Filmpodcast Nr. 81: Geld oder Leben Slumming (nochmal), Dino Risi RIP.

Herzlich Willkommen zur 81. Ausgabe von Kino im Kopf mit Michael Sennhauser. Heute stelle ich ihnen die neue Schweizer Krimikomödie Geld oder Leben vor, und, weil er so schön ist, noch einmal Slumming von Michael Glawogger – diesmal in Dialekt. Pierre Lachat blickt mit Ellinor Landmann zurück auf das Leben des verstorbenen Dino Risi, und dazu gibt’s wie immer die Kurztipps und das Soundtrackspiel.

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Filmpodcast Nr. 80: 21, Slumming, James Ivory, Visual Effects.

'Slumming' von Michael Glawogger
‚Slumming‘ von Michael Glawogger

Herzlich Willkommen zur 80. Ausgabe von Kino im Kopf mit Michael Sennhauser. Heute stellt Pierre Lachat den Casino-Heist-Film 21 vor und ich die österreichisch-schweizerische Koproduktion Slumming von Michael Glawogger. Ausserdem gratulieren wie James Ivory, der überlebenden Hälfte des Duos Merchant-Ivory zum 80. Geburtstag. Um Visual Effects geht es im Buch von Barbara Flückiger, Pierre Lachat hat sich mit der Zürcher Filmwissenschafterin ausführlich darüber unterhalten. Und natürlich haben wir auch diese Woche die Kurztipps und das Soundtrackspiel.

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Cinémathèque: Frédéric Maire statt Hediger

Manchmal kommt es anders. Eben erreicht uns folgende Pressemitteilung:

Frédéric Maire (c) SennhauserFrédéric Maire, künstlerischer Leiter des Festivals Locarno, wird neuer Direktor des Schweizer Filmarchivs. Der Stiftungsrat des Schweizer Filmarchivs hat den jetzigen künstlerischen Leiter des Internationalen Filmfestivals Locarno, Frédéric Maire, als Nachfolger von Hervé Dumont an die Spitze der Institution berufen. Frédéric Maire wird sein Amt als neuer Direktor des Schweizer Filmarchivs am 1. November 2009 antreten. Im Einverständnis mit dem Präsidenten Marco Solari wird Frédéric Maire die künstlerische Leitung des Festivals Locarno bis zum Ende der Ausgabe 2009 sicherstellen. Für den Präsident Marco Solari: „Erfolgt dieser Abgang für das Festival ein bisschen schnell. Ich bedaure dies. Frédéric Maire ist es auf Anhieb gelungen, unserem Anlass seine persönliche Prägung zu geben, indem er, wie seine Vorgänger, die künstlerische Messlatte sehr hoch ansetzte. Ich verstehe aber die schwierige Situation, in der sich das Schweizer Filmarchiv befindet, das unbedingt eine gute Lösung finden muss… Noch zwei Festivals trennen uns von Frédéric Maires endgültigem Abschied. Ich bin sicher, dass uns das Programm 2008 und 2009 wie die vorhergehenden begeistern und überraschen werden.“ Frédéric Maire kommentiert seinen Entscheid wie folgt: „Ich bedaure es Locarno zu verlassen. Aber die dringende Anfrage der Cinémathèque und das Verständnis meines Präsidenten haben mich zu diesem Entscheid bewogen, der alles andere als einfach war. Die vereinbarte Lösung wird mir erlauben, mich in aller Ruhe auf das Festival 2008 vorzubereiten und die zahlreichen bereits begonnenen Projekte für die Ausgabe 2009 zu Ende zu führen. Das liegt mir am Herzen. Dadurch wird die Ablösung der Festivalleitung so reibungslos wie möglich erfolgen.“ Frédéric Maire übernahm die künstlerische Leitung des Festivals Locarno am 1. Oktober 2005. Seine Nachfolge an der Spitze des Festivals ist offen. Der Präsident und der Verwaltungsrat werden sich die Zeit nehmen, die nötig ist, um die bestmögliche Wahl zu treffen.

Filmpodcast Nr. 79: Sex and the City, La Traductrice, Ben X, Sydney Pollack, Ian Fleming.

Herzlich Willkommen zur 79. Ausgabe von Kino im Kopf mit Michael Sennhauser. Ich bin zurück vom Film Festival in Cannes und in der Zwischenzeit war Pierre Lachat fleissig an der Heimfront. Er stellt uns heute «Sex and the City» vor, La traductrice und Ben X das kleine Juwel aus Belgien. Von mir gibt es einen kleinen Nachruf auf den verstorbenen Sidney Pollack zu hören, ein Aperçu zum James-Bond-Erfinder Ian Fleming, die Kurztipps und natürlich gilts auch wieder einen Film übers Ohr zu erkennen.

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Cannes: Schön wars.

Laurent Cantet und die goldene PalmeEs war ein guter Jahrgang mit diesem 61. Filmfestival von Cannes. Was einzelne Kollegen bemängelt haben, die Abwesenheit eines oder mehrerer wirklich überwältigender Filme im Wettbewerb, darf man nämlich auch positiv sehen: Alle 22 Filme (nun ja 21 davon, einer war wirklich eher lächerlich) hatten etwas, das preiswürdig hätte sein können, jeder einzelne hat einen für die eingesetzte Zeit entschädigt. Die goldene Palme für Laurent Cantet und Entre les murs kann daher auch als Kompromiss verstanden werden. Der Film ist beeindruckend und stilistisch dermassen unaufdringlich dokufiktional, dass eine Analyse seiner Mittel einen gewissen gedanklichen Aufwand erfordert – vor allem aber ist es ein Film aus dem Gastgeberland Frankreich, das die letzten 21 Jahre zunehmend darunter zu leiden hatte, dass es das wichtigste Filmfestival der Welt ausrichtet und Jahr für Jahr den Hauptpreis ziehen lassen musste – sieht man davon ab, dass Roman Polanski, der 2002 mit The Pianist die goldene Palme gewann, eigentlich längst ein Franzose ist. Einzelne Bemerkungen der Jury von ihrer Pressekonferenz zu den Preisen finden sich hier (umschalten von Französisch auf Englisch bei Bedarf oben rechts).

Cannes: Wim Wenders‘ Palermo Shooting

Wim Wenders Für die Franzosen ist er noch immer ein Kinogott, oder, noch besser: Einer der ihren. Für den Rest der Welt ist das unverständlich. Aber Wim Wenders bekommt am Filmfestival von Cannes wenn immer möglich den grössten Bahnhof. Heuer darf er mit seinem Palermo Shooting den Samstagabend bestreiten, den Galaabend vor der Preisverleihung am Sonntag. «Palermo Shooting» ist denn auch ein echter (Spät-) Wenders, ein Film voller wertvoller Gedanken und hölzerner Sätze, ein Film voller Bilder von ausgesuchter Gemacht- und Schönheit, eine Kompilation schöner Rock-Nummern. Campino von den «Toten Hosen» spielt einen erfolgreichen Fotografen in der Tradition von Antonionis Blow Up, dem der Tod aus Ingmar Bergmans Das siebte Siegel erscheint, in Gestalt von Denis Hopper ohne Augenbrauen. «Palermo Shooting» ist denn auch in aller Unbescheidenheit «Ingmar und Michelangelo» (die letztes Jahr am gleichen Tag gestorben sind) gewidmet. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich PS dem Thema des Bildermachens annimmt, unter anderem. Der von Campino gespielte Fotograf ist ein Apologet der totalen Künstlichkeit, er lässt seine grossformatigen Bilder von seinen Assistenten in wochenlanger Arbeit digital überarbeiten, setzt den Nachthimmel von Rio über Manhattan, synthetisiert seine Bilder aus dutzenden von Aufnahmen. Bis ihm der Tod, alias Denis Hopper, vorhält, die Fotografie, die ja eigentlich bisher vor allem ihm, dem Tod, bei der Arbeit zugeschaut hätte, habe mit dieser digitalen Manipulierbarkeit ihre Seele verloren und damit irgendwie der Fotograf auch die seine. Das ist starker Tobak von Wim Wenders, der neben George Lucas einer der ersten und vehementesten Verfechter des digitalen Kinos war. Aber die filmisch eingebetteten Gedanken kommen nicht von ungefähr im jetzigen Zeitpunkt, wo das CGI-Kino und die Computergames die grossen Leinwände der Welt zu übernehmen beginnen. Auch Steven Spielberg hat ja betont, er habe Indiana Jones 4 bewusst analog gedreht, weil Bluescreens für die Schauspieler und den Regisseur einfach nicht inspirierend seien. Die alten Männer werden nostalgisch, die einstigen Pioniere besinnen sich auf die grossen Werte, und das ist ja durchaus schön und ergreifend. Nur ist es im Fall von Wim Wenders und «Palermo Shooting» auch wieder sehr deutsch und thesenhaft, philosophisch raunend und dialogisch klobig. Wenders beherrscht die Bilder, nicht die Sprache. Das zeigt sich immer dann am deutlichsten, wenn im Film italienisch oder englisch gesprochen wird. Dann bekommen die Sätze eine Lebendigkeit, die ihnen im Deutschen abgeht. «Palermo Shooting» ist ein Film, der sich mit Leichtigkeit anschauen lässt, der einen auch mit Leichtigkeit bei sich behält, bis auf die wenigen Momente, in denen er unfreiwillig komisch wirkt. Aber er ist nicht der grosse Wurf, als der er sich gebärdet. Dafür ist er viel zu sehr Kompilation und Autozitat, ein Omnibus der Filmgeschichte und von Wenders‘ eigener Filmografie.

Cannes: Charlie Kaufman ufert aus

Synechdoche New YorkCharlie Kaufman, der geniale Drehbuchautor, der uns Being John Malkovich geschenkt hat, und Eternal Sunshine of the Spotless Mind, hat sich mit Synechdoche New York zum ersten Mal als Regisseur betätigt – und ist einigermassen gescheitert damit. Nicht, weil der Film schlecht konstruiert oder gar inhärent uninteressant wäre, sondern ganz einfach, weil dieses Story-Monster dermassen ausufert, dass das Publikum ermüdet aussteigt, lange bevor der Zerfall der Hauptfigur ihren Höhepunkt erreicht hätte. Im Zentrum steht der vom genialen Philip Seymour Hoffman gespielte Theaterregisseur Caden, dem das Leben zunehmende entgleitet. Seine Frau verlässt ihn mit seiner Tochter, seine Liebschaften scheitern, nur ein riesiges Stipendium hält ihn am Leben, das es ihm ermöglicht, ein ehrgeiziges Projekt zu realisieren: Sein Leben in Echtzeit. Das bedeutet, dass für jede Figur aus seinem Leben ein Schauspieler oder eine Schauspielerin einspringt. In einer riesiegen Halle wird New York als Bühnenlandschaft aufgebaut, inklusive der Halle selber. Und bald sind die Figuren nicht nur doppelt vorhanden, im Stück und in Cadens Leben, sondern dreifach oder mehr. Kaufman spielt seine Obsession vom Kopf, der sich im Kopf einen Kopf ausdenkt, in allen denkbaren Varianten durch, leider ohne damit neue Einsichten zu generieren. So verliert sich der Film bald in einer multiplen Versuchsanlage, in der einzelne Einfälle brillieren, aber die Stimmung immer mehr auf Verzweiflung zu läuft. Dass zum Beispiel Cadens Freundin in einem Haus lebt, das permanent in Flammen steht, macht Spass, zumal wenn man die amerikanische Redewendung dazu nimmt «they get along like a house on fire». Überhaupt ist Kaufmans Hang zu intellektueller Sprachspielerei zunächst sehr amüsant, mit der Zeit aber vor allem anstrengend. Nur schon der Titel, der mit jener Sprachfigur spielt, in der ein Teil das Ganze oder das ganze einen Teil bezeichnet, ist eine Blaupause des Prinzips, zugleich aber auch seine Erstarrung.

Cannes: Paolo Sorrentinos Il Divo

Il Divo von Paolo SorrentinoDer italienische Film hat wieder Helden. Und ganz an der Spitze von ihnen steht Paolo Sorrentino, der mich schon mit Le Conseguenze dell'amore und vor allem mit L'Amico di famiglia verblüfft hat. Sein jüngster Film dreht sich um Giulio Andreotti, einen der schillerndsten und langlebigsten italienischen Politiker überhaupt. Il Divo ist, knapp auf einen Nenner gebracht, der Film, den Oliver Stone wohl mit seinem Nixon gerne gemacht hätte, wenn er das Talent und die Vision dafür hätte. Das ist politlastige Dokufiktion in einem grotesken, hinreissend komischen Pop-Stil, den man gerade aus Italien nicht erwartet hätte. Sorrentinos Lieblingsdarsteller Toni Servillo spielt den Andreotti als Mischung von Nosferatu und Jabba the Hut aus Star Wars, als groteske Kunstfigur mit eben so viel Muppet-Show wie Realismus drin. Der Film und sein Soundtrack sind dermassen innovativ und temporeich, dass ich mir das ganze sofort noch einmal ansehen würde, trotz der unendlich vielen politischen Anspielungen, Verwicklungen, Querverweise. «Il Divo» ist kraftvolles, spöttisches, satirisches und gleichzeitig humanes Kino, wie man es aus Italien seit Fellinis mittlerer Periode nicht mehr gesehen hat. Zusammen mit dem zweiten italienischen Wettbewerbsbeitrag Gomorra von Matteo Garrone (in welchem übrigens Toni Servillo auch mitspielt) ist das wohl das stärkste Comeback einer nationalen Cinematographie, die ich je erlebt habe. Wäre da nicht auch noch der schreckliche Sangue pazzo von Marco Tullio Giordano in einer Spezialvorführung gewesen, müsste man sagen: Italien ist wieder da. Zumindest im Kino.

Cannes: friedliches Journalistenvieh

Pressetaube (c) sennhauserDass auch wir privilegierten Journalisten mit unseren Festivalpässen dem Massencharakter des Festivals nicht entgehen, ist kein Geheimnis. Vor einzelnen Vorstellungen stehen wir bis zu eine Stunde lang geduldig wie Schlachtvieh in einzelnen, nach Kategorien (weiss = wichtig, rosa = Tagesmedien, blau = Wochenmedien, gelb = Monatsmedien, orange = Paria) organisierten Sauhaufen an. Bei türkischen oder chinesischen Filmen ist das nur eine Geduldsübung, am Ende kommen alle rein. Bei Filmen von Clint Eastwood oder einem Publikumsmagneten wie Indiana Jones artet das allerdings auch hier oft in eine „feeding frenzy“ aus, eine Art Massenpsychose. Jeder meint, den Film unbedingt sehen zu müssen (wegen eines Interviewtermins, oder weil die Leserinnen oder Hörer zuhause auf den Bericht warten wie auf einen Lottogewinn), und so wird dann plötzlich recht unzivilisiert gedrängelt. Denn eines ist klar: Zuerst kommen die weissen rein und die rosaroten mit den Punkten. Dann die normalen rosaroten und dann, wenn noch ein paar Plätze frei sind, die Blauen. Die gelben können essen gehen, die orangen sind schon gar nicht gekommen… Aber dieses Jahr ist eigentlich alles erstaunlich zivilisiert geblieben. Ausser bei Indiana Jones gabs keine zertrampelten Kolleginen oder Kollegen und so ist die Friedenstaube auf dem Schild für die Rotpassträger vor der salle Debussy ein durchaus ernstzunehmendes Symbol.

Cannes: DRS2 Reflexe live am Freitag 11 Uhr (Wiederholung 22 Uhr)

Anders als die Oscar-Verleihung, welche Jahr für Jahr weniger Publikum vor die Fernseher lockt, wächst das Medieninteresse am Filmfestival Cannes noch immer. Und nicht nur Stars und Glamour sind gefragt, erstaunlicherweise finden sogar die Filme den Weg ins öffentliche Bewusstsein. Zumindest jene, die im offiziellen Wettbewerb laufen. Zwei Tage vor der Verleihung der goldenen Palme versuche ich mit den deutschen Kolleginnen Anke Leweke (taz) und Katja Nicodemus (Die Zeit) eine Bilanz der 61. Ausgabe von «Le festival».

Freitag, 23.5.2008, 11.03-11.35 Uhr / 22.03-22.35, DRS 2

Nachtrag: Hier die Sendung als MP3

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