PETITE SOLANGE von Axelle Ropert

Solange (Jade Springer) ©2021 Aurora Films

Axelle Ropert schrieb das Drehbuch zu Madame Hyde mit Isabelle Huppert, der 2017 in Locarno zu sehen war. Ihr präziser Blick auf Klassenzimmer und Teenager ergänzte dort wunderbar die zunehmend überzeichneten Leiden der Lehrerin und ihr anschliessendes kathartisches Wechseln in den Monster-Modus.

Für ihre vierte lange Regiearbeit hat sie auch das Drehbuch selber geschrieben. Und die Geschichte der «kleinen» Solange bleibt realistisch und fein.

Solange (Jade Springer) und ihre Freundin Lili (Marthe Léon) ©2021 Aurora Films

Solange (Jade Springer) ist dreizehn Jahre alt. Sie lebt mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder (Grégoire Montana) in Nantes. Der Vater (Philippe Katerine) hat ein Instrumentengeschäft, die Mutter (Léa Drucker) ist Schauspielerin.

An der Gartenfeier zum zwanzigsten Hochzeitstag ihrer Eltern charakterisiert Antoine Maserati seine Tochter als übersprudelnd und lebensfroh, den Sohn dagegen als verschlossenen Grübler. Eine akzeptierte Konstellation, alle mögen sich. Die Dreizehnjährige begeistert sich für Greta Thunberg und interessiert sich für einen klavierspielenden Jungen an der Schule, der auch ihrer besten Freundin gefällt.

Solange und ihre Mutter (Léa Drucker) ©2021 Aurora Films

Die Welt der Solange beginnt Risse zu bekommen, als sich die Eltern immer häufiger streiten; eine Trennung erscheint plötzlich nicht mehr ausgeschlossen und Solange versinkt in sich selber.

Petite Solange ist einerseits ein weiterer Scheidungskinderfilm. Ein gut beobachteter, schön inszenierter, präziser Irrlauf eines überforderten Teenagers und ihrer noch viel mehr überforderten Eltern.

Andererseits ist so wenig auffällig an diesem Film, dass ein ansonsten unbemerktes Stilmittel wie der Musikeinsatz ein ganz eigenes Gewicht bekommt. Insbesondere die Mischung von diegetischer und nicht diegetischer Musik, also von Filmmusik und Musik, die im Film sichtbar gespielt wird.

Immer wenn ein Instrument gespielt wird in Petite Solange fügen sich die erzeugten Töne in die Musik ein, die ohnehin schon die Szene unterlegt, ob der Junge in der Schule auf die Klaviertasten drückt, oder Solange später auf ein entsorgtes E-Piano im Regen auf einer Mülltonne.

Solange und ihr Vater (Philippe Katerine) ©2021 Aurora Films

Ähnlich verfährt Ropert mit Musik vom Plattenspieler oder am Radio: Da gibt es keine klare Trennung zwischen der Realität im Film und der Realität des Films.

In einer weniger alltäglichen, mehr konstruierten Geschichte bekäme so ein technisches Detail eine eigene Bedeutung. In diesem Film allerdings ist dies das einzige Element, das auf die Gemachtheit des Ganzen, die Inszenierung, verweist.

Ein recht interessantes Verfahren, um zwischen den gefühlten, ungefassten Nöten der Dreizehnjährigen und deren Inszenierung durch die Filmemacherin zu vermitteln. Und ein Vorgang, der sich am Ende in der Handlung spiegelt, wenn eine Psychiaterin mit Solange über ein Buch und ein Märchen redet und über deren Bedeutung für das Mädchen.

Denn da zeichnet sich ab, was in der nächsten und letzten Szene des Films bestätigt wird: Solange hat einen Blick auf sich gefunden, sie hat einen Umgang mit dem Schmerz gelernt, sie kann ihrer Familie sogar erklären, wie sie sich diesen Umgang wünscht.

Und damit wird Petite Solange zum Ende hin plötzlich doch mehr als bloss ein weiterer Film über ein Scheidungskind.

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