Berlinale 13: Bilanz mit Katja Nicodemus und Peter Claus

Berlinale Palast

Die 63. Berliner Filmfestspiele sind schon fast Geschichte. Am Samstag werden die Preise der Jury unter dem Vorsitz von Wong Kar Wei vergeben. Insgesamt konkurrierten im Wettbewerb neunzehn Filme um den einen Goldenen und die acht Silbernen Bären. Im Berlinale-Studio am Potsdamer Platz zieht Michael Sennhauser eine erste Bilanz mit Katja Nicodemus von der «Zeit» und dem freien Berliner Filmjournalisten Peter Claus.

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Bilanz-Reflexe 63. Berlinale (Rechtsklick für Download)

Berlinale 13: UROKI GARMONII – Harmony Lessons – von Emir Baigazin

© Harmony Lessons Film Production

Manchmal, ganz selten, erkennt man ein filmisches Meisterwerk schon an seiner ersten Einstellung. Das ist mir heute früh bei der ersten Vorführung von Harmony Lessons nicht passiert. Da blickt die Kamera im Panoramaformat auf das wogende Gras der kasachischen Steppe. Ein Junge im Anzug tritt abrupt von links ins Bild und schreitet dann ins Grasmeer hinaus.

Ach je, dachte ich. Einer von denen. Wahrscheinlich ist der geliebte Grossvater gestorben und gleich lernen wir den Rest der weiterverzweigten Grossfamilie kennen, die für die Beerdigung angereist ist. Der Junge wollte mit seiner Trauer einen Moment allein sein.

So kann man sich täuschen.

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Berlinale 13: NACHTZUG NACH LISSABON von Bille August

Martina Gedeck, Jeremy Irons © Concorde Filmverleih
Martina Gedeck, Jeremy Irons © Concorde Filmverleih

Bestsellerverfilmungen sind grundsätzlich heikler als andere Literaturverfilmungen. Schliesslich ist ein gegebenes Ziel das Erreichen genau jenes Publikums, das schon das Buch gekauft und geliebt hat. Nun hat sich Pascal Merciers Roman Nachtzug nach Lissabon weltweit in 32 Sprachen bestens verkauft. Ein Indiz dafür, dass sich das Buch übersetzen lässt.

Die „Übersetzung“ in einen Film dagegen bedingt immer eine Entscheidung für die Reduktion auf einen Aspekt. In der Regel ist das die Handlung, der Plot, die Storyline. Wenn ein Buch darüber hinaus nch mit sprachlicher Aesthetik operiert, mit philosophischen Gedanken, kurz, mit reinen Ideen… dann wird es schwieriger. Aber nicht unmöglich, wie Bille August beweist. „Berlinale 13: NACHTZUG NACH LISSABON von Bille August“ weiterlesen

Berlinale 13: PRINCE AVALANCHE von David Gordon Green

Emile Hirsch, Paul Rudd
Emile Hirsch, Paul Rudd

Dass die Amerikaner gerne Remakes drehen von originellen und/oder erfolgreichen Filmen in fremden Zungen, das ist nicht der Rede wert. Dass so ein Remake im Wettbewerb der Berlinale läuft, schon eher. Prince Avalanche ist das amerikanische Remake von Hafsteinn Gunnar Sigurðssons Á annan veg, einer erst zwei Jahre alten dramatischen Komödie aus Island.

Aber irgendwie ist es Green gelungen, sich das Material wirklich zu eigen zu machen. Er siedelt die Geschichte der zwei Männer in der Semi-Wildnis im Texas von 1988 an. Der ältere Alvin und der jüngere Lance sind damit beschäftig, hunderte von Kilometern Strasse nach den Waldbränden vom Vorjahr mit neuen Reflektorstangen und der gelben Mittellinie zu versehen. Ein einsamer Sommerjob für fast echte Männer. „Berlinale 13: PRINCE AVALANCHE von David Gordon Green“ weiterlesen

Berlinale 13: EPIZODA U ZIVOTU BERACE ZELJEZA – An Episode in the Life of an Iron Picker – von Danis Tanovic

Senada Alimanovic, Nazif Mujic
Senada Alimanovic, Nazif Mujic

Senada Alimanovic und Nazif Mujic sind ein Paar im Hinterland von Bosnien-Herzegovina. Mit ihren kleinen Töchtern Semsa und Sandra überleben sie knapp dank dem Metall, das Nazif mit dem Zerlegen alter Autos erwirtschaftet. Brennholz schlägt er im Wald, währen Senada am Rande ihrer Kräfte kocht, wäscht und sich um die Mädchen kümmert. Bis sie eine Fehlgeburt erleidet und man ihr im Spital die lebensrettende Operation verweigert: Die Roma-Familie hat keine Krankenversicherung.

Danis Tanovic, der mit seinem No Man’s Land 2002 den Oscar gewann und unter anderem mit L’enfer ein Drehbuch von Kieslowski umsetzte, bleibt diesmal dokumentarisch: Die Familie spielt sich selber und stellt eine Episode aus ihrem eigenen Leben für die Kamera nach. „Berlinale 13: EPIZODA U ZIVOTU BERACE ZELJEZA – An Episode in the Life of an Iron Picker – von Danis Tanovic“ weiterlesen

Berlinale 13: CAMILLE CLAUDEL 1915 von Bruno Dumont

Juliette Binoche
Juliette Binoche

Fünfundzwanzig Jahre nachdem an der Berlinale Bruno Nuyttens Camille Claudel mit Isabelle Adjani uraufgeführt wurde, kommt ein anderer Bruno und macht alles ganz anders. Bruno Dumont ist einer der eigenwilligsten europäischen Filmemacher, seine Art, dem Drama der Camille Claudel näherzukommen dezidiert unkonventionell.

Juliette Binoche spielt die in einem Heim für geistig Behinderte und Irre eingesperrte Künstlerin 1915, die Mitpatienten werden von geistig Behinderten gespielt. In einer Szene proben zwei von ihnen gar eine Szene aus Don Juan unter der Regie einer der Schwestern, die den in einem alten Kloster untergebrachten Betrieb betreuen. Da spielen dann also geistig Behinderte geistig Behinderte welche wiederum Theater spielen. Das bringt Camille zuerst zum Lachen, dann zum Heulen.

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Berlinale 13: SIDE EFFECTS von Steven Soderbergh

Jude Law, Catherine Zeta Jones
Jude Law, Catherine Zeta Jones

Steven Soderbergh hat angekündigt, er wolle aufhören Filme zu drehen und sich seiner Malerei widmen. Allerdings hat man den Eindruck, der Mann sei in den letzten Monaten dermassen produktiv gewesen, dass noch ein paar Filme aus der Pipeline kommen, bevor das Ende zündet.

Da wäre zum Beispiel noch der Liberace-Film Behind the Candelabra mit Michael Douglas und Matt Damon. Oder eben Side Effects, der heute an der Berlinale seine Premiere gefeiert hat. Da steckt unter anderem Michael Douglas‘ Frau Catherine Zeta-Jones drin, als Psychiaterin. ferner Jude Law als ebensolcher, die schillernde Rooney Mara als Depressionspatientin und Channing „Magic Mike“ Tatum als ihr Ehemann. Und es steht „Soderbergh“ drauf, bei Side Effects.

Nun weiss man, dass damit noch gar nichts gesagt ist. Der Mann hat schon alles geliefert, vom unterhaltsamen Polizeithriller Out of Sight über die Oceans-Filme bis zum tiefgekühlten Remake von Andrei Tarkovskis Solaris. Was also ist Side Effects? „Berlinale 13: SIDE EFFECTS von Steven Soderbergh“ weiterlesen

Berlinale 13: LAYLA FOURIE von Pia Marais

Rayna Campbell, Rapule Hendricks © Pandora Film
Rayna Campbell, Rapule Hendricks © Pandora Film

Pia Marais ist in Südafrika aufgewachsen. Und in Südafrika spielt nun auch der dritte Spielfilm der Wahlberlinerin. Es ist ein gedämpfter Psychothriller mit einem etwas schwerfällig tragischen Plot, aber einer wunderbar flüssigen Inszenierung, getragen von perfekten Darstellern.

Layla Fourie (gespielt von der hinreissenden Rayna Campbell) ist eine alleinerziehende Mutter, die sich zielstrebig weitergebildet hat und so zu einem Job bei einer Spezialfirma für Lügendetektoren gekommen ist. Überraschend wird sie von ihrem neuen Boss in eine andere Stadt geschickt, wo sie einem Casino-Betreiber bei der Auswahl zuverlässiger Angestellter helfen soll. Auf der nächtlichen Autofahrt überfährt sie in einer Kurve einen Mann, der seinerseits einen Pavian gerammt hat. Dem Affen gibt sie mit einem Messer den Gnadentod, den Mann lädt sie ein und fährt zum nächsten Spital – allerdings stirbt er noch unterwegs und in Panik entsorgt Layla die Leiche auf einer Müllhalde. „Berlinale 13: LAYLA FOURIE von Pia Marais“ weiterlesen

Berlinale 13: BEFORE MIDNIGHT von Richard Linklater

Ethan Hawke Julie Delpy

Siebzehn Jahre nach Before Sunrise und neun Jahre nach Before Sunset führen Julie Delpy und Ethan Hawke als Céline und Jesse ihre Gespräche über Kunst, Liebe, Leben und Altern weiter. Die Filme, in deren Kern immer die Zeit als echtes Uhrwerk getickt hat, bilden jetzt eine Trilogie – und eine ziemlich einzigartige dazu.

Jesse und Céline sind Eltern, sie haben gemeinsame Zwillingsmädchen und Jesse sorgt sich um seinen Sohn aus seiner geschiedenen Ehe. Alle zusammen haben Ferien gemacht in Griechenland, und jetzt, in den letzten Tagen, erleben wir das Paar zuerst noch einmal als Feuerwerk von Esprit und Frotzeleien im Freundeskreis, und dann eine halbe Nacht lang als streitendes Liebespaar voller Ängste und Ressentiments.

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Berlinale 13: POZITIA COPILULUI – Child’s Pose – von Calin Peter Netzer

Luminita Gheorghiu
Luminita Gheorghiu

Vielleicht erstarrt die zweite Welle des rumänischen Filmwunders langsam in der Formelhaftigkeit. Vielleicht aber hat es auch damit zu tun, dass einem in diesem Film praktisch alle Figuren in ihrer absoluten Selbstbezogenheit zutiefst unsympathisch sind und es auch weitgehend bleiben. Dabei hat das Konzept etwas durchaus Bestechendes: Wir werden eingeführt in die Mechanismen jener rumänischen Menschengruppe, die man vor fünfzig Jahren als „das Establishment“ bezeichnet hätte.

Cornelia Kerenes ist Innendekorateurin und eine etablierte Architektin, die es in die inneren Kreise der rumänischen Gesellschaft gebracht hat. Ihre Schwester ist Ärztin, der Mann wohl Anwalt, und man hat beste Verbindungen in die Politik und das Getriebe der Staatsgewalt. Das ist alles sehr hilfreich, als ihr Sohn Barbu bei einem Überholmanöver mit übersetzter Geschwindigkeit einen Vierzehnjährigen tötet. Bis zu fünfzehn Jahre Gefängnis könnten ihm drohen, obwohl es sich ziemlich eindeutig um einen Unfall handelt. Jedenfalls wäre der Junge wohl auch tot, wenn Barbu sich an die Geschwindigkeitsgenzen gehalten hätte.

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