STONE TURTLE von Ming Jin Woo

Zahara (Asmara Abigail) und ihr Wicker Man © Greenlight Pictures

Eine Rache-Geschichte in Endlosschleife. Nicht traditionell, sondern fast wörtlich. Denn wenn Zahara im Boot liegend von ihrer kleinen Nichte geweckt wird, fängt der Tag wieder an, der Ausflug von der Insel aufs Festland, um dem Waisenmädchen die Papiere für den Schuleintritt zu verschaffen.

Warum die papierlose Zahara mit der Kleinen auf dieser winzigen malaysischen Insel lebt, und wer die anderen Frauen sind, die manchmal auftauchen, oft aber auch nicht, das erklärt sich erst nach etlichen Schleifen.

Dabei haben wir schon in einer der ersten Szenen des Films erlebt, wie Zaharas erwachsene Schwester in einem Familienritual mit einem Stein erschlagen wurde.

Asmara Abigail und Bront Palarae © Greenlight Pictures

Später ist es der Mann Samad, der auf die Insel kommt und erklärt er komme von der Uni und studiere die Ledernacken-Schildkröten. Er sieht ein bisschen aus wie ein malaysischer Lars Eidinger und offensichtlich ist er nicht der, für den er sich ausgibt.

Auch wenn Samad sich schnell mit dem kleinen Mädchen und dessen Comic-Begeisterung anfreundet, ihr gar die Legende von der Stein-Schildkröte aus einem Buch vorliest: Zahara traut ihm nicht über den Weg.

Sie lässt sich darauf ein, ihn als Führerin zu möglichen Eierablagestellen der Meeresschildkröten zu bringen. Aber tatsächlich bringt sie ihn zunehmend ritualisiert und überraschend um. Immer wieder, weil sie jedes Mal danach wieder im Boot vom kleinen Mädchen geweckt wird.

Ming Jin Woo hat mit Zombitopia (2021) auch schon direkt im Genrekino gearbeitet, aber Stone Turtle hat, wenn überhaupt, eine andere Verwandtschaft.

Es ist vor allem eine gross angelegte zentrale Sequenz am Strand, die an den britischen Folk-Horror-Klassiker The Wicker Man erinnert. Zahara spielt mit Samad ein Ritual durch, das er spöttisch «Sieben Sirenen verzehren sich nach einem Prinzen» nennt – in dem er aber als Opfer endet, neben einer aus Ästen gebauten Figur, die verbrannt wird.

Die in dieser Szene anwesenden Frauen stellen sich, wie fast alle Figuren auf der Insel, als Geister heraus. Zahara erklärt einmal trotzig, sie lebe lieber als Lebende unter den Geistern auf dieser Insel, denn als unsichtbarer Geist in der Gesellschaft auf dem Festland.

Zahara © Greenlight Pictures

Eingeschoben in die Endlosschleife aus Rachemord und Ritual erzählt Ming Jin Woo die Geschichte der Steinschildkröte als Animationsfilm, als Parabel hinter der Parabel.

Ein Meeresschildkrötenpaar wird von einem Sturm getrennt, der Mann landet auf einer Insel in einem Zauberteich, aus dem ihn ein Fluch ereilt. Auf dem Weg zurück zum Strand versteinert er. Und seine Frau, als sie ihn endlich findet, erfährt vom Einsiedlerkrebs, dass nur eine bestimmte Blume, von der Spitze eines hohen Berges bei Vollmond gepflückt, den Fluch lösen könne.

Nach jahrelangen vergeblichen Versuchen gelingt es ihr – sie ist nun alt und auf einem Auge blind – die Blume zu pflücken. Aber bevor der Zauber wirkt und ihr Mann sich entsteinert, merkt sie, dass sie vergessen hat, warum sie ihr ganzes Leben auf dieser Suche nach der Blume verbracht hat. Sie krabbelt ins Meer und verschwindet.

Wie beim Wicker Man ist es für Aussenstehende schwer festzustellen, was an diesem Film traditionelle Folklore-Motive sind und was der Fantasie des Regisseurs entspringt.

Aber die zum Lebensziel gewordene Rache der Frau an dem Mann und die Geschichte von der versteinerten Schildkröte bilden zusammen das Möbiusband dieses eben so grausamen wie schönen Films.

Ming Jin Woo © Greenlight Pictures

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