Clint Eastwoods instinktive Attraktion für diese Rolle eines Mannes, die in ihrer moralischen Ambivalenz so ganz anders war, als die amerikanischen Helden seiner frühen Jahre, und so viel näher bei seinen europäisch geprägten Sergio Leone-Figuren.
Sofia Coppola hält sich plotmässig an das Original, mit signifikanten Weglassungen. Sie verzichtet verständlicherweise auf Voice over und Rückblenden, zwei erzählerische Krücken, die schon Don Siegel eher ironisch verwendet hatte, und die heute schlicht nicht mehr funktionieren würden.
Dann erklärt die kleine Amy dem verletzten Mann, dass die Sklaven vom Anwesen schon längst geflohen seien, damit ist das Thema bequem erledigt. Im Original gibt es noch eine schwarze Frau, die als einzige mehr oder weniger immun bleibt gegenüber den Reizen des Fremden, und die zudem mit ihrer eigenen Familiengeschichte noch ein weiteres düsteres Licht auf die Geschichte der Sklavenhalterfamilie der Ms. Farnsworth wirft.
Dass Sofia Coppola diese im heutigen Kontext unendlich viel heiklere Seitenlinie nicht angehen mochte, ist verständlich. Zumal sie wenig zu tun hat mit der für ihren Film zentralen weiblichen Aufgeregtheit und Entschlossenheit.
Und schliesslich verzichtet Coppola auch auf den inzestuösen Hintergrund, der die Schulleiterin im Film von 1971 erpressbar macht. Coppola setzt voll und ganz auf Anziehung, Täuschung und Spiel.
Sofia Coppolas Version von The Beguiled ist mit 95 Minuten zehn Minuten kürzer als der Film von 1971, dichter, stimmungsvoller, psychologisch stimmiger und vor allem unendlich viel schöner. Colin Farrell lässt nicht nur die Damen des Hauses im Ungewissen über seine wahre Natur, sondern weitgehend auch das Publikum.
Dafür wissen die jungen Frauen und die Mädchen eigentlich immer, woran sie sind, mit sich selber, untereinander und im Hinblick auf den Fremden. Mit Ausnahme der von Kirsten Dunst gespielten Lehrerin. Sie ist die verwundbarste von allen und die einzige, die im Reigen um Attraktion und Macht eher Spielfigur bleibt als Spielerin.
Sofia Coppola holt das Maximum heraus aus der Kernanlage des Frauenhaushalts mit Männerbesuch. Dabei bleibt sie aber ihren Mädchen zugetan, lässt die Figuren viel weniger als die Vorlage zu Typen werden, und ist vor allem stets darauf bedacht, die subtilen und weniger subtilen Verschiebungen im emotionalen und tatsächlichen Machtgefüge im Auge zu behalten.
Es ist erstaunlich und erfreulich, wie zeitgenössisch und eindringlich Sofia Coppolas Neuinterpretation dieser Geschichte geworden ist, insbesondere angesichts der Tatsache, dass sie am Plot kaum etwas geändert hat, und manche Einstellung auch direkt zurück verweist auf das, was Don Siegels Film mit Clint Eastwood im Rückblick völlig unzeitgemäss erscheinen lässt.
The Beguiled war 1971 ein Kuriosum, ein Film, der ein paar Jahre vor den unsäglichen Sklaven-Exploitation-Filmen wie Mandingo oder Drum einen überraschenden Blickpunkt fand, seine Protagonistinnen zum starken Geschlecht erklärte und den Mann zum opportunistischen Feigling, und dies alles vor einem Bürgerkriegshintergrund. Inhaltlich war schon der Roman von Thomas Cullinan seiner Zeit voraus, und Don Siegels effiziente Verquickung von altmodischen filmischen Erzählformen mit überraschenden Perspektiven und Wendungen eben so.
In Sofia Coppolas Version von The Beguiled steckt nun eine Gegenwärtigkeit, eine fliessende weibliche Sichtweise, gepaart mit einer exquisiten Schönheit und einem zuweilen überraschend klaren Humor, der diesen Film mitten im Zeitgeist ansiedelt. Und für einmal ist das nicht opportunistisch, sondern richtig, grosszügig und feinfühlig.