Ein Film im Wettbewerb, der lange nachhallt – und das nicht nur des auffällig senfgelben Mantels, den der Protagonist praktisch immer trägt.
Synonymes ist ein kluger, einfühlsamer und manchmal auch schräger und geheimnisvoller Film über Ablösung und Neuanfang – in dem sehr viel über die Sprache passiert. Den FIPRESCI-Preis der Kritikerinnen und Kritiker hat er schon gewonnen hier in Berlin.
Yoav (Tom Mercier), ein junger Israeli, möchte in Paris neu beginnen. Aber dass er quasi praktisch stirbt und neu geboren wird bei seiner Ankunft, hat er wohl nicht geplant.
Während er in der leeren Wohnung duscht, weil ihm so kalt ist, wird ihm alles gestohlen. Nackt bleibt er zurück, klopft an Wohnungstüren, niemand öffnet. Er geht zurück in die Badewanne, wo ihn am nächsten Morgen schliesslich das junge Paar von unten, Emile (Quentin Dolmaire) und Caroline (Louise Chevillotte) finden. Sie nehmen ihn zu sich, wärmen ihn, kleiden ihn ein und geben ihm Geld.
Für Yoav ist dieser Verlust aller persönlichen Dinge keine Katastrophe, sondern quasi Voraussetzung für sein Projekt: er möchte seine Vergangenheit, sein Leben in Israel so komplett hinter sich lassen, dass er sich weigert, auch nur ein Wort hebräisch zu sprechen.
Sein erster Kauf ist ein Synonymwörterbuch, und nun läuft er mit gesenktem Kopf durch die Strassen von Paris und spricht französische Wörter, Synonyme vor sich hin. Der Film folgt Yoav, der ein merkwürdig steifes, altmodisches Hochfranzösisch spricht, und der nun von einer merkwürdigen Situation in die nächste gerät. Gerüst des Films ist die Freundschaft, die sich zwischen Yoav und Emile bildet (und, etwas verschoben dazu, die Affäre mit Emiles Freundin Caroline).
Emile ist primär Sohn eines reichen Fabrikanten, versucht sich erfolglos als Schriftsteller, und hat sich mit Caroline ein (im Film etwas überzeichnetes) stereotypes Pariser Grossbürgerleben aufgebaut – beide sind allerdings noch keine 30 Jahre alt. Sein langweiliges Leben bietet nicht die Geschichten, die er braucht, um zu schreiben. Yoav hingegen, der nichts hat, hat Geschichten, erzählt die schrägsten Erlebnisse, vor allem aus dem Militärdienst, der – wie in so vielen Filmen aus Israel – Hauptgrund für sein Trauma und seine Abkehr von Israel ist.
Nadav Lapid verarbeitet in Synonymes eigene Erlebnisse, erzählt wahrscheinlich eigene Geschichten, überhöht, verzerrt, fiktionalisiert vielleicht. Aber man kann sehr gut nachvollziehen, was diese vollkommene Abkehr von Israel und von seiner Muttersprache bedeutet und wie dieser verzweifelte Versuch, so schnell wie möglich neue Wurzeln zu schlagen, in einem fremden Land mit fremder Sprache, so schnell nicht aufgehen kann.
Und so lernt Yoav Wortschatz, Synonyme, um über die Differenziertheit der Sprache auch seine neue Heimat Paris und die Franzosen besser kennen zu lernen. In einer Schlüsselszene sieht man ihn, der dringend Geld verdienen muss, bei einem Fotografen. Dieser bittet ihn, den Finger in den Anus zu stecken und dabei auf Hebräisch obszön zu sprechen. Yoav, der im Französischen unablässig seinen Wortschatz vergrössert, ihm bleiben nun die hebräischen Wörter weg, keine Synonyme fallen ihm ein, er kann nur noch stammeln und ab und zu das Wort «Schwanz» auf Hebräisch sagen.
Synonymes ist eine wunderbare Tragikomödie, die zeigt, dass wir Identität nicht einfach abstreifen können und eine neue annehmen. Das muss auch Yoav erkennen: einmal schenkt er dem einfallslosen Emile alle seine Geschichten. Um sie dann, gegen Ende des Films, wieder zurück zu verlangen. Er braucht auch seine Vergangenheit, um sich in der neuen Gegenwart zurecht zu finden.