Duisburg 13: ASSESSMENT von Mischa Hedinger

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Herr Strässle wird ausfällig, zumindest für Schweizer Verhältnisse. Mit seinem Ausbruch erschreckt er die anderen Sitzungsteilnehmer. „Ich chumme grad widdr obenaabe“ schiebt er nach, aber die Verstörung bleibt hängen im Raum.

Herr Strässle war Typograph, aber die werden schon lange nicht mehr gebraucht. Er hat darum auch den Beruf gewechselt. Das ging ein paar Jahre gut, bis er mit dem Motorrad in eine Wand gefahren ist. Herr Strässle ist einer von den fünf Menschen, die in Mischa Hedingers Dokumentarfilm einem inter-institutionellen Assessment unterzogen werden: Vertreter der Invalidenversicherung, des regionalen Arbeitsvermittlungszentrums und des Sozialdienstes tauschen sich unter geschulter Führung zunächst unter sich und dann gemeinsam mit dem Klienten aus. „Duisburg 13: ASSESSMENT von Mischa Hedinger“ weiterlesen

Duisburg 13: NACHT GRENZE MORGEN von Tuna Kaptan und Felicitas Sonvilla

Nacht Grenze Morgen

Einen rechten Brocken haben sich Kaptan und Sonvilla für ihre Zwischenarbeit an der HFF München ausgesucht: einen Bericht vom Rande der Festung Europa. In Edirne, an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland, haben sie sich mit zwei jungen Schleppern angefreundet, einem Syrer und einem Palästinenser, welche ganz unten in der losen Hierarchie die Frontarbeit verrichten: Sie führen Menschen über die bloss 13 Kilometer lange grüne Grenze. Bis zu dreimal, falls nötig. Denn „wie Pingpongbälle“ kämen viele gleich wieder zurück, wenn sie das Pech haben, aufgegriffen zu werden.

Die Idee, für einmal die Schlepper und nicht die Flüchtlinge ins Zentrum zu stellen, sei erst vor Ort entstanden, erzählen Kaptan und Sonvilla in Duisburg. Sie seien zunächst einfach für Recherchen nach Edirne gefahren. Tuna Kaptan, der schon bei Fatih Akin Regiepraktikant war (beim Dreh für Die andere Seite), spricht türkisch – was dann allerdings nur bedingt hilfreich war, als sich herausstellte, dass die Hauptprotagonisten ihres Films Persisch und Arabisch sprechen.

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Duisburg 13: SIENIAWKA von Marcin Malaszczak

SIENIAWKA

Der Power-Ranger in der weissen Unterwäsche steht am geleiteten Abgrund, am Anfang dieses Films, der abträgt, indem er aufträgt. Am Ende des Films begegnen wir ihm wieder, dann ist aber der Schluss der Anfang. Am Anfang des Anfangs deponieren zwei Männer einen in rosa Tuch eingewickelten Menschen vor einer Tür und verschwinden schnell wieder.

Marcin Malaszczak hat in Polen gefilmt, seinem Herkunftsland, in der Ortschaft Siniewka, und dort vor allem in und um das „Krankenhaus für die Behandlung von Geistes- und Nervenkrankheiten und Alkoholismus“. Dass diese Anstalt 1964 gegründet wurde, auf dem Gelände eines einstigen Nazi-Arbeitslagers, das erfahren wir aus dem Katalog, nicht aus dem Film. Malaszczak hat nicht die Absicht, uns mit Fakten zu füttern. „Duisburg 13: SIENIAWKA von Marcin Malaszczak“ weiterlesen

Duisburg 13: NELLA FANTASIA von Lukas Marxt

Nella Fantasia

Die Bohrinsel ist ein Unort, eine Raumstation in lebensfeindlicher Umgebung, ein rostendes Imageproblem. Eine Bohrinsel ist ein Risiko. Ein Arbeitsort für Durcharbeiter und Durchdiener, für Menschen, die ihre Arbeit nicht zum Vergnügen machen. Zwölf Stunden Arbeit, zwölf Stunden Schlaf und Erholung. Dafür gibt es Fitnessraum und Squashhalle, Angelplatz und Tonstudio.

Der Mann im Tonstudio auf der Bohrinsel singt eine Arie. Vom Filmtitel her wissen wir, sie kommt aus der Phantasie, Nella Fantasia. Im Abspann des Films erfahren wir, sie stammt von Ennio Morricone. Aber all das, was oben aufgezählt wurde, das wissen wir nicht aus dem Film. Das hat uns Lukas Marxt nach der Sichtung erzählt. „Duisburg 13: NELLA FANTASIA von Lukas Marxt“ weiterlesen

Duisburg 13: ANDERE WELT von Christa Pfafferott

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Dass Christa Pfafferott überhaupt die Bewilligung bekam, in einer geschlossenen Klinik für forensische Psychiatrie zu drehen, lag daran, dass sie schon mal dagewesen war. Nicht als Patientin, nicht als Pflegerin, sondern als Fotografin für das Magazin der süddeutschen Zeitung. Eine Beobachtung hatte es ihr angetan: In jedem Patienten-/Insassenzimmer gab es das gleiche Gestell über dem Bett. Aber jedes war natürlich anders belegt.

Ihr Film nun zeigt tatsächlich eine andere Welt, ganz zu Beginn schon repräsentiert durch den doppelt verschobenen Titelschriftzug. Und dann immer wieder durch surreal wirkende Aufnahmen durch das kalte Auge der hunderten von Überwachungskameras im weitläufigen Komplex. Eine Zuschauerin in Duisburg meinte gestern, der Film, der sich auf drei Frauen vom Personal und drei Insassinnen konzentriert, zeige eigentlich bloss Betroffene, spare das System dahinter aus. Das trifft zu und ist doch Unsinn.

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Duisburg 13: ICH BIN HIER von Eleni Ampelakiotou

Vielleicht zeichnet gerade das den jungen Hamdy aus: Dass er immer hier ist. Sei das auf der Strasse, in seiner Wohnung, oder eben im Gefängnis, wo er wieder mal einsitzt, gerade als die Dreharbeiten zum Film über ihn beginnen sollen. Eleni Ampelakiotou versucht, Hamdys Präsenz in ihrer Wahrnehmung zu fassen, in ihren Bildern und Repräsentationen. Da genüge seine typische Gestik, zum Beispiel, sagt sie in Duisburg.

Ich bin hier ist so etwas wie ein impressionistischer Dokumentarfilm, ein saugender Bilderrausch als Repräsentation eines vagen Lebensgefühls. Klassisch dokumentarisch ist daran allenfalls der Off-Kommentar von Hamdy, seine Stimme, die erzählt von seinen Träumen, seiner kleinen Tochter, die er kaum je sieht, seiner Unlust, sich institutionell erziehen zu lassen. „Duisburg 13: ICH BIN HIER von Eleni Ampelakiotou“ weiterlesen

Duisburg 13: FAR’FALASTIN von Max Sänger

far falastin

Acht Minuten Plansequenz in Schwarzweiss, ein palästinensischer Hirte lässt Schafe aus improvisierten Umhagungen, zieht mit der Herde in die karge Landschaft hinaus. Wir sind in Area C im israelischen Siedlungsgebiet, aber der Gestus des Films beschwört die ethnographischen Klassiker, die Kamera blickt einer alten Frau ins zerfurchte Gesicht.

Der Filmemacher Max Sänger (Jahrgang 1987) hat bei den Menschen gelebt, in Susya, dem Dorf, von dem sie alle erzählen – vor allem, dass es nicht mehr existiert, dass mit den israelischen Siedlern die Soldaten kamen und die Höhlenbehausungen und überhaupt alles plattgemacht hätten.

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Duisburg 13: SCHLAGERSTAR von Marco Antoniazzi und Robert Stadlober

Marc Pircher Photoshooting
Marc Pircher Photoshooting

Aus Österreich kommt der Film, mit dem die diesjährige Duisburger Filmwoche gestern Abend eröffnet wurde. Eine schöne Demonstration dafür, wie das aktuelle Filmwochen-Motto „im Bilde“ sich „im Kopfe“ festbeissen kann: Denn dauernd im Bild ist in Schlagerstar der Zillertaler Unterhaltungsmusikstar Marc Pircher, nie im Bild sind die beiden Filmemacher, und gelegentlich im Bilde sind wir als Zuschauer, wenn uns gerade wieder ein Licht aufgegangen ist.

Der Dokumentarfilm der beiden Österreicher definiert sich zunächst einmal über all das, was er nicht sein möchte: Kein Star-Portrait. Kein Film über den Menschen hinter der Fassade. Kein postmodernes Ironie-Fest. Stattdessen folgt die Kamera einfach dem Turbo-Alltag eines getriebenen Kleinunternehmers der Selbstvermarktung.
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